Der Migrationsforscher Benjamin Etzold fordert dazu auf, Migration nicht als Problem zu betrachten. "Migration ist ein Normalfall und gehört zur Menschheitsgeschichte dazu und wir haben weltweit über 280 Millionen internationale Migranten", so Etzold. Vielmehr sei der Nationalstaat, der sich abschotte, "ein politisch junges Konstrukt".
Migration verläuft nicht gradlinig
Es fehle der politische Wille, mit dem Thema der Migration konstruktiver und produktiver umzugehen. Dazu benötige es eine Entskandalisierung, eine Normalisierung von Praktiken und Verfahren und gesellschaftliche Akzeptanz. Hinzu komme eine verkürzte Darstellung von Migration. Diese wird in der politischen und medialen Debatte meist gradlinig dargestellt. Man müsse aber auch sehen, dass die Menschen unterwegs vor vielfache Entscheidungen gestellt werden: "Die Motivation kann sich unterwegs ändern", so Etzold.
Mehr zum Thema Migration:
Für Migranten dauere es häufig Monate bis Jahre, bis sie in einem neuen Land Fuß fassen könnten, so Etzold. Während dieser Umwege verharrten viele von ihnen in sehr prekären Lebensverhältnissen, ohne wirkliche Perspektiven.
"Man kann einen Winter in einem Flüchtlingslager überstehen und vielleicht auch akzeptieren, wenn die Kinder ein oder zwei Jahre nicht in die Schule gehen, aber wenn das dauerhaft wird, suchen die Menschen für sich selbst oder für die Kinder bessere Möglichkeiten - an einem anderen Ort."
Strategie der Abschreckung
Mit den Flüchtlingslagern in Griechenland verfolge Europa bewusst eine Strategie der Abschreckung. Die schlechten Bedingungen sollen Menschen davon abhalten, sich überhaupt auf den Weg zu machen.
"Wenn man wirklich Ordnung in das Chaos bringen möchte, muss man dafür sorgen, dass legale, sichere Zugangswege auch in die Europäische Union eröffnet werden." Es gebe es aber kein politisches Interesse, große Lösungen anzubieten und zu suchen, sagte der Migrationsforscher.
Migration und Medien: Wer macht die neue Welle? Simon Goebel im Interview
Die EU mache sich dadurch erpressbar, dass sie nur auf das Instrument der Grenzsicherung setze, sagte Etzold. Seit Wochen versuchen Tausende Migranten und Flüchtlinge, von Belarus über die EU-Außengrenzen nach Polen oder in die baltischen Staaten zu gelangen. Die EU-Staaten haben Stacheldrahtzäune errichtet, um die Migranten aufzuhalten.
Der Migrationsforscher weist außerdem darauf hin, dass die Europäische Union darauf angewiesen sei, mit den EU-Nachbarstaaten zusammenzuarbeiten. "Wenn diese Länder nicht kooperierten, steht sie im Regen."