Archiv


Formel für die Börsen-Blase

Mathematik. - Vorausgesehen hatte das Finanzdesaster an den Börsen offenbar niemand so recht. Weil bisherige Methoden für die Prognose finanzieller Extremereignisse versagten, entwickelte ein Experte der ETH Zürich ein neues Verfahren: eine Art Formel für die Börsen-Blase.

Von Frank Grotelüschen | 25.11.2008
    "Mit den üblichen Statistik-Methoden ist die derzeitige Finanzkrise nicht mehr zu erfassen. Man kann getrost sagen: Mathematisch gesehen ist diese Finanzkrise ein Monster!"

    Extreme Krisen erfordern extreme Methoden – oder genauer gesagt: neue mathematische Methoden. Das jedenfalls glaubt Didier Sornette, Professor für Unternehmerische Risiken an der ETH Zürich. Die Analyseverfahren, mit denen man üblicherweise Finanzrisiken abschätzt, hält der gelernte Physiker für nur bedingt tauglich – zumindest in finanziellen Ausnahmezeiten.

    "Die Standardmethoden der Ökonomie gehen davon aus, dass auch die größten Blasen lediglich exponentiell wachsen. Exponentiell bedeutet, dass das Wachstum konstant ist – etwa wenn ich Geld zu einem festen Zinssatz von sagen wir fünf Prozent anlege. Doch wir haben nun festgestellt, dass eine Blase über-exponentiell wächst. Das wäre dasselbe, als wenn sich der Zinssatz von Jahr zu Jahr verdoppelt, erst fünf, dann zehn, dann 20 Prozent und so weiter. Also, das Wachstum einer Blase ist nicht konstant, sondern beschleunigt sich, und zwar rasant."

    Theoretisch müsste sich dieses Wachstum dann bis ins Unendliche beschleunigen – was in der Praxis natürlich nicht sein kann. Genau deshalb muss jede Blase einmal enden – womöglich in einem saftigen Knall. Doch das alleine, sagt Sornette, genügt noch nicht, um die augenblickliche Monsterkrise zu verstehen.

    "Die Anfänge liegen 15 Jahre zurück. Damals, in den 90er Jahren, startete die Internetblase. Als sie Mitte 2000 platzte, begegneten Regierungen und Notenbanken der drohenden Rezession dadurch, dass sie die Kreditzinsen senkten. Das machte den Kauf von Immobilien attraktiv, und die nächste Blase begann, die Immobilienblase. Die Häuser stiegen im Preis, und da die Leute dachten, es würde immer so weitergehen, nahmen sie reihenweise Hypotheken auf ihre überbewerteten Häuser auf, um sich einen BMW zu leisten oder einen schönen Urlaub."

    Das setzte die jüngste Blase in Gang – die Finanzblase. Als die dann platzte, stürzten die Banken in die Krise, und mit ihnen die Börsen in den Keller. Also: Blase folgte auf Blase folgte auf Blase – jede von ihnen größer als die vorangegangene. Ein sich selbst anheizendes System aus mathematischen Rückkopplungen, extrem komplex und hochgradig nichtlinear – und offenbar alles andere als nachhaltig, meint Sornette. Nur: Mit den üblichen Methoden konnten die Finanzexperten nicht erkennen, ob sich das System in einem kritischen Zustand befand oder nicht. Und genau deshalb hatten sie die Entwicklung viel zu lange für gesund gehalten und die Risiken unterschätzt.

    "Alan Greenspan, der ehemalige Chef der US-Notenbank, ist der Meinung, man könne eine Blase erst dann erkennen, wenn sie geplatzt ist. Ich halte das für falsch. Denn wir haben jetzt mathematische Diagnosemethoden entwickelt, mit denen sich eine Blase schon während ihres Entstehens erkennen lässt, und zwar an Hand der überschießenden Wachstumsraten. Und unsere Modelle sind sogar in der Lage, den Höhepunkt der Blase bis auf zwei oder drei Monate genau vorherzusagen."

    Zwei bis drei Monate – damit dürften Börsenmakler, die von Tag zu Tag agieren, zwar nur wenig anfangen können. Aber Politiker und Notenbanken könnten mögliche Risiken früher erkennen und dann gegensteuern, etwa mit ihrer Zinspolitik, meint Didier Sornette.

    "Bislang werden die Finanzdebatten von Meinungen und politischen Erklärungen dominiert. Doch wenn wir Wissenschaftler jetzt eindeutige Zahlen und nachprüfbare Aussagen anbieten, wird es hoffentlich einen Fortschritt in der Debatte geben."