Archiv

Forsa-Umfrage
Schwimmfähigkeit unter Kindern nimmt ab

Nicht einmal jedes zweite Kind im Alter von zehn Jahren kann ordentlich schwimmen. Dieses Ergebnis einer Forsa-Umfrage im Auftrag der DLRG bestätigt einen Trend, der sich schon in früheren Umfragen abgezeichnet hatte. Manche Politiker fordern nun einen "goldenen Plan", um die Schwimmbäder-Infrastruktur in Deutschland instand zu halten.

Von Jessica Sturmberg |
    Schüler der 5. Klasse der IGS-Schule List schwimmen am 14.06.2017 im Annabad in Hannover.
    Ein paar Bahnen ziehen können? Für viele deutsche Kinder ist das laut einer aktuellen Umfrage alles andere als selbstverständlich. (dpa / picture alliance / Silas Stein)
    "Jetzt kommen wir alle in die Mitte und machen die Blubberblasen ins Wasser ... und dann tauchen wir einmal ganz unter..."
    Vier bis fünf Jahre alt sind die Kinder, die bei Schwimmlehrerin Mona Bittner gerade Wassergewöhnung machen. Ein Kurs, bei dem die zehn Kinder auf spielerische Weise an das Element herangeführt werden. Eine Vorstufe zum Seepferdchen-Kurs. Einmal pro Woche 45 Minuten. Hier sollen die Kinder tauchen, gleiten und die Bewegungsabläufe des Schwimmens lernen.
    "Was kommt jetzt noch dazu zu den Beinen? Die Pfeil- und Bogenarme - und wie gehen die? Erklär mal…"
    Mona Bittner ist angehende Sportlehrerin und gibt bei der Stadt Köln Schwimmunterricht für Kinder zwischen 3 und 10 Jahren. An drei Tagen in der Woche ist sie im Einsatz. Es ist ein heißer Tag, das Schwimmbad entsprechend voll. Jacob, Frieda, Benjamin und die anderen sind trotzdem begeistert bei der Sache. Ihre Eltern haben um den Platz im städtischen Schwimmkurs gekämpft. Die Anmeldung ist nur online möglich zu einem Termin, den die Stadt vorher bekannt macht. Dreimal im Jahr um Punkt 18 Uhr geht der Ansturm auf die Plätze los:
    "Den Kurs zu kriegen ist Hennenrennen", sagt ein Vater, "da stellt man sich abends den Wecker und dann guckt man, wann die aufmachen." Ein anderer fügt hinzu: "Der Run zu dem Zeitpunkt, weil alles startet, war riesig."
    Dass die Schwimmkurse sehr begehrt sind, bestätigt Elvira Klinkigt. Sie koordiniert die Kurse bei der städtischen Kölnbäder GmbH: "Besonders die Termine vor den Sommerferien sind sehr gefragt. Der Urlaub steht vor der Tür, wird geplant. Viele fahren ans Meer, ans Wasser und man möchte, dass die Kinder schwimmen können."
    Schwimmfähigkeit geht zurück
    Elvira Klinkigt versucht immer alle Wünsche der Eltern zu erfüllen. Oft ist die Nachfrage größer als das Angebot. Zeiten und Bäder sind knapp. Deshalb nutzen Eltern auch Kurse privater Anbieter in Reha- und Seniorenbädern oder in Fitnessstudios. Dass ihre Kinder schwimmen lernen hat aber offenbar für sehr viele Eltern inzwischen keinen so hohen Stellenwert mehr.
    Achim Wiese von der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft DLRG warnt vor einer gefährlichen Entwicklung. 1990 konnten 90 Prozent aller Kinder schwimmen, seither hat die DLRG drei Umfragen bei Forsa in Auftrag gegeben. Ergebnis: die Schwimmfähigkeit ist immer weiter zurückgegangen. Schon bei der zweiten Umfrage 2010 sei die Umfrage erschreckend ausgefallen, "die uns dann im wahrsten Sinne des Wortes aus den Schuhen haute", erinnert sich Achim Wiese, "weil in der sehr drastisch deutlich wurde, dass nur noch jedes zweite Kind schwimmen kann. Wir haben festgestellt, dass immer mehr Bäder geschlossen werden in Deutschland, also die Wasserfläche nachlässt, die wir benötigen, um Menschen und insbesondere Kindern das Schwimmen beizubringen."
    Bäderschließungen, Umwandlung in Spaßbäder und nicht für Lebensrettung ausgebildete Grundschullehrer seien die Hauptgründe für diese Entwicklung, die sich 2017 noch dramatisch fortgesetzt hat. Inzwischen sind es gar nur noch 40 Prozent der Grundschüler, die im Alter von 10 Jahren als sichere Schwimmer gelten, und sich alleine über Wasser halten können. Die Konsequenz: immer mehr tödliche Unfälle. Im vergangenen Jahr sind 537 Menschen ertrunken. Darunter viele Kinder.
    Die üblichen Schuldzuweisungen
    Die DLRG fordert vor diesem Hintergrund Bund und Länder dazu auf, die zuständigen Kommunen mit dem Problem nicht allein zu lassen und Mittel zur Verfügung zu stellen. In der Bundestagsdebatte am Mittwoch (21.06.2017) waren sich alle Parteien zwar darin einig, dass die Entwicklung zum Nichtschwimmerland gestoppt werden müsse. Darüber hinaus aber gab es die üblichen Schuldzuweisungen:
    Unionspolitiker Eckhard Pols: "Das liegt zum einen am veränderten Freizeitverhalten der Kinder, die ihre Freizeit lieber mit elektronischen Medien verbringen."
    Sozialdemokratin Jeannine Pflugradt: "Mancher Nichtschwimmer fühlt sich im Schwimmunterricht überfordert, Schulschwimmen ist vermutlich genauso beliebt wie Mathe oder Deutsch."
    Unions-Sportpolitiker Frank Steffel: "Aber schuld ist nicht die Bundesregierung, sondern schuld sind, wenn überhaupt, Länder und Kommunen."
    Die Zuständigkeiten interessierten die Menschen jedoch nicht, sagte Britta Haßelmann von den Grünen. Die wollten, dass das Problem gelöst werde: "Daher kann von uns heute ein Signal ausgehen - Innenminister, Sportminister, kümmert euch darum! Das gleiche gilt für die Kultusministerkonferenz, da könnten wir nämlich an die Lehrpläne ran."
    Andre Hahn von den Linken schlug die Brücke zum Spitzensport: "Das Ergebnis im Schwimmen bei Olympia in Rio war katastrophal, die Deutsche Meisterschaft am Wochenende brachte ernüchternde Resultate, die deutschen Athleten zur anstehenden WM passen in einen Kleinbus und der Schwimmverband soll 2019 ein Viertel weniger Förderung bekommen. Gerade beim Schwimmen - immer weniger Breite schafft immer weniger Spitze."
    SPD-Politikerin Ute Vogt, zugleich auch DLRG-Vizepräsident, forderte schließlich: "Ich fände es gut, wenn es in der nächsten Legislaturperiode gelingen würde, einen 'goldenen Plan' für Schwimmbäder aufzulegen."
    "Goldener Plan" für Schwimmbäder?
    Einen goldenen Plan hat es schon einmal gegeben: 1959 ging es darum, nach den Kriegsjahren eine Sportstätteninfrastruktur aufzubauen, damit die Menschen Orte hatten, wo sie Sport treiben konnten. Jetzt geht es darum, die noch vorhandene Infrastruktur zu erhalten.
    Viele Kommunen haben in den letzten Jahren kaum Mittel gehabt um ihre Bäder instand zu halten. Etwa die Hälfte der rund 5300 Bäder in Deutschland seien inzwischen sanierungsbedürftig, warnt die Deutsche Gesellschaft für das Badewesen in einer Studie zusammen mit der Uni Wuppertal. 4,5 Milliarden Euro seien notwendig, um viele von ihnen vor der Schließung zu bewahren.
    Doch ob es zu einem neuen goldenen Plan kommt, ist fraglich. Es wird davon abhängen, ob die nächste Koalitionsregierung nach der Wahl im September das als Thema wieder aufgreift. Bis dahin werden viele Eltern weiter um Plätze in den Schwimmkursen kämpfen. Und viele es lassen, gerade auch, wenn das Seepferdchen schon geschafft ist. Damit geben sich viele Eltern schon zufrieden, obwohl das erst der Startschuss und nicht das Ende des Schwimmenlernens sein sollte, sagt Schwimmlehrerin Mona Bittner: "Weil man kann das Seepferdchen auch wieder verlernen. Man sollte sich auf keinen Fall darauf ausruhen, das ist ein Fehler, den wir Schwimmlehrer oft sehen. Es muss gar kein weiterer Kurs sein. Ziel ist es eigentlich, dass die Eltern später selber mit ihren Kindern schwimmen gehen."
    Für die Anfänger reiche es schon, wenn bei regelmäßigen Schwimmbadbesuchen zwei Bahnen durchgeschwommen würden, um das Erlernte zu festigen. Am besten gleich zu Beginn, bevor danach geplanscht werde. Rituale seien hilfreich. So wie zum Abschluss des Trainings.
    "...und ganz laut, Hände alle unten ins Wasser und 1...2...3... Schwimmen ist vorbei!"