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Forscher über EuGH-Urteil zur Genschere
Keine "naturwissenschaftliche Berechtigung"

Forscher sehen das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Gentechnik extrem kritisch. Den Richterspruch könne er nicht nachvollziehen, sagte der Bayreuther Biologe Stephan Clemens im Dlf. Dramatische Verbesserungen bei der Pflanzenzüchtung seien in fataler Weise eingeschränkt worden.

Stephan Clemens im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Illustration einer Schere, die ein DNA Molekül modifiziert
    Mit der Genschere CRISPR kann das Erbgut in kleinsten Schritten gezielt verändert werden (imago / Keith Chambers)
    Jürgen Zurheide: Der Europäische Gerichtshof hat in dieser Woche ein weitreichendes Urteil gefällt zur Gentechnik - oder genauer genommen zu gentechnisch veränderten Pflanzen. Er hat nein gesagt, und zwar ein hartes Nein. Das ist ein Urteil sicherlich mit weitreichenden Konsequenzen in Europa. Ich versuche jetzt mal die Kurzfassung. Es gibt ja zwei Sorten, mindestens zwei Sorten von gentechnischen Veränderungen: erstens, wo es Eingriffe gibt, wo fremdes Erbgut miteinander vermischt wird, und das Zweite, wo die sogenannte Genschere eingesetzt wird und wo es darum geht, natürliche Mutationen etwas schneller hinzubekommen. Wie gesagt, der Europäische Gerichtshof hat beide Fälle jetzt abgelehnt und nein gesagt. Das war meine Erklärung, etwas präziser kriegen wir das gleich, ich begrüße nämlich jetzt Professor Stephan Clemens, Biologe der Universität Bayreuth. Erst mal schönen guten Morgen, Herr Clemens!
    Stephan Clemens: Ja, guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Clemens, ich hab die beiden Methoden gerade nur bruchstückhaft gesagt, der Professor hat da sicherlich was hinzuzufügen. Erklären Sie uns doch mal genauer, worum es da geht oder ging.
    Clemens: Ja, bei der sogenannten Genschere geht es um Verfahren, wie man ganz gezielt kleinste Veränderungen im Erbgut vornehmen kann, indem man zum Beispiel einzelne DNA-Basen, das heißt also einzelne Bausteine, einzelne Buchstaben der DNA, der Erbinformationen entweder rausnimmt oder durch einen anderen Buchstaben ersetzt, also so ähnlich, wie man in einem Text möglicherweise ein Wort etwas verändert, indem man einen Buchstaben austauscht. Das ist das, was mit dieser sogenannten Genschere beschrieben ist als Methode. Und die klassische Gentechnik ist, wie Sie richtig gesagt haben, die Neukombination von Erbinformationen, von DNA, und zwar hier auch – also nicht notwendigerweise, aber häufig eben – die Kombination von DNA, die aus unterschiedlichen Organismen stammt.
    "Gewünschte Eigenschaften" züchten
    Zurheide: Und das europäische Urteil oder der Europäische Gerichtshof hat jetzt gesagt, beides zählt unter die Gentechnik, das war ja umstritten. Das eine, also da, wo es darum geht, Erbinformationen regelrecht zu verändern, fremdes Erbgut zu vermischen, das ist klar, das ist Gentechnik, das andere ist umstritten, der Europäische Gerichtshof hat jetzt gesagt, ist auch Gentechnik. Wie sehen Sie das?
    Clemens: Ja, ich kann das ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. Der Hintergrund des Ganzen ist, dass man, als man Gentechnik angefangen hat zu regulieren vor über 20 Jahren, hat man die sogenannte Mutagenese ausgenommen aus dieser Regulierung, weil man Mutagenese, die Veränderung, die ungerichtete Veränderung von Erbgut, eben schon seit Jahrzehnten in der Züchtung einsetzt. Das heißt, man setzt Chemikalien ein oder man setzt Strahlung ein, um ungerichtet eben Buchstaben in der DNA zu verändern und damit aus dieser zusätzlichen Variation, die normalerweise in der Natur nicht vorkommt, aus dieser Variation eben weiter auslesen zu können, einfach Pflanzen mit anderen Eigenschaften zu finden. Die hat man ausgenommen, und jetzt war die Frage, ist das, was die Genschere leistet, eine Mutagenese in dem Sinne oder ist das dann Gentechnik, sollte sie also auch ausgenommen werden oder sollte sie stattdessen eben genauso reguliert werden wie Gentechnik. Und aus unserer Sicht müssen wir ganz klar sagen, wenn man das rein technisch betrachtet, ist das, was die Genschere macht, eben auch eine Mutagenese.
    Zurheide: Und das heißt, das hat natürlich weitreichende Bedeutung. Sie haben gesagt eigentlich, in diesem Verfahren passiert – ich sag das jetzt nur wieder mit meinen Worten – nur das, was ohnehin in der Natur passiert. Das ist ja nicht so bei den realen Veränderungen des Erbgutes. Welche Relevanz hat das? Also ich höre immer und lese immer, damit kann man Pflanzen zum Beispiel wieder etwas resistenter machen, wie sie es früher möglicherweise mal gewesen sind. Ist das eine der Anwendungen?
    Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin wendet das CRISPR/Cas9-Verfahrens in einem Labor des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin an.
    Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin wendet das CRISPR/Cas9-Verfahrens in einem Labor des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin an (dpa/picture alliance/Gregor Fischer)
    Clemens: Ja, es gibt sehr, sehr viele Anwendungen, unter anderem kann man auch Resistenzen erhöhen. Wir müssen uns ja immer klarmachen, dass die Pflanzen, die wir essen, letztendlich ja nicht Wildpflanzen sind, das heißt, sie haben also sehr viele Eigenschaften, die eine Wildpflanze eben nicht hat, weil sie uns besser schmecken sollen, aber auch, weil sie störende Inhaltsstoffe, die für uns nicht gesund sind, eben nicht enthalten sollen, weil sie mehr Erträge bringen, größere Samen und so weiter und so fort. Wir können also sehr viele dieser Eigenschaften prinzipiell über die Verwendung der Genschere auch wieder in Pflanzen hineinbringen, also gewünschte Eigenschaften sehr viel leichter hineinbringen und einfach die Möglichkeiten der Pflanzenzüchtung wirklich dramatisch und in sehr positiver Weise erweitern.
    Zurheide: Sie sind also sehr skeptisch, dass dieses Urteil möglicherweise Chancen für die Landwirtschaft am Ende beschränkt in einer Art und Weise, dass wir in Europa ganz raus sind, oder was sind die Konsequenzen dieses Urteils?
    Clemens: Ja, ich denke, dass sich da Wissenschaft und letztendlich auch weite Teile der Landwirtschaft und eben ganz sicher auch die gesamte Pflanzenzüchtung sehr einig sind, dass wir hier in wirklich ganz fataler Weise Möglichkeiten aufgeben, und das noch eben, ohne dass es dafür eine naturwissenschaftliche Berechtigung gibt, indem wir einfach mit Definitionen nicht richtig umgehen oder indem der EuGH eben mit Definitionen und Methoden nicht richtig umgeht. Die Möglichkeiten sind immens, und in vielen Teilen der Erde arbeitet mit Riesenaufwand daran, diese Methoden nutzbar zu machen.
    "Wie hoch sind die Risiken?"
    Zurheide: Sehen Sie denn gar keine Risiken? Wir werden ja gleich noch mit einem grünen politischen Kollegen darüber sprechen, was das für politische Implikation sind. Sie als Wissenschaftler sagen, da gibt es keine Risiken, weil das sagt der EuGH ja oder andere Wissenschaftler sagen möglicherweise, es gibt doch Risiken, auch bei dieser, nennen wir es milden Form.
    Clemens: Ja, das Risiko ist recht problematisch und wird in der öffentlichen Diskussion eben, na ja, auf eine Weise verwandt, mit der man eben als Wissenschaftler schlecht umgehen kann. Ich kann für nichts, für kein menschliches Handeln, aber auch für kein menschliches Unterlassen behaupten, dass es ohne Risiko sei, sondern was ich beurteilen muss, ist, wie hoch sind die Risiken, wie plausibel sind diese Risiken, wie hoch sind die Risiken, wenn ich sie in Relation sehe zu dem möglichen Nutzen. All diese Frage muss ich adressieren. Und dann muss ich sagen, dass wir keinerlei Hinweise darauf haben, warum jetzt eine gerichtete, gezielte Mutagenese mehr Risiken tragen sollte als eine ungerichtete, bei der ich eben nicht weiß, was ich tue letztendlich, bei der ich halt zufällige Prozesse ablaufen lasse und letztendlich Tausende von Mutationen in einer Pflanze habe, in einem Genom habe, während ich mit der Genschere versuche, vielleicht eine einzige zu setzen. Dann ist es einfach nicht plausibel zu erwarten, dass dieser Eingriff mehr Risiken trägt als der, wenn ich ungerichtet Tausende von Mutationen setze.
    Zurheide: Ich glaube, das war schon ein ganz wichtiger Erklärversuch bis zu diesem Punkt. Stephan Clemens, Biologe der Universität Bayreuth war das.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.