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Forscherin zu Alpen
"Die Schmelzsaison am Gletscher wird länger und länger"

Die Gletscher weltweit schmelzen immer schneller, erklärte die Gebirgsforscherin Andrea Fischer im Dlf. Das bedeute auch, dass Schmelzwasser bei der Wasserversorgung fehle. Was in den Alpen noch mit Regen ausgeglichen werden könne, führe in trockenen Regionen wie dem Himalaja zu Problemen.

Andrea Fischer im Gespräch mit Britta Fecke | 28.01.2022
Glechtscher Weißseespitze
Der Gletscher an der Tiroler Weißseespitze liegt auf 3500 Meter Seehöhe (imago stock&people)
Die alpinen Gletscher in der Schweiz, Frankreich, Italien und Österreich haben allein in den Jahren 2000 bis 2014 rund 17 Prozent ihres Eisvolumens für immer verloren - das ergab eine Studie der Universität Erlangen-Nürnberg im Juni 2020.
Inzwischen schmelzen selbst die Eiskappen der Gletscher ab, die in großer Höhe liegen. Das haben Forschende der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in einer aktuellen Studie bewiesen. Dafür haben sie etwa Eisbohrkerne am Gipfel der Tiroler Weißseespitze analysiert. Der Gletscher liegt auf 3.500 Meter Seehöhe.
Andrea Fischer, Erstautorin der Studie, erklärte im Deutschlandfunk die Gründe hinter dem Schmelzprozess: Es gehe um den "Effekt, dass sich die Wetterlagen insgesamt ändern. Dass wir immer mehr warme Frühsommer-Wetterlagen haben, die Temperaturen während des Sommers zu hoch sind und die Niederschläge in Form von Regen und nicht Schnee fallen".

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Britta Fecke: Wieviel Masse der Gletscher auf der Weißseespitze in den letzten Jahren verloren hat?
Andrea Fischer: Der Gletscher auf der Weißseespitze verliert im Moment im Mittel 0,6 Meter pro Jahr, und das sind in zehn Jahren dann immerhin sechs Meter. Die vorhandene Eisdicke oben sind zehn Meter, das heißt, dass in zehn Jahren der Großteil des Gletschers dort abgeschmolzen sein wird.
Fecke: Die Gletscher schmelzen ja global immer schneller, in den letzten Jahren schwand das Eis der Gletscher bis zu dreimal schneller als noch im 20. Jahrhundert. Warum verlieren die Gletscher so viel an Masse – weil die Temperaturen insgesamt im Sommer immer höher werden oder weil im Winter die Niederschläge fehlen?
Fischer: Es ist nicht ganz so einfach, dass es nur linear mit der globalen Temperatur zusammenhängt, weil hier einige Rückkoppelungsprozesse beteiligt sind. Nämlich es ist ein Effekt, dass sich die Wetterlagen insgesamt ändern, dass wir immer mehr warme Frühsommer-Wetterlagen haben, die Temperaturen während des Sommers zu hoch sind und die Niederschläge in Form von Regen und nicht Schnee fallen.
Und so wird die Schmelzsaison am Gletscher immer länger und länger. Früher war das zwischen Mitte Juli und Anfang September, und heute haben wir oft Schmelze zwischen Anfang Juni und Mitte Oktober. Dann kommt dazu, dass sich der Gletscher selbst ändert, die Oberfläche wird sehr dunkel, nimmt dadurch wesentlich mehr Sonnenenergie auf als eine helle Oberfläche – durch die Schneefälle eben wirkt der Gletscher sehr hell. Das ist auch einer der Mechanismen, der dazu führt, dass die Schmelze einfach sehr viel effektiver vor sich geht, rascher vor sich geht.
Ab einer gewissen Eisdicke, etwa fünf bis sechs Metern, heizt zusätzlich die Sonne durch das Eis, durch den Untergrund auf, und der Gletscher schmilzt auch quasi vom Boden her, und damit verdoppeln sich die Schmelzraten ab einer gewissen Dünne des Eises.
Fecke: Wie konnten Sie diese ganzen sich verstärkenden Prozesse denn messen?
Fischer: Das ist eine Reihe von verschiedenen Forschungsprojekten, in der wir uns diesen Phänomenen widmen. Da gehören dazu Massenbilanzstudien auf den österreichischen Gletschern – es werden ja zehn österreichische Gletscher sehr detailliert vermessen –, und an den Änderungen dort, an sehr vielen verschiedenen Messstellen konnte man diese Effekte alle festmachen. Die Weißseespitze ist einer der Punkte, die am höchsten gelegen sind, und es ist insofern ein Meilenstein, weil das Eis dort angefroren ist und so ein relativ unmittelbarer Klimazeiger ist im Unterschied zu den bewegten Gletscherzungen.

Alpen: "Sogar die größten Höhen, die obersten Gipfel sind betroffen"

Fecke: Das Eis dort oben ist angefroren, das heißt, der hat ja eine gewisse Höhe. Warum schützt die Höhe den Gletscher nicht vor dem Schmelzen?
Fischer: Die Höhe hat den Gletscher an der Weißseespitze sehr lange geschützt. In den Westalpen sind die sehr hohen Gletscher nach wie vor relativ unbeeinträchtigt vom Klimawandel, dort sind geringe Massenverluste nur zu verzeichnen, wenn auch in den letzten Jahren ein vermehrtes Auftreten von Schmelzwassern auch in Höhen über 4.000 Meter festgestellt wurde. Das heißt, diese Auswirkung des Klimawandels auf die Gletscher ist durchaus sehr höhenabhängig, und in den Ostalpen hat der Klimawandel nun eine Dimension erreicht, dass sogar die größten Höhen, die obersten Gipfel davon betroffen sind. Und das hat für die Gletscher insgesamt in den Ostalpen die Auswirkung, dass keine Schneemengen mehr in Eis umgewandelt werden und die Schmelze dann sehr rasch vor sich geht, über die gesamten Gletscherflächen, und sich dadurch auch das Erscheinungsbild der Gletscher drastisch ändert. Es gibt diese gleißenden Flächen nicht mehr, die Gletscher sind insgesamt sehr dunkel, und damit ändert sich auch das Landschaftsbild.
Fecke: Neben der Optik, also der Änderung des Landschaftsbildes, welche Folgen leiten Sie noch aus der schnellen Schmelze der Gletscher ab für den hochalpinen Lebensraum, aber auch für die Lebensräume darunter?
Fischer: Wir sind in den Alpen in der glücklichen Lage, dass wir ein sehr hohes Angebot von Wasser aus Niederschlägen haben. Das Wegfallen des Schmelzwassers, das über kurz oder lang eintreten wird, wird sich daher auf unsere Wasserversorgung nicht dramatisch auswirken. Eher im Nahbereich des Gletschers kommt es zu verschiedenen Folgen, mehr zu einer Zunahme von Massenbewegungen, von Murenereignissen oder auch von Felssturzereignissen. Durch die sehr rasch nachkommende Vegetation kann man sich aber eine Stabilisierung der Situation in den nächsten Jahrzehnten erwarten. Es wird dort eine neue, auch wunderbare Hochgebirgslandschaft entstehen. Wesentlich dramatischer sieht es aus in den hohen und trockenen Gebirgen der Erde, im Himalaja, in den Anden, wo vermehrt Ereignisse den Siedlungsraum betreffen können und auch der Wassermangel durch das dort geringe Niederschlagsangebot ganz andere Folgen haben wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen