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Forscher zur Protestkultur
„In Deutschland wird deutlich mehr protestiert als in Frankreich“

Seit Wochen ziehen in Frankreich die Gelbwesten durch die Straßen, doch die Zustimmung nimmt ab - wie auch das Interesse an Sahra Wagenknechts Bewegung #aufstehen. Doch diese Bewegungen seien nicht am Ende, sagte Protestforscher Dieter Rucht im Dlf. Er glaubt an eine Stärkung der Protestkultur, vor allem durch junge Menschen.

Dieter Rucht im Gespräch mit Anja Reinhardt |
    Ein Mann, der eine gelbe Weste trägt, schaut auf eine Straße, über die Rauch zieht
    Ein Mann während der Gelbwesten-Proteste in Paris (IP3Press/Imago)
    "Die Gelbwesten stehen vor einer Reihe von Herausforderungen. Eine davon ist, dass sie bislang keine Strukturen, keine legitimierten Sprecher und Sprecherinnen hervorgebracht haben", so Protestforscher Dieter Rucht. Man wisse außerdem nicht, welche Forderungen denn nun von der gesamten Bewegung gestellt werden und welche eher partiell formuliert werden. Selbst die von den Medien herausgestellten Gelbwesten Ingrid Levavasseur oder Eric Drouet seien medial inszeniert, statt von innen heraus benannt worden. Rucht sieht außerdem potentiellen Streit um die politische Ausrichtung der Gilet Jaunes: "Also sind wir eigentlich eine Bewegung eher der radikalen Rechten, sind wir eine Bewegung der radikalen Linken oder bewegen wir uns irgendwo in der Mitte oder ist alles zugleich der Fall? Und das beschreibt eigentlich den jetzigen Zustand."
    Geniale Symbolik der Gelbwesten
    Genial finde er die Symbolik der Warnwesten, denn jeder Franzose müsse diese Weste ja im Auto mitführen. Es sei ein Mittel, "das zumindest optische Einheit erzeugt". Jeder könne also sofort mitmachen, man müssen keine Schilder malen, man gehöre mit der Weste automatisch dazu. Auch der Bezug aufs Theater mit einer Einteilung der Proteste in Akte, die eine Symbolik der Verdichtung und eines Höhepunktes mit sich brächten sei interessant, genauso wie der Begriff "Klassenkampf", der von französischen Soziologen benutzt werde. Es sei jedenfalls ein klarer Klassenkonflikt, den man hier sähe. Die Neigung zu Protesten, das dürfe man nicht aus dem Blick verlieren, sei aber grundsätzlich in anderen Ländern höher, so Dieter Rucht. "In Deutschland wird deutlich mehr protestiert als in Frankreich. Aber wenn in Frankreich demonstriert wird, dann ist die Neigung zur Gewalt höher."
    Belebung der Demokratie durch Partizipation
    Die Gilets Jaunes seien eine Bewegung von unten, eine Basisbewegung, das unterscheide sie essentiell von #aufstehen in Deutschland. "Politikprofis, also Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, haben einen Plan und arbeiten den im kleinsten Kreise aus und treten damit spektakulär an die Öffentlichkeit." So oder so: Vor allem junge Menschen fühlten sich von solchen Bewegungen eher angezogen als von Parteien, weil sie flexiblere Strukturen hätten und man sofort einsteigen könne. Überhaupt sieht der Protestforscher solche Bewegungen, die eine größere Partizipation versprächen, in Zukunft stärker werden. "Das dient der Belebung der Demokratie!"
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.