Kate Maleike: Schulen gegen Amokläufe zu sichern, das ist ein verständliches Grundbedürfnis geworden, seitdem auch in Deutschland Gewalttaten wie die zum Beispiel in Erfurt oder Winnenden diese Gegenmaßnahmen erfordern. Viele Schulen rüsten sich ja mit Alarmsystemen aus oder mit Notfallplänen, und Lehrer werden fortgebildet, und an der FU Berlin ist ein Zentrum, eine Forschungsstelle entstanden, die sich mit schwerer zielgerichteter Gewalt an Schulen beschäftigt. Vincenz Leuschner ist dort Projektleiter des Netzwerkes Netwass, das steht abgekürzt für Networks against School Shootings. Guten Tag, Herr Leuschner!
Vincenz Leuschner: Ja, guten Tag, hallo!
Maleike: Erklären Sie uns mal, was Netwass ist. Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Leuschner: Netwass ist ein Forschungsprogramm, was über drei Jahre hier an der freien Universität durchgeführt wurde und jetzt kurz vor dem Abschluss steht, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, und Netwass verfolgt das Ziel, Schulmitarbeitern durch eigentlich die Entwicklung eines wissenschaftlich begründeten Krisenpräventionsverfahrens eine frühe Identifizierung oder sichere Bewertung auch von krisenhaften Entwicklungsverläufen bei Jugendlichen zu ermöglichen, die in Richtung einer schweren Schulgewalttat gehen. Das heißt, uns geht es vor allem darum, dass also eine Früherkennung und sichere Einschätzung von Gewaltandrohung an den Schulen stattfinden kann, und die Lehrer sich letztendlich mit dem, mit was sie konfrontiert sind, und mit den Ankündigungen, mit denen sie konfrontiert sind, einfach in der Zukunft handlungssicher umgehen können. Das ist unser Ziel, also wir zielen nicht direkt darauf, und es wird auch nicht möglich sein, Amokläufe zu verhindern oder vorherzusagen. Also auf die Verhinderung natürlich schon, aber die Verhinderung setzt immer voraus, dass man frühe Anzeichen erkennt, und dass man halt auch adäquat reagiert. Und da ist unser Weg, das, denken wir, ist die sinnvollste Variante, Prävention zu betreiben.
Maleike: Heißt also, dem Lehrer kommt eine Schlüsselposition bei der ganzen Geschichte zu?
Leuschner: Dem Lehrer natürlich nicht allein, also wir können im Grunde aus der wissenschaftlichen Untersuchung vergangener Taten drei wesentliche Erkenntnisse ableiten. Das eine ist, dass School Shootings immer sehr viele Ursachen haben, also nicht auf eine Ursache allein zurückzuführen sind, sondern viele Faktoren da eine Rolle spielen, weshalb eine Vorhersage eigentlich nicht möglich ist. Aber es gab eben im Vorfeld immer eine krisenhafte Entwicklung des Schülers, die sich lange hingezogen hat, und diese Entwicklung war immer begleitet durch Anzeichen und Hinweise, die letztendlich der spätere Täter auch gegenüber anderen Personen geäußert hat. Vor allem natürlich hinsichtlich gegenüber Gleichaltrigen und vor allem auch im Schulkontext gegenüber Gleichaltrigen. Lehrer können im Grunde nur mittelbar davon mitbekommen, wenn sie letztendlich von auch Schülern darüber informiert werden, oder wenn sie von Schülern so etwas mitgeteilt bekommen. Natürlich darf man genau so wenig das Elternhaus außen vorlassen, nur gerade für Präventionsbemühungen, die möglich sind, ist natürlich erst mal die Schule ein guter Ort, dort anzusetzen, weil die Schüler dort erreichbar sind und die Lehrer tatsächlich ja eben auch mit solchen Ankündigungen konfrontiert werden.
Maleike: Kann man denn eigentlich sagen, dass sich Schuldeutschland auf das Thema Amoklauf in den letzten Jahren besser vorbereitet hat oder überhaupt ausreichend vorbereiten konnte?
Leuschner: Ich denke, also was im Rahmen des Möglichen ist, wird an den Schulen, wird in Deutschland auch schon gemacht. Also wir haben verschiedenste Punkte, die nach Erfurt und Winnenden als Präventionsanstrengungen unternommen wurden, das ist die Einführung der Notfallpläne. Das heißt, dass alle Schulen ein verbindliches Verfahren haben, wie sie im Notfall agieren sollen, das ist ganz wichtig. Das ist natürlich auch, sind verschärfte Waffengesetze, es sind eben Fortbildungsmöglichkeiten, Präventionsansätze, die angefangen wurden, es ist eine ganze Menge passiert, und trotzdem muss man sagen, alle diese Bemühungen werden es nicht verhindern können, dass so auch eine Tat möglicherweise wieder auftritt, und das lässt sich letztendlich niemals hundertprozentig verhindern. Aber die Schulen sind erst mal besser aufgestellt, definitiv.
Maleike: Herr Leuschner, viele Eltern fragen sich jetzt ja ganz speziell, warum sind unsere Schulen eigentlich so offen, warum kommt bei uns jeder rein? Wäre das auch eine gute Präventionsmaßnahme, die Schulen mehr zu schließen, so was wie Pförtner einzuführen, wieder?
Leuschner: Ich denke, grundsätzlich ist es wichtig natürlich, dass die Schule sicherstellt, dass nicht jeder Externe einfach in die Schule kommt. Aber auf der anderen Seite steht auch eine offene Schule für eine offene Gesellschaft, und wir leben in einer offenen Gesellschaft, und man sollte nicht in den Reflex verfallen, jetzt die Schulen zu Hochsicherheitstrakten zu machen, vor dem Hintergrund eigentlich eines absolut unwahrscheinlichen Risikos, dass die Schule tatsächlich von so einer Tat betroffen wird. Dass ein externer Täter in eine Schule hineinkommt, das kann er jederzeit auch durch Waffengewalt erreichen, und da wird ihn auch eine Alarmanlage nicht davon abhalten oder eine Sicherheitsvorrichtung nicht von abhalten, man müsste dann tatsächlich irgendwie Stahltüren an den Schulen installieren, und das ist sicherlich nicht im Sinne günstiger und gelingender Prävention.
Maleike: Die Schulleiterin des Gutenberg-Gymnasiums aus Erfurt, wo ja der Amoklauf vor zehn Jahren stattfand, hat bemängelt und bemängelt nach wie vor, dass es zu wenig Schulsozialarbeiter gibt im Land. Sehen Sie das auch so?
Leuschner: Also definitiv, da muss man sagen, das ist jetzt auch nicht unbedingt als reine Kritik zu verstehen, aber die Schulen sind mittlerweile in einem starken Maße mit Amokalarmanlagen ausgerüstet, also technische Prävention, da ist viel passiert, wir sind uns aber ganz im Klaren darüber, dass letztendlich gerade ein Lehrer auch frühe Anzeichen oder Hinweise auf eine Krise eines Jugendlichen nur dann erkennen kann, wenn er Zeit hat und auch dann Experten in seiner Nähe braucht, mit denen er letztendlich solche Fälle bespricht. Insofern ist eigentlich die Forderung nach Jugend- und Sozialarbeit an den Schulen absolut begründet und total notwendig. Das betrifft sowohl Schulsozialarbeiter an den Schulen direkt, aber auch die Versorgung mit Schulpsychologen im gesamten Land. Da kann noch ganz, ganz viel passieren, es ist schon in einigen Bundesländern damit angefangen worden, aber das sind immer noch ganz unzureichende Situationen, mit denen die Schulen dann konfrontiert sind.
Maleike: Dann wünschen wir Ihnen für Ihre Arbeit weiterhin viel Erfolg und danke für das Gespräch heute in "Campus und Karriere"! Das war Vincenz Leuschner, der Projektleiter von Netwass.
Leuschner: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Vincenz Leuschner: Ja, guten Tag, hallo!
Maleike: Erklären Sie uns mal, was Netwass ist. Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Leuschner: Netwass ist ein Forschungsprogramm, was über drei Jahre hier an der freien Universität durchgeführt wurde und jetzt kurz vor dem Abschluss steht, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, und Netwass verfolgt das Ziel, Schulmitarbeitern durch eigentlich die Entwicklung eines wissenschaftlich begründeten Krisenpräventionsverfahrens eine frühe Identifizierung oder sichere Bewertung auch von krisenhaften Entwicklungsverläufen bei Jugendlichen zu ermöglichen, die in Richtung einer schweren Schulgewalttat gehen. Das heißt, uns geht es vor allem darum, dass also eine Früherkennung und sichere Einschätzung von Gewaltandrohung an den Schulen stattfinden kann, und die Lehrer sich letztendlich mit dem, mit was sie konfrontiert sind, und mit den Ankündigungen, mit denen sie konfrontiert sind, einfach in der Zukunft handlungssicher umgehen können. Das ist unser Ziel, also wir zielen nicht direkt darauf, und es wird auch nicht möglich sein, Amokläufe zu verhindern oder vorherzusagen. Also auf die Verhinderung natürlich schon, aber die Verhinderung setzt immer voraus, dass man frühe Anzeichen erkennt, und dass man halt auch adäquat reagiert. Und da ist unser Weg, das, denken wir, ist die sinnvollste Variante, Prävention zu betreiben.
Maleike: Heißt also, dem Lehrer kommt eine Schlüsselposition bei der ganzen Geschichte zu?
Leuschner: Dem Lehrer natürlich nicht allein, also wir können im Grunde aus der wissenschaftlichen Untersuchung vergangener Taten drei wesentliche Erkenntnisse ableiten. Das eine ist, dass School Shootings immer sehr viele Ursachen haben, also nicht auf eine Ursache allein zurückzuführen sind, sondern viele Faktoren da eine Rolle spielen, weshalb eine Vorhersage eigentlich nicht möglich ist. Aber es gab eben im Vorfeld immer eine krisenhafte Entwicklung des Schülers, die sich lange hingezogen hat, und diese Entwicklung war immer begleitet durch Anzeichen und Hinweise, die letztendlich der spätere Täter auch gegenüber anderen Personen geäußert hat. Vor allem natürlich hinsichtlich gegenüber Gleichaltrigen und vor allem auch im Schulkontext gegenüber Gleichaltrigen. Lehrer können im Grunde nur mittelbar davon mitbekommen, wenn sie letztendlich von auch Schülern darüber informiert werden, oder wenn sie von Schülern so etwas mitgeteilt bekommen. Natürlich darf man genau so wenig das Elternhaus außen vorlassen, nur gerade für Präventionsbemühungen, die möglich sind, ist natürlich erst mal die Schule ein guter Ort, dort anzusetzen, weil die Schüler dort erreichbar sind und die Lehrer tatsächlich ja eben auch mit solchen Ankündigungen konfrontiert werden.
Maleike: Kann man denn eigentlich sagen, dass sich Schuldeutschland auf das Thema Amoklauf in den letzten Jahren besser vorbereitet hat oder überhaupt ausreichend vorbereiten konnte?
Leuschner: Ich denke, also was im Rahmen des Möglichen ist, wird an den Schulen, wird in Deutschland auch schon gemacht. Also wir haben verschiedenste Punkte, die nach Erfurt und Winnenden als Präventionsanstrengungen unternommen wurden, das ist die Einführung der Notfallpläne. Das heißt, dass alle Schulen ein verbindliches Verfahren haben, wie sie im Notfall agieren sollen, das ist ganz wichtig. Das ist natürlich auch, sind verschärfte Waffengesetze, es sind eben Fortbildungsmöglichkeiten, Präventionsansätze, die angefangen wurden, es ist eine ganze Menge passiert, und trotzdem muss man sagen, alle diese Bemühungen werden es nicht verhindern können, dass so auch eine Tat möglicherweise wieder auftritt, und das lässt sich letztendlich niemals hundertprozentig verhindern. Aber die Schulen sind erst mal besser aufgestellt, definitiv.
Maleike: Herr Leuschner, viele Eltern fragen sich jetzt ja ganz speziell, warum sind unsere Schulen eigentlich so offen, warum kommt bei uns jeder rein? Wäre das auch eine gute Präventionsmaßnahme, die Schulen mehr zu schließen, so was wie Pförtner einzuführen, wieder?
Leuschner: Ich denke, grundsätzlich ist es wichtig natürlich, dass die Schule sicherstellt, dass nicht jeder Externe einfach in die Schule kommt. Aber auf der anderen Seite steht auch eine offene Schule für eine offene Gesellschaft, und wir leben in einer offenen Gesellschaft, und man sollte nicht in den Reflex verfallen, jetzt die Schulen zu Hochsicherheitstrakten zu machen, vor dem Hintergrund eigentlich eines absolut unwahrscheinlichen Risikos, dass die Schule tatsächlich von so einer Tat betroffen wird. Dass ein externer Täter in eine Schule hineinkommt, das kann er jederzeit auch durch Waffengewalt erreichen, und da wird ihn auch eine Alarmanlage nicht davon abhalten oder eine Sicherheitsvorrichtung nicht von abhalten, man müsste dann tatsächlich irgendwie Stahltüren an den Schulen installieren, und das ist sicherlich nicht im Sinne günstiger und gelingender Prävention.
Maleike: Die Schulleiterin des Gutenberg-Gymnasiums aus Erfurt, wo ja der Amoklauf vor zehn Jahren stattfand, hat bemängelt und bemängelt nach wie vor, dass es zu wenig Schulsozialarbeiter gibt im Land. Sehen Sie das auch so?
Leuschner: Also definitiv, da muss man sagen, das ist jetzt auch nicht unbedingt als reine Kritik zu verstehen, aber die Schulen sind mittlerweile in einem starken Maße mit Amokalarmanlagen ausgerüstet, also technische Prävention, da ist viel passiert, wir sind uns aber ganz im Klaren darüber, dass letztendlich gerade ein Lehrer auch frühe Anzeichen oder Hinweise auf eine Krise eines Jugendlichen nur dann erkennen kann, wenn er Zeit hat und auch dann Experten in seiner Nähe braucht, mit denen er letztendlich solche Fälle bespricht. Insofern ist eigentlich die Forderung nach Jugend- und Sozialarbeit an den Schulen absolut begründet und total notwendig. Das betrifft sowohl Schulsozialarbeiter an den Schulen direkt, aber auch die Versorgung mit Schulpsychologen im gesamten Land. Da kann noch ganz, ganz viel passieren, es ist schon in einigen Bundesländern damit angefangen worden, aber das sind immer noch ganz unzureichende Situationen, mit denen die Schulen dann konfrontiert sind.
Maleike: Dann wünschen wir Ihnen für Ihre Arbeit weiterhin viel Erfolg und danke für das Gespräch heute in "Campus und Karriere"! Das war Vincenz Leuschner, der Projektleiter von Netwass.
Leuschner: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.