Ich überführe 750 Mikroliter von dieser klaren Flüssigkeit in diese farbigen Säulchen.
Die Röhrchen steckt er in die automatische Zentrifuge.
Und ab geht die Post. Ich guck mal, ob die Einstellungen stimmen, die stimmen...
1 Minute. 1000 Umdrehungen.
Vier verschiedene Flüssigkeiten, viermal werden die Proben geschleudert. Der erste Arbeitsgang. Was Markus Eickmann sucht - das ist Erbinformation von Viren. Genau gesagt: die des Erregers der neuartigen Lungenentzündung SARS, des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms. Die Virus-Erbinformation ist von allen störenden Substanzen abgetrennt, jetzt muss sie nur noch vermehrt werden, dann kann in einem weiteren Gerät, einem Sequenzierautomaten, der Aufbau der Erbinformation genauer untersucht werden.
Der Name SARS beschreibt nichts anderes als das klinische Symptom, nämlich eine schwere akute Lungenentzündung. Sie besteht aus Fieber und Atemnot und eben einer Beteiligung der Lunge, so dass die Lunge geschädigt wird...
Bernhard Fleischer, Direktor des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg.
Wir lernen ja jeden Tag mehr über diese Krankheit und dürfen bei all dem nicht vergessen, dass wir Wissenschaftler eigentlich die Krankheit erst seit drei, vier Wochen halbwegs kennen lernen. Das ist gar nichts im Vergleich zu anderen Infektionskrankheiten...
Reinhard Kurth, Direktor des Robert-Koch-Institutes, Berlin. Noch wissen Ärzte und Forscher wenig über SARS. Wie ist die Krankheit entstanden? Wie wird sie übertragen? Wie ansteckend ist sie? Und wie wird es weiter gehen mit der neuen Seuche? Wird sich SARS über den ganzen Globus ausbreiten? Oder gibt es realistische Chancen, die Krankheit zurückzudrängen? Es gibt mehr Fragen als Antworten. SARS - so viel scheint heute klar - kommt aus China. Aus der Provinz Guangdong.
Es begann ja alles Anfang November in der südchinesischen Provinz Guangdong und ist dann erst Anfang März wirklich aus Guangdong rausgegangen, Ende Februar, Anfang März....
Ein 64 Jahre alter Arzt, Nierenspezialist in Guangzhou, gilt als der erste SARS-Patient, der die Krankheit aus der Region herausgetragen hat - nach Hongkong nämlich. Ein so genannter "Indexfall". Der Mann wohnte im Hongkonger Hotel Metropole. Raum 911.
Das ist zumindest ein Indexfall, den wir heute nachvollziehen können. Inwieweit es andere Indexpatienten gab, die das Virus aus Südchina rausgeschleppt haben, können wir im Moment noch nicht beurteilen.
Andere Gäste des Hotel Metropole, die ebenfalls im 9. Stockwerk wohnten, brachten SARS nach Hanoi, Singapur und Kanada.
Dann breitete sich die neuartige Krankheit weiter aus. Heute hat sie möglicherweise bereits 19 Länder erreicht.
Wir wussten lange nicht, was in China passiert, aber ich habe heute das Gefühl, im Nachhinein ist man natürlich immer schlauer, dass auch die chinesischen Behörden nicht wussten, was in ihrer Provinz vor sich geht, auch die örtlichen Behörden nicht. Was nicht ganz verwunderlich ist, denn dort ist auch Grippesaison, dort ist auch Erkältungssaison, es ist Regenzeit, und dass da eine neue atypische Lungenentzündung auftritt, hätte man natürlich merken können, im Dezember vielleicht oder Anfang Januar. Hat’s aber nicht, und erst, als dann die Fälle in Hongkong und Hanoi auftraten und man ja wusste, dass eine Erkältungswelle durch Südchina läuft, durch Guangdong, wurde man misstrauisch und hat nach einer Verknüpfung gesucht. Heute sind wir halbwegs sicher, dass eine solche Verknüpfung besteht, und dass damit diese neue Seuche oder diese neue Epidemie ihren Ausgangspunkt in Südchina hatte.
In Deutschland kommt SARS am 15. März 2003 an. An einem Samstag. Auf dem Frankfurter Flughafen.
Ein Arzt, seine schwangere Frau und seine Schwiegermutter. Auf dem Weg von New York in die Heimatstadt Singapur. Zwischenlandung in Frankfurt. Der Mann zeigt deutliche SARS-Symptome, die beiden Frauen fühlen sich ebenfalls krank. Sie werden in die Universitätsklinik Frankfurt gebracht.
Der erste SARS-Fall in Deutschland - ein Zufall. Unverhofft sind jetzt auch deutsche Virus-Experten gefragt.
Die Patienten sind eingeliefert worden in die Isolierstation in Frankfurt, und wir haben am Samstag Abend Untersuchungsmaterial von diesen Patienten mit dem Hubschrauber bekommen.
Hans Klenk, Direktor des Instituts für Virologie der Universität Marburg.
Wir haben dann gleich angefangen, dieses Material zu untersuchen, wir haben versucht, die Gene von den damals noch nicht bekannten Erregern nachzuweisen.
Marburg, Frankfurt, Hamburg, Berlin - gleich vier deutsche Institute beteiligten sich an der internationalen Suche nach dem Erreger von SARS.
Und da haben wir Virus gesehen, im Elektronenmikroskop, da lag der Verdacht nahe, dass es das sein könnte, das waren Partikel, die aussahen wie Paramyxoviren.
Ein vorläufiger Befund.
Es hat sich dann allerdings in der Folge herausgestellt, dass in verschiedenen Labors Corona-Viren entdeckt wurden, und heute müssen wir davon ausgehen, dass diese Corona-Viren sicher eine ganz wesentliche oder wahrscheinlich die entscheidende Rolle in der Pathogenese dieser Erkrankung spielen.
Corona-Virus. Durchmesser etwa 100 Nanometer. Kugelförmig. Aus der äußeren Hülle ragen keulenförmige Eiweißstrukturen, so genannte "Spikes". Unter dem Elektronenmikroskop sieht ein Viruspartikel aus wie eine kleine Sonne mit Strahlenkranz. Daher der Name: Corona-Virus.
Corona-Viren bilden eine große Familie. Es gibt Corona-Viren, die sich auf Rinder spezialisiert haben, andere finden sich bei Hund, Katze, Maus, wieder andere befallen Vögel.
Bei der Maus kann Corona-Virus eine Hepatitis, also eine Leberentzündung hervorrufen, beim Schwein kommt es zu einer schweren Gastroenteritis, also zu einer schweren Durchfallerkrankungen. Bei anderen Tieren kann es sich auch um respiratorische Erkrankungen handeln, Lungenentzündungen, es gibt da ein breites Spektrum.
Man kennt beim Menschen zum Beispiel zwei verschiedene Corona-Viren, die leichte Erkältungskrankheiten hervorrufen. Diese Familie von diesen vielen Viren zeigt eben eine mehr oder weniger große Verwandtschaft zwischen den einzelnen Mitgliedern, und dieses neue Corona-Virus ist in seiner genetischen Verwandtschaft den Corona-Viren, die Erkältungskrankheiten bei Vögeln oder auch bei Rindern hervorrufen, ähnlicher als den beiden Corona-Viren des Menschen.
Handelt es sich bei dem potentiellen SARS-Erreger um ein bekanntes Virus, das sich verändert hat, oder um ein altes Virus, das bislang nur noch nicht entdeckt wurde? Darüber, so der Hamburger Tropenmediziner Bernhard Fleischer, diskutieren die Wissenschaftler noch.
Da wird drüber diskutiert, aber natürlich ist das noch Spekulation. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten: Man könnte denken, dass das Virus sich zum Beispiel verändert hat, so wie die Influenza-Viren vielleicht mit einem ähnlichen Mechanismus; es könnte aber auch sein, dass das Virus in dieser Art schon immer vorhanden war, und jetzt plötzlich auf den Menschen übergegangen ist durch einen zufälligen Kontakt zwischen dem Menschen und einem Tier, das dieses Virus beherbergt hat.
Bei welchem Tier allerdings sich der erste SARS-Patient angesteckt haben könnte, ist noch völlig offen. Dass Viren von Tieren auf den Menschen übergehen - für den Virologen Wolfram Gerlich von der Universität Giessen ein bekanntes Phänomen.
Man kann davon ausgehen, dass es immer wieder im Laufe von Jahrtausenden oder Jahrzehtausenden zu einem Übergang von einer Tierart auf den Menschen gekommen ist und umgekehrt. Und dass sich dann ein neu in die Menschheit gekommenes Virus etabliert.
Oft allerdings sind Viren an bestimmte Tiere oder den Menschen angepasst. Und der unfreiwillige Gastgeber hat sich mit dem Virus arrangiert. Die körpereigene Abwehr, das Immunsystem, hält das Virus in Schach.
Ein Beispiel dafür: das Herpes-Virus Typ I. Die Mehrzahl der Menschen trägt es in sich. ohne es zu merken. Nur bei Stress oder zu starker Sonneneinstrahlung bekommen manche kleine, schmerzhafte, blumenkohl-artige Bläschen: Lippenherpes.
Ein Virus, das nicht oder lange nicht krank macht, hat die besten Chancen, sich zu verbreiten. Deshalb ist es eigentlich widersinnig, wenn ein Virus seinen "Wirt" - so der Fachbegriff - umbringt. Trotzdem passiert das immer wieder. Zum Beispiel dann, wenn ein Virus aus Versehen im Menschen landet.
Dieses Springen über die Wirtsbarriere erzeugt immer wieder Krisen einer allzu hohen krank machenden Wirkung.
Die Spezialisierung auf einen bestimmten Wirtsorganismus, ob nun Tier oder Mensch, das, betont der Giessener Virologe Wolfram Gerlich - ist aber nur eine Seite der Medaille.
Umgekehrt sind aber Viren extrem variabel. Ihre geringe Erbmasse erlaubt eine höhere Flexibilität. Es gibt einige extrem variable Viren - HIV ist ein besonders bekanntes Beispiel. Hepatitis C Virus ist ebenfalls sehr variabel. Und diese Variabilität erlaubt es wohl auch bei aller Spezialisierung auf den Wirtsorganismus immer mal wieder, auch die Wirtsbarriere zu überspringen und sich dann wieder relativ schnell an den neuen Wirt anzupassen.
Hinzu kommt, dass Viren den Organismus, in dem sie leben, zwingen, immer neue Viren herzustellen. In sehr großer Zahl.
Alleine diese große Menge bewirkt eine Chance dafür, dass diese Viren in der Umwelt vorkommen und irgendwann dann auch ihr Opfer wieder finden.
Relativ wenige Viren reichen aus, um sich anzustecken.
...und dann breitet es sich bei stattgefundener Vermehrung über den Organismus aus.
Die Forscher wüssten gerne, von welchem Tier SARS auf den Menschen übergegangen ist und wie groß das natürliche Reservoire an diesen neuen Corona-Viren ist. Bei der Suche helfen genetische Analysen. Kanadische Forscher berichten jetzt, sie hätten das Erbgut des Virus vollständig entschlüsselt. Vergleiche mit Gen-Bibliotheken im Internet erlauben nun, den Kreis enger zu ziehen.
Hühner, Schweine, Kühe, Nagetiere, wildlebende Vögel, Insekten - zum Beispiel Kakerlaken - oder exotische Tiere - wie etwa Schlangen. Zur Zeit kommen noch zu viele Tierarten in Frage. Handelte es sich bei dem Überträger um eine seltene Tierart - dann wäre es einfach, einen direkten, potentiell gefährlichen Kontakt zu vermeiden. Wenn Enten oder Hühner die Überträger wären, dann wäre das schon schwieriger. Und das Virus würde wahrscheinlich immer wieder in der menschlichen Bevölkerung auftauchen.
Für die Ausbreitung der Seuche unter den Menschen entscheidend ist aber: Wie ansteckend ist das Corona-Virus wirklich? Und wie wird es von Mensch zu Mensch weitergegeben? Vieles spricht dafür, dass Infizierte erst, wenn bei ihnen die Krankheit schon ausgebrochen ist, für andere Menschen ansteckend sind. Bernhard Fleischer, der Direktor des Hamburger Bernhard-Nocht-Instituts:
Wir haben z.B. nicht gefunden, dass in der Bevölkerung das Virus sich in großem Stil ausbreitet, d.h. Leute, die gar nicht krank sind und herumlaufen und das Virus weitergeben, sind anscheinend selten bisher.
Auch die Schwere der SARS-Erkrankung scheint vor allem von der Menge der Viren abhängig zu sein, mit der ein Mensch sich ansteckt.
Wir wissen z.B., dass die eine Patientin, die in Frankfurt behandelt wurde, nicht sehr stark erkrankt war, die wäre vielleicht gar nicht als SARS-Fall aufgefallen, aber sie hat doch Virus gehabt und auch ausgeschieden.
Der wichtigste gesicherte Übertragungsweg für SARS ist die Atemluft.
Das sind Tröpfcheninfektionen, d.h. mit dem Atem und dem Husten wird das Virus in kleinen Tröpfchen ausgehustet und auf den gegenüber stehenden Menschen übertragen.
Nicht alle SARS-Fälle lassen sich so erklären. Reinhard Kurth, der Direktor des Robert-Koch-Instituts Berlin.
Jetzt haben wir in Hongkong Übertragungsketten, die wir nicht gut erklären können, Menschen, die plötzlich die Krankheit haben, ohne dass sie uns Risikofaktoren angeben können. Dann weiß man seit etwa einer Woche erst, dass das Virus auch in hohen Konzentrationen im Stuhl ausgeschieden wird, das bedeutet, für die Fachwelt immer grundsätzlich, dass über Schmierinfektionen das Virus übertragen werden kann, wenn die Händehygiene mangelhaft ist, dass dann Türklinken und ähnliches, was man mit seinen Händen so anfasst zur Übertragung geeignet sein können. Und in Hongkong diskutieren ja auch die Behörden, ob im Abwassersystem irgendwo ein Leck war, so dass das Virus darüber in die betroffenen Wohnblocks übertragen werden konnte.
Wir wissen, dass das Virus nicht sehr resistent gegen die Umwelt ist, d.h. nach zwei bis drei Stunden bei Raumtemperatur wird das Virus inaktiv werden. Aber diese Zeit könnte doch reichen, Infektionen hervorzurufen.
Wir wissen, dass das Virus über die Atemluft übertragen wird, wir wissen, dass es über den Stuhl ausgeschieden wird, aber alle Wege der Übertragung kennen wir zum heutigen Tage immer noch nicht.
In Europa, den USA und Kanada ist es mit klassischen Mitteln der Seuchenhygiene bislang gelungen, SARS unter Kontrolle zu bringen.
Die Devise: Kranke isolieren. Quarantäne für Kontaktpersonen oder Menschen mit verdächtigen Symptomen. Händewaschen. Mundschutz, Handschuhe für besonders gefährdetes Krankenhauspersonal. Desinfektion von allem, was ein Kranker berührt. Das soll die Ausbreitung der Krankheit verhindern, Infektionsketten unterbrechen.
Auch in Südost-Asien verfolgen Behörden und Krankenhäuser dieses Konzept, und versuchen es - trotz einer steigenden Zahl von SARS-Kranken - konsequent durchzusetzen. Reinhard Kurth vom Robert-Koch-Institut in Berlin:
Zum Beispiel eine sehr rabiate Quarantäne. Jeder, der auch nur im Verdacht steht, mit einem potenziellen SARS-Opfer in Kontakt gewesen zu sein, wird ja im Moment 10 Tage weggesperrt. Das betrifft in Hongkong nach meinen Informationen gut 2000 Leute im Moment, und dann natürlich Sanierungsmaßnahmen gerade in den betroffenen Wohnblocks, was die Wasserqualität und Abwasserqualität betrifft. Und ansonsten eine gute Surveillance: Man versucht, jeden einzelnen Fall aufzuspüren, und dann muss man jetzt sehen, wie der Erfolg sein wird in den nächsten Wochen.
Kann es so gelingen, SARS wieder zum Verschwinden zu bringen? In Zeiten globaler Handelsbeziehungen und weltumspannenden Flugverkehrs? Der Tropenmediziner Bernhard Fleischer:
Ja, das ist eine ganz spannende Frage, die noch nicht ganz klar beantwortet werden kann. Das Virus kann man natürlich nur vollständig aus der menschlichen Gesellschaft eliminieren, wenn es gelingt, sämtliche Patienten zu erfassen und so lange in Quarantäne zu setzen, bis die Infektion jeweils dort überwunden ist, also etwa zehn Tage. Und das scheint doch sehr schwierig zu sein, weil immer wieder neue Fälle auftauchen. Die Zahl der Fälle wird zwar an manchen Stellen geringer, dafür treten anderswo wieder neue Fälle auf.
Fleischers Marburger Kollege Hans Klenk beurteilt die Lage optimistischer.
Ich halte es im Augenblick schon noch durchaus für denkbar, dass wir diese Infektion durch Verhütungsmaßnahmen wieder praktisch eliminieren können, oder dass sie auch unter Umständen aus uns nicht erklärlichen Gründen von allein wieder verschwindet.
Ja, die Gefährlichkeit wird natürlich oft diskutiert, es ist immer schwierig, Viren zu vergleichen. Wir kennen ja das Influenza-Virus gut und wissen, dass es da Stämme gibt, die sehr schwere Lungenentzündungen hervorrufen, und man schätzt ja, dass in Deutschland die letzte Grippe des letzten Jahres ungefähr 9.000 Tote gefordert hat, also eine relativ hohe Zahl.....
Der Vergleich ließe sich fortführen: Letztes Jahr starben mehr als 3 Millionen Menschen an AIDS, beinahe eben so viele an Tuberkulose, die Malaria kostete zwei Millionen Menschen das Leben. Seit November sind dagegen 3200 SARS-Verdachtsfälle gemeldet worden und etwa 150 Todesfälle. Dennoch ist das Auftauchen der neuen, noch unbekannten Krankheit beunruhigend. Denn Medikamente, die eine Heilung der Lungenentzündung versprechen, gibt es nicht.
Von 100 Menschen, die sich anstecken, erkranken 10 schwer an SARS. 3 bis 4 Patienten sterben. Antibiotika, um bakteriellen Infektionen vorzubeugen, das Fieber senken, den Kreislauf stabilisieren - das ist alles, was Ärzte für SARS-Patienten tun können. Das Virus besiegen kann nur der Kranke selbst - genau gesagt: sein Immunsystem.
Wirkstoffe zu entwickeln, die die Corona-Viren gezielt bekämpfen - also ihre Vermehrung blockieren - das wird voraussichtlich einige Jahre dauern. Langfristig bleibt die Hoffnung auf eine Schutzimpfung. Bernhard Fleischer verweist auf die guten Erfahrungen mit der Impfung gegen die Virus-Grippe, die Influenza.
Bei den Influenza-Viren ist zwar eine ganz andere Situation, ist man ja auch in der Lage, einen Impfstoff schnell herzustellen, wenn man sieht, welcher neue Stamm da auf die Welt zukommt, also im Prinzip ist die Produktion in großen Dosen und auch die Verabreichung - das ginge relativ schnell. Es kommt jetzt darauf an, wie schnell die Zulassungen laufen. Man muss ja ausschließen, dass es Nebenwirkungen gibt, aber vielleicht kann man solche Studien mit Hochdruck schnell durchführen.
Reinhard Kurth, der Direktor des Berliner Robert-Koch-Instituts dämpft den Optimismus.
Die Influenza-Viren kennen wir nun schon länger, wir haben eine Impfstoffproduktion seit mehreren Jahrzehnten, wir wissen, mit welcher Technologie wir zum Ziel kommen. Das alles wissen wir bei Corona-Viren nicht. Ich würde vorhersagen, bei dieser Art von Virusfamilie und ihrem genetischen Material sollte eigentlich eine Impfstoffherstellung möglich sein, aber ich darf nur daran erinnern, wie sehr sich die Wissenschaftler und dann auch die Politiker verschätzt hatten, als sie gesagt haben, gegen das AIDS-Virus haben wir auch in zwei Jahren einen Impfstoff und 20 Jahre später haben wir ihn immer noch nicht.
SARS - die neue Seuche hat die Virus-Forscher der Welt enger zusammenrücken lassen, unter der Regie der Weltgesundheitsorganisation WHO. In täglichen Telefonkonferenzen tauschen sich die konkurrierenden Forscher aus. Ein Novum, auch für Bernhard Fleischer, den Direktor des Bernhard-Nocht-Instituts.
Das ist insofern vielleicht ungewöhnlich, als in diesen Telefonkonferenzen ganz freimütig die neuesten Ergebnisse dargelegt wurden, es wurden also keine Geheimnisse zurückbehalten, sondern jeder hat ganz offen diskutiert, was er hatte. Und das war sicherlich dafür verantwortlich, dass noch nie in der Geschichte der Infektionskrankheiten so schnell nach Entdecken einer neuen Krankheit auch der Erreger gefunden wurde.
Gegen neue Bedrohungen helfen allein schneller Austausch und gemeinsames Handeln. Das haben selbst die chinesischen Behörden eingesehen. Sie haben sich offiziell für ihre restriktive Informationspolitik entschuldigt und arbeiten jetzt eng mit der WHO zusammen im Kampf gegen SARS.
Die Röhrchen steckt er in die automatische Zentrifuge.
Und ab geht die Post. Ich guck mal, ob die Einstellungen stimmen, die stimmen...
1 Minute. 1000 Umdrehungen.
Vier verschiedene Flüssigkeiten, viermal werden die Proben geschleudert. Der erste Arbeitsgang. Was Markus Eickmann sucht - das ist Erbinformation von Viren. Genau gesagt: die des Erregers der neuartigen Lungenentzündung SARS, des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms. Die Virus-Erbinformation ist von allen störenden Substanzen abgetrennt, jetzt muss sie nur noch vermehrt werden, dann kann in einem weiteren Gerät, einem Sequenzierautomaten, der Aufbau der Erbinformation genauer untersucht werden.
Der Name SARS beschreibt nichts anderes als das klinische Symptom, nämlich eine schwere akute Lungenentzündung. Sie besteht aus Fieber und Atemnot und eben einer Beteiligung der Lunge, so dass die Lunge geschädigt wird...
Bernhard Fleischer, Direktor des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg.
Wir lernen ja jeden Tag mehr über diese Krankheit und dürfen bei all dem nicht vergessen, dass wir Wissenschaftler eigentlich die Krankheit erst seit drei, vier Wochen halbwegs kennen lernen. Das ist gar nichts im Vergleich zu anderen Infektionskrankheiten...
Reinhard Kurth, Direktor des Robert-Koch-Institutes, Berlin. Noch wissen Ärzte und Forscher wenig über SARS. Wie ist die Krankheit entstanden? Wie wird sie übertragen? Wie ansteckend ist sie? Und wie wird es weiter gehen mit der neuen Seuche? Wird sich SARS über den ganzen Globus ausbreiten? Oder gibt es realistische Chancen, die Krankheit zurückzudrängen? Es gibt mehr Fragen als Antworten. SARS - so viel scheint heute klar - kommt aus China. Aus der Provinz Guangdong.
Es begann ja alles Anfang November in der südchinesischen Provinz Guangdong und ist dann erst Anfang März wirklich aus Guangdong rausgegangen, Ende Februar, Anfang März....
Ein 64 Jahre alter Arzt, Nierenspezialist in Guangzhou, gilt als der erste SARS-Patient, der die Krankheit aus der Region herausgetragen hat - nach Hongkong nämlich. Ein so genannter "Indexfall". Der Mann wohnte im Hongkonger Hotel Metropole. Raum 911.
Das ist zumindest ein Indexfall, den wir heute nachvollziehen können. Inwieweit es andere Indexpatienten gab, die das Virus aus Südchina rausgeschleppt haben, können wir im Moment noch nicht beurteilen.
Andere Gäste des Hotel Metropole, die ebenfalls im 9. Stockwerk wohnten, brachten SARS nach Hanoi, Singapur und Kanada.
Dann breitete sich die neuartige Krankheit weiter aus. Heute hat sie möglicherweise bereits 19 Länder erreicht.
Wir wussten lange nicht, was in China passiert, aber ich habe heute das Gefühl, im Nachhinein ist man natürlich immer schlauer, dass auch die chinesischen Behörden nicht wussten, was in ihrer Provinz vor sich geht, auch die örtlichen Behörden nicht. Was nicht ganz verwunderlich ist, denn dort ist auch Grippesaison, dort ist auch Erkältungssaison, es ist Regenzeit, und dass da eine neue atypische Lungenentzündung auftritt, hätte man natürlich merken können, im Dezember vielleicht oder Anfang Januar. Hat’s aber nicht, und erst, als dann die Fälle in Hongkong und Hanoi auftraten und man ja wusste, dass eine Erkältungswelle durch Südchina läuft, durch Guangdong, wurde man misstrauisch und hat nach einer Verknüpfung gesucht. Heute sind wir halbwegs sicher, dass eine solche Verknüpfung besteht, und dass damit diese neue Seuche oder diese neue Epidemie ihren Ausgangspunkt in Südchina hatte.
In Deutschland kommt SARS am 15. März 2003 an. An einem Samstag. Auf dem Frankfurter Flughafen.
Ein Arzt, seine schwangere Frau und seine Schwiegermutter. Auf dem Weg von New York in die Heimatstadt Singapur. Zwischenlandung in Frankfurt. Der Mann zeigt deutliche SARS-Symptome, die beiden Frauen fühlen sich ebenfalls krank. Sie werden in die Universitätsklinik Frankfurt gebracht.
Der erste SARS-Fall in Deutschland - ein Zufall. Unverhofft sind jetzt auch deutsche Virus-Experten gefragt.
Die Patienten sind eingeliefert worden in die Isolierstation in Frankfurt, und wir haben am Samstag Abend Untersuchungsmaterial von diesen Patienten mit dem Hubschrauber bekommen.
Hans Klenk, Direktor des Instituts für Virologie der Universität Marburg.
Wir haben dann gleich angefangen, dieses Material zu untersuchen, wir haben versucht, die Gene von den damals noch nicht bekannten Erregern nachzuweisen.
Marburg, Frankfurt, Hamburg, Berlin - gleich vier deutsche Institute beteiligten sich an der internationalen Suche nach dem Erreger von SARS.
Und da haben wir Virus gesehen, im Elektronenmikroskop, da lag der Verdacht nahe, dass es das sein könnte, das waren Partikel, die aussahen wie Paramyxoviren.
Ein vorläufiger Befund.
Es hat sich dann allerdings in der Folge herausgestellt, dass in verschiedenen Labors Corona-Viren entdeckt wurden, und heute müssen wir davon ausgehen, dass diese Corona-Viren sicher eine ganz wesentliche oder wahrscheinlich die entscheidende Rolle in der Pathogenese dieser Erkrankung spielen.
Corona-Virus. Durchmesser etwa 100 Nanometer. Kugelförmig. Aus der äußeren Hülle ragen keulenförmige Eiweißstrukturen, so genannte "Spikes". Unter dem Elektronenmikroskop sieht ein Viruspartikel aus wie eine kleine Sonne mit Strahlenkranz. Daher der Name: Corona-Virus.
Corona-Viren bilden eine große Familie. Es gibt Corona-Viren, die sich auf Rinder spezialisiert haben, andere finden sich bei Hund, Katze, Maus, wieder andere befallen Vögel.
Bei der Maus kann Corona-Virus eine Hepatitis, also eine Leberentzündung hervorrufen, beim Schwein kommt es zu einer schweren Gastroenteritis, also zu einer schweren Durchfallerkrankungen. Bei anderen Tieren kann es sich auch um respiratorische Erkrankungen handeln, Lungenentzündungen, es gibt da ein breites Spektrum.
Man kennt beim Menschen zum Beispiel zwei verschiedene Corona-Viren, die leichte Erkältungskrankheiten hervorrufen. Diese Familie von diesen vielen Viren zeigt eben eine mehr oder weniger große Verwandtschaft zwischen den einzelnen Mitgliedern, und dieses neue Corona-Virus ist in seiner genetischen Verwandtschaft den Corona-Viren, die Erkältungskrankheiten bei Vögeln oder auch bei Rindern hervorrufen, ähnlicher als den beiden Corona-Viren des Menschen.
Handelt es sich bei dem potentiellen SARS-Erreger um ein bekanntes Virus, das sich verändert hat, oder um ein altes Virus, das bislang nur noch nicht entdeckt wurde? Darüber, so der Hamburger Tropenmediziner Bernhard Fleischer, diskutieren die Wissenschaftler noch.
Da wird drüber diskutiert, aber natürlich ist das noch Spekulation. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten: Man könnte denken, dass das Virus sich zum Beispiel verändert hat, so wie die Influenza-Viren vielleicht mit einem ähnlichen Mechanismus; es könnte aber auch sein, dass das Virus in dieser Art schon immer vorhanden war, und jetzt plötzlich auf den Menschen übergegangen ist durch einen zufälligen Kontakt zwischen dem Menschen und einem Tier, das dieses Virus beherbergt hat.
Bei welchem Tier allerdings sich der erste SARS-Patient angesteckt haben könnte, ist noch völlig offen. Dass Viren von Tieren auf den Menschen übergehen - für den Virologen Wolfram Gerlich von der Universität Giessen ein bekanntes Phänomen.
Man kann davon ausgehen, dass es immer wieder im Laufe von Jahrtausenden oder Jahrzehtausenden zu einem Übergang von einer Tierart auf den Menschen gekommen ist und umgekehrt. Und dass sich dann ein neu in die Menschheit gekommenes Virus etabliert.
Oft allerdings sind Viren an bestimmte Tiere oder den Menschen angepasst. Und der unfreiwillige Gastgeber hat sich mit dem Virus arrangiert. Die körpereigene Abwehr, das Immunsystem, hält das Virus in Schach.
Ein Beispiel dafür: das Herpes-Virus Typ I. Die Mehrzahl der Menschen trägt es in sich. ohne es zu merken. Nur bei Stress oder zu starker Sonneneinstrahlung bekommen manche kleine, schmerzhafte, blumenkohl-artige Bläschen: Lippenherpes.
Ein Virus, das nicht oder lange nicht krank macht, hat die besten Chancen, sich zu verbreiten. Deshalb ist es eigentlich widersinnig, wenn ein Virus seinen "Wirt" - so der Fachbegriff - umbringt. Trotzdem passiert das immer wieder. Zum Beispiel dann, wenn ein Virus aus Versehen im Menschen landet.
Dieses Springen über die Wirtsbarriere erzeugt immer wieder Krisen einer allzu hohen krank machenden Wirkung.
Die Spezialisierung auf einen bestimmten Wirtsorganismus, ob nun Tier oder Mensch, das, betont der Giessener Virologe Wolfram Gerlich - ist aber nur eine Seite der Medaille.
Umgekehrt sind aber Viren extrem variabel. Ihre geringe Erbmasse erlaubt eine höhere Flexibilität. Es gibt einige extrem variable Viren - HIV ist ein besonders bekanntes Beispiel. Hepatitis C Virus ist ebenfalls sehr variabel. Und diese Variabilität erlaubt es wohl auch bei aller Spezialisierung auf den Wirtsorganismus immer mal wieder, auch die Wirtsbarriere zu überspringen und sich dann wieder relativ schnell an den neuen Wirt anzupassen.
Hinzu kommt, dass Viren den Organismus, in dem sie leben, zwingen, immer neue Viren herzustellen. In sehr großer Zahl.
Alleine diese große Menge bewirkt eine Chance dafür, dass diese Viren in der Umwelt vorkommen und irgendwann dann auch ihr Opfer wieder finden.
Relativ wenige Viren reichen aus, um sich anzustecken.
...und dann breitet es sich bei stattgefundener Vermehrung über den Organismus aus.
Die Forscher wüssten gerne, von welchem Tier SARS auf den Menschen übergegangen ist und wie groß das natürliche Reservoire an diesen neuen Corona-Viren ist. Bei der Suche helfen genetische Analysen. Kanadische Forscher berichten jetzt, sie hätten das Erbgut des Virus vollständig entschlüsselt. Vergleiche mit Gen-Bibliotheken im Internet erlauben nun, den Kreis enger zu ziehen.
Hühner, Schweine, Kühe, Nagetiere, wildlebende Vögel, Insekten - zum Beispiel Kakerlaken - oder exotische Tiere - wie etwa Schlangen. Zur Zeit kommen noch zu viele Tierarten in Frage. Handelte es sich bei dem Überträger um eine seltene Tierart - dann wäre es einfach, einen direkten, potentiell gefährlichen Kontakt zu vermeiden. Wenn Enten oder Hühner die Überträger wären, dann wäre das schon schwieriger. Und das Virus würde wahrscheinlich immer wieder in der menschlichen Bevölkerung auftauchen.
Für die Ausbreitung der Seuche unter den Menschen entscheidend ist aber: Wie ansteckend ist das Corona-Virus wirklich? Und wie wird es von Mensch zu Mensch weitergegeben? Vieles spricht dafür, dass Infizierte erst, wenn bei ihnen die Krankheit schon ausgebrochen ist, für andere Menschen ansteckend sind. Bernhard Fleischer, der Direktor des Hamburger Bernhard-Nocht-Instituts:
Wir haben z.B. nicht gefunden, dass in der Bevölkerung das Virus sich in großem Stil ausbreitet, d.h. Leute, die gar nicht krank sind und herumlaufen und das Virus weitergeben, sind anscheinend selten bisher.
Auch die Schwere der SARS-Erkrankung scheint vor allem von der Menge der Viren abhängig zu sein, mit der ein Mensch sich ansteckt.
Wir wissen z.B., dass die eine Patientin, die in Frankfurt behandelt wurde, nicht sehr stark erkrankt war, die wäre vielleicht gar nicht als SARS-Fall aufgefallen, aber sie hat doch Virus gehabt und auch ausgeschieden.
Der wichtigste gesicherte Übertragungsweg für SARS ist die Atemluft.
Das sind Tröpfcheninfektionen, d.h. mit dem Atem und dem Husten wird das Virus in kleinen Tröpfchen ausgehustet und auf den gegenüber stehenden Menschen übertragen.
Nicht alle SARS-Fälle lassen sich so erklären. Reinhard Kurth, der Direktor des Robert-Koch-Instituts Berlin.
Jetzt haben wir in Hongkong Übertragungsketten, die wir nicht gut erklären können, Menschen, die plötzlich die Krankheit haben, ohne dass sie uns Risikofaktoren angeben können. Dann weiß man seit etwa einer Woche erst, dass das Virus auch in hohen Konzentrationen im Stuhl ausgeschieden wird, das bedeutet, für die Fachwelt immer grundsätzlich, dass über Schmierinfektionen das Virus übertragen werden kann, wenn die Händehygiene mangelhaft ist, dass dann Türklinken und ähnliches, was man mit seinen Händen so anfasst zur Übertragung geeignet sein können. Und in Hongkong diskutieren ja auch die Behörden, ob im Abwassersystem irgendwo ein Leck war, so dass das Virus darüber in die betroffenen Wohnblocks übertragen werden konnte.
Wir wissen, dass das Virus nicht sehr resistent gegen die Umwelt ist, d.h. nach zwei bis drei Stunden bei Raumtemperatur wird das Virus inaktiv werden. Aber diese Zeit könnte doch reichen, Infektionen hervorzurufen.
Wir wissen, dass das Virus über die Atemluft übertragen wird, wir wissen, dass es über den Stuhl ausgeschieden wird, aber alle Wege der Übertragung kennen wir zum heutigen Tage immer noch nicht.
In Europa, den USA und Kanada ist es mit klassischen Mitteln der Seuchenhygiene bislang gelungen, SARS unter Kontrolle zu bringen.
Die Devise: Kranke isolieren. Quarantäne für Kontaktpersonen oder Menschen mit verdächtigen Symptomen. Händewaschen. Mundschutz, Handschuhe für besonders gefährdetes Krankenhauspersonal. Desinfektion von allem, was ein Kranker berührt. Das soll die Ausbreitung der Krankheit verhindern, Infektionsketten unterbrechen.
Auch in Südost-Asien verfolgen Behörden und Krankenhäuser dieses Konzept, und versuchen es - trotz einer steigenden Zahl von SARS-Kranken - konsequent durchzusetzen. Reinhard Kurth vom Robert-Koch-Institut in Berlin:
Zum Beispiel eine sehr rabiate Quarantäne. Jeder, der auch nur im Verdacht steht, mit einem potenziellen SARS-Opfer in Kontakt gewesen zu sein, wird ja im Moment 10 Tage weggesperrt. Das betrifft in Hongkong nach meinen Informationen gut 2000 Leute im Moment, und dann natürlich Sanierungsmaßnahmen gerade in den betroffenen Wohnblocks, was die Wasserqualität und Abwasserqualität betrifft. Und ansonsten eine gute Surveillance: Man versucht, jeden einzelnen Fall aufzuspüren, und dann muss man jetzt sehen, wie der Erfolg sein wird in den nächsten Wochen.
Kann es so gelingen, SARS wieder zum Verschwinden zu bringen? In Zeiten globaler Handelsbeziehungen und weltumspannenden Flugverkehrs? Der Tropenmediziner Bernhard Fleischer:
Ja, das ist eine ganz spannende Frage, die noch nicht ganz klar beantwortet werden kann. Das Virus kann man natürlich nur vollständig aus der menschlichen Gesellschaft eliminieren, wenn es gelingt, sämtliche Patienten zu erfassen und so lange in Quarantäne zu setzen, bis die Infektion jeweils dort überwunden ist, also etwa zehn Tage. Und das scheint doch sehr schwierig zu sein, weil immer wieder neue Fälle auftauchen. Die Zahl der Fälle wird zwar an manchen Stellen geringer, dafür treten anderswo wieder neue Fälle auf.
Fleischers Marburger Kollege Hans Klenk beurteilt die Lage optimistischer.
Ich halte es im Augenblick schon noch durchaus für denkbar, dass wir diese Infektion durch Verhütungsmaßnahmen wieder praktisch eliminieren können, oder dass sie auch unter Umständen aus uns nicht erklärlichen Gründen von allein wieder verschwindet.
Ja, die Gefährlichkeit wird natürlich oft diskutiert, es ist immer schwierig, Viren zu vergleichen. Wir kennen ja das Influenza-Virus gut und wissen, dass es da Stämme gibt, die sehr schwere Lungenentzündungen hervorrufen, und man schätzt ja, dass in Deutschland die letzte Grippe des letzten Jahres ungefähr 9.000 Tote gefordert hat, also eine relativ hohe Zahl.....
Der Vergleich ließe sich fortführen: Letztes Jahr starben mehr als 3 Millionen Menschen an AIDS, beinahe eben so viele an Tuberkulose, die Malaria kostete zwei Millionen Menschen das Leben. Seit November sind dagegen 3200 SARS-Verdachtsfälle gemeldet worden und etwa 150 Todesfälle. Dennoch ist das Auftauchen der neuen, noch unbekannten Krankheit beunruhigend. Denn Medikamente, die eine Heilung der Lungenentzündung versprechen, gibt es nicht.
Von 100 Menschen, die sich anstecken, erkranken 10 schwer an SARS. 3 bis 4 Patienten sterben. Antibiotika, um bakteriellen Infektionen vorzubeugen, das Fieber senken, den Kreislauf stabilisieren - das ist alles, was Ärzte für SARS-Patienten tun können. Das Virus besiegen kann nur der Kranke selbst - genau gesagt: sein Immunsystem.
Wirkstoffe zu entwickeln, die die Corona-Viren gezielt bekämpfen - also ihre Vermehrung blockieren - das wird voraussichtlich einige Jahre dauern. Langfristig bleibt die Hoffnung auf eine Schutzimpfung. Bernhard Fleischer verweist auf die guten Erfahrungen mit der Impfung gegen die Virus-Grippe, die Influenza.
Bei den Influenza-Viren ist zwar eine ganz andere Situation, ist man ja auch in der Lage, einen Impfstoff schnell herzustellen, wenn man sieht, welcher neue Stamm da auf die Welt zukommt, also im Prinzip ist die Produktion in großen Dosen und auch die Verabreichung - das ginge relativ schnell. Es kommt jetzt darauf an, wie schnell die Zulassungen laufen. Man muss ja ausschließen, dass es Nebenwirkungen gibt, aber vielleicht kann man solche Studien mit Hochdruck schnell durchführen.
Reinhard Kurth, der Direktor des Berliner Robert-Koch-Instituts dämpft den Optimismus.
Die Influenza-Viren kennen wir nun schon länger, wir haben eine Impfstoffproduktion seit mehreren Jahrzehnten, wir wissen, mit welcher Technologie wir zum Ziel kommen. Das alles wissen wir bei Corona-Viren nicht. Ich würde vorhersagen, bei dieser Art von Virusfamilie und ihrem genetischen Material sollte eigentlich eine Impfstoffherstellung möglich sein, aber ich darf nur daran erinnern, wie sehr sich die Wissenschaftler und dann auch die Politiker verschätzt hatten, als sie gesagt haben, gegen das AIDS-Virus haben wir auch in zwei Jahren einen Impfstoff und 20 Jahre später haben wir ihn immer noch nicht.
SARS - die neue Seuche hat die Virus-Forscher der Welt enger zusammenrücken lassen, unter der Regie der Weltgesundheitsorganisation WHO. In täglichen Telefonkonferenzen tauschen sich die konkurrierenden Forscher aus. Ein Novum, auch für Bernhard Fleischer, den Direktor des Bernhard-Nocht-Instituts.
Das ist insofern vielleicht ungewöhnlich, als in diesen Telefonkonferenzen ganz freimütig die neuesten Ergebnisse dargelegt wurden, es wurden also keine Geheimnisse zurückbehalten, sondern jeder hat ganz offen diskutiert, was er hatte. Und das war sicherlich dafür verantwortlich, dass noch nie in der Geschichte der Infektionskrankheiten so schnell nach Entdecken einer neuen Krankheit auch der Erreger gefunden wurde.
Gegen neue Bedrohungen helfen allein schneller Austausch und gemeinsames Handeln. Das haben selbst die chinesischen Behörden eingesehen. Sie haben sich offiziell für ihre restriktive Informationspolitik entschuldigt und arbeiten jetzt eng mit der WHO zusammen im Kampf gegen SARS.