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Forsa-Chef zu Prognosedesaster vor US-Wahl
"Einige reden nicht mit uns, weil wir angeblich ohnehin die Zahlen manipulieren"

Dass Demoskopen den Wahlsieg Trumps nicht vorhergesehen haben, liege zum einen an der Komplexität des US-Wahlsystems, sagte Forsa-Chef Manfred Güllner im DLF. Zum anderen würden diejenigen, die sich gegen das Establishment wendeten, nicht mit Meinungsforschungsinstituten sprechen, weil diese gemeinsam mit Politik und Medien als Teil der "Manipulationsmaschine" wahrgenommen würden.

Manfred Güllner im Gespräch mit Christoph Heinemann |
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    Forsa-Chef Manfred Güllner sagt, Meinungsforschungsinstitute würden von einigen als "Teil der Manipulationsmaschine" wahrgenommen. (Deutschlandradio)
    Rein statistisch sei die teils harsche Kritik an den Demoskopen "nicht so berechtigt". Clinton habe mehr Stimmen bekommen als Trump und Umfragen hätten vorhergesagt, dass es ein knappes Rennen gebe. Allerdings sei die Umrechnung in Wahlmännermandate sehr komplex und zu vergleichen mit der Umrechnung von Zweitstimmen auf Mandate bei der Bundestagswahl. Dies für jeden Staat zu berechnen, könne man einem Institut nicht zumuten.
    "Werden als Teil der Manipulationsmaschine wahrgenommen"
    Eine weitere Komponente sei, dass die potentielle Wählergruppe von Trump, aber auch von der AfD in Deutschland, Vorbehalte gegen das sogenannte Establishment hätten. Meinungsforschungsinstitute würden wie Politik und Medien als "Teil der Manipulationsmaschine" wahrgenommen. "Einige, die mit der AfD sympathisieren, reden nicht mit uns, weil wir angeblich ohnehin die Zahlen manipulieren", sagte Güllner.
    Das Umfrageergebnis seines Instituts, wonach 59 Prozent der Befragten möchten, dass die CDU-Vorsitzende Angela Merkel wieder für das Amt des Bundeskanzlers kandidiere, sei plausibel. Man sei mit Merkel nicht so unzufrieden, wie AfD-Anhänger es gerne hätten. CSU-Chef Horst Seehofer habe erreicht dass CSU-Wähler weniger Sympathie für Merkel hätten, sodass die Zustimmung für sie etwas zurückgegangen sei. AfD-Wähler seien trotz aller Wahlerfolge eine Minderheit.
    Güllner warnte zudem: "Die großen Parteien dürfen nicht versuchen, mit Themen, die eine Minderheit für wichtig hält, Politik zu machen." Stattdessen müssten sie sich um die Mitte der Gesellschaft kümmern.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Viele haben sich gestern an den Junimorgen nach der Brexit-Abstimmung erinnert, kaum jemand hatte abends damit gerechnet, dass die Auszählungen am frühen Morgen den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ergeben könnten, und dann eben auch gestern nicht Trump im Weißen Haus. Am Telefon ist jetzt Manfred Güllner, der Gründer und Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa, guten Morgen!
    Manfred Güllner: Schönen guten Morgen!
    Heinemann: Herr Güllner, hat Trumps Sieg Sie überrascht?
    Güllner: Na, ich hatte das, wenn ich das mal ganz unforscherisch, als Bürger sagen darf, ich habe auf einen Sieg von Clinton gehofft, aber ich habe nicht ausgeschlossen, dass Trump gewinnt. Weil – das ist ja glaube ich auch etwas, worüber wir gleich noch sprechen werden – doch auch nach den Erfahrungen in Deutschland viele aus diesem potenziellen Anhängerlager sich in Umfragen nicht so richtig bekennen oder sich gar nicht befragen lassen.
    Heinemann: Das heißt, man kann einen Meinungsforscher doch noch ein bisschen überraschen?
    "Frau Clinton hat ja mehr Stimmen bekommen als Trump"
    Güllner: Ja, sicher. Wir haben ja auch zwei Seelen in der Brust. Wie gesagt, die persönliche Einstellung und das, was wir eben aus objektiven Zahlen herauslesen können.
    Heinemann: Ich habe eben bei CNN gesehen einen Auftritt eines US-Meinungsforschers, der musste sich sehr, sehr harsche Kritik anhören. Wieso hatte Ihre Zunft einen Präsidenten Trump nicht auf dem Schirm?
    Güllner: Na ja, man muss ja zunächst mal sehen, dass rein statistisch die Kritik eigentlich nicht so ganz berechtigt ist. Es ist ja so, dass wir nach dem Stand der Auszählungen … Ich weiß gar nicht, ob jetzt schon das Endergebnis vorliegt, aber nach dem, was ich gestern Abend spät noch gesehen habe, hat ja Frau Clinton mehr Stimmen bekommen als Trump. Und das, was die Umfragen gesagt haben, ist ja nichts anderes, als dass es ein relativ knappes Rennen gibt, viele hatten Clinton knapp vorne, aber es gab ja auch Umfragen, die Trump vorne hatten. Das Problem ist, dass eben wegen des amerikanischen Wahlsystems und diesem Wahlmännersystem trotz der mehr Stimmen, die Clinton hat, sie nicht Präsidentin wird. Das ist ja auch schon mal passiert bei Bush und Gore, also, auch das ist an sich keine Überraschung. Insofern ist zunächst mal rein von der Abweichungssumme der meisten Umfragen, die ich gesehen habe in den USA, keine Kritik … diese harsche Kritik gar nicht gerechtfertigt.
    Heinemann: Aber auch die Meinungsforscher kennen doch das Wahlsystem. Wird da falsch gemessen?
    "Da braucht man ein Riesencomputerprogramm"
    Güllner: Nein, es wird nicht falsch gemessen, sondern es müssen ja die Stimmen umgerechnet werden. Die Stimmenverteilung entsprach ja dem, was man gemessen hat. Das andere ist eine Umrechnung. Es ist ja, wenn Sie das mal mit der Bundesrepublik vergleichen, die Umrechnung der bei der Bundestagswahl vergebenen Zweitstimmen auf die Mandate, das ist so kompliziert, da kann man nicht mit … Das ist keine Aufgabe der Umfrageforscher, sondern der Umrechner. Und der Bundeswahlleiter muss – das haben wir ja bei der letzten Bundestagswahl gesehen – nach Vorliegen des Endergebnisses fast vier Stunden rechnen, um die Mandatsverteilung, wo es um Überhangmandate und Ausgleichsmandate geht … Das ist so kompliziert, das kann man nicht einfach am Taschenrechner oder am kleinen PC berechnen, da braucht man ein Riesencomputerprogramm. Und mit einer landesweiten Umfrage, die eben sagt, Kopf-an-Kopf-Rennen, wirklich für jeden Staat das zu berechnen, das muss ich ja, um zu der Verteilung zu kommen, das kann man einem Institut nicht zumuten. Ist natürlich auch die Frage …
    Heinemann: Aber das heißt doch übersetzt – Entschuldigung, dass ich da unterbreche –, dass Umfragen letztendlich gar keine Aussagekraft enthalten?
    Güllner: Na, es gibt ja die Umfragen … Noch mal, die Umfragen sind ja, wenn sie von einem Kopf-an-Kopf-Rennen gesprochen haben, absolut richtig, das ist ja passiert. Die Frage ist, wie ich das auf das Wahlmännersystem umrechnen muss. Und da ist natürlich, da kann ich jetzt nicht beurteilen, wie die Medien die Umfragen präsentiert haben. Es ist ja auch häufig hier so, dass das Kleingedruckte, was wir immer liefern, nicht mit abgedruckt wird oder gesendet wird aus Platz- und Zeitmangel. Also, insofern, glaube ich, muss man die Kritik ein bisschen weniger harsch ausfallen lassen.
    Heinemann: Unter dem Strich dennoch, Herr Güllner, was lernen Sie aus Brexit und Trump?
    "Man gibt uns keine Antwort"
    Güllner: Was wir sehen – und ich hatte es ja eingangs schon angedeutet –, ist, dass solche Bewegungen, wie sie Trump repräsentiert, wie wir sie auch in England beobachten konnten, wie wir sie in anderer Form auch in Deutschland mit der AfD erleben … Wir haben hier eine Wählergruppe oder eine potenzielle Wählergruppe, die Vorbehalte gegen das sogenannte Establishment hat. Und wir als Meinungsforscher werden mit der Politik, mit den Medien in diesen Topf geworfen, wir sind Teil der Manipulationsmaschine. Und deswegen misstraut man uns, deswegen gibt man uns keine Antwort. Das sehen wir ja wie gesagt auch hier, dass einige, die mit der AfD sympathisieren, mit uns gar nicht mehr reden, weil sie die Umfragen als Teufelszeug halten und sagen, wir manipulieren ja ohnehin die Zahlen. Hat uns ja Herr Lucke beispielsweise schon vor der Bundestagswahl vorgeworfen, als er behauptet hat, wir hätten die AfD bei acht Prozent, würden sie nur mit drei Prozent ausweisen. Was natürlich Quatsch war. Ich darf ihn ja auch nach wie vor Lügen-Lucke nennen. Aber das zeigt so die Geisteshaltung dieses Types von Wähler.
    Heinemann: Konkret heißt das, die entsprechenden Wähler antworten gar nicht mehr auf die Fragen oder sie antworten falsch?
    Güllner: Sie lassen sich zum großen Teil gar nicht befragen. Das heißt, wenn wir dort anrufen und um ein Interview bitten, dann fällt sofort eine Klappe und dann werden wir sofort zugeordnet dieser Manipulationsmaschine, dem Establishment, dem Verhassten, mit denen reden wir nicht.
    Heinemann: Forsa hat jetzt im Auftrag des Magazins "Stern" ermittelt, dass 59 Prozent der Bundesbürger es gut fänden, wenn Angela Merkel bei der Bundestagswahl 2017 wieder als gemeinsame Kanzlerkandidatin der Unionsparteien CDU und CSU antreten würde. Stimmen denn diese Zahlen?
    "Die Parteien müssen sich um die Mehrheit der Menschen kümmern"
    Güllner: Ich denke schon, sie sind ja auch nicht ganz unplausibel. Denn es ist ja in der Union so recht kein Nachfolger sichtbar. Mit Frau Merkel ist man ja nicht so unzufrieden wie die AfD es glauben machen will, die Merkel geradezu hassen. Und auch der Rückhalt von Frau Merkel bei den Anhängern der CDU ist immer extrem groß gewesen, trotz aller Kritik von Herrn Seehofer. Nur, Herr Seehofer hat erreicht, dass die CSU-Anhänger ein bisschen weniger Rückhalt Merkel geben, sodass der Durchschnittssympathiewert von Merkel ein bisschen zurückgegangen ist. Also, hier ist sehr viel auch an Zahlen, die über Merkel produziert wurden, die nicht mit der Realität übereinstimmen. Ich denke, insofern sind unsere 59 Prozent, die eigentlich sich bei Merkel ganz gut aufgehoben fühlen trotz punktueller Kritik etwa in der Flüchtlingsfrage, schon so, dass sie die Wirklichkeit reflektieren.
    Heinemann: Herr Güllner, Sie haben gerade eben den aus Ihrer Sicht schwierigen Teil der Wählerschaft beschrieben. Was raten Sie den Parteien für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf?
    Güllner: Die Parteien müssen eigentlich stärker als bisher – und das ist ja eine der Kritiken, die auch von vielen Nichtwählern geübt wird – sich überlegen, welche Befindlichkeiten, welche Ängste, welche Sorgen hat eigentlich die Mehrheit der Menschen, und sich nicht nur um die Ränder kümmern. Und die AfD-Wähler sind trotz aller optischen Wahlerfolge, vor allen Dingen, wenn die Wahlbeteiligung gering ist, eine Minderheit. Das ist eine Minderheit und gerade die großen Parteien dürfen nicht hier versuchen, mit diesen Themen, die diese Minderheit für wichtig hält, Wahlkampf zu machen oder zu glauben, die könnte man zurückholen. Die müssen sich um ihre eigentliche Wählerklientel – und das ist die Mehrheit der Menschen, die sich überwiegend auch in der Mitte, politischen und gesellschaftlichen Mitte zurechnen –, um die müssen sich gerade die beiden großen Parteien, wenn man sie noch groß nennen kann, kümmern.
    Heinemann: Manfred Güllner, der Gründer und Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Güllner: Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.