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Können Blaualgen Alzheimer auslösen?

Cyanobakterien, auch Blaualgen genannt, können hochwirksame Gifte bilden. Wenn in Seen im Sommer Algenblüten entstehen, ist deshalb das Baden oft verboten. Umstritten ist aber, ob Cyanobakterien-Toxin für neurodegenerative Erkrankungen verantwortlich sind, ein besondere Form von Demenz zum Beispiel. Eine neue Studie beschäftigt sich mit der Frage.

Von Katrin Zöfel |
    Im Hochsommer sammeln sich besonders viele Cyanobakterien auf der Wasseroberfläche
    Entgegen der Bezeichnung sind "Blaualgen" eigentlich grün und Cyanobakterien. Sie betreiben Photosynthese, weshalb es im Sommer zur Algenblüte kommen kann. (dpa/picture alliance/Stefan Sauer)
    Diese Geschichte beginnt vor mehr als 70 Jahren. Einigen US-Militärmedizinern fiel auf der Insel Guam im Westpazifik etwas auf: Manche Inselbewohner, die Chamorro, entwickelten extrem früh Anzeichen von Demenz und motorischen Störungen.
    "Diese Krankheit ist wie eine Mischung aus Alzheimer, Parkinson und Amyotropher Lateralsklerose."
    Paul Cox leitet das Institut für Ethnomedizin in Wyoming in den USA. Ihn interessiert, was man von der Lebensweise von Naturvölkern über Krankheiten und Therapien lernen kann. Zusammen mit Neurologen wies er vor einigen Jahren nach, dass sich im Gehirn der betroffenen Inselbewohner Plaques und Ablagerungen bilden, die denen von Alzheimer-Patienten ähneln. Nach langer Suche fand er schließlich auch einen möglichen Grund dafür.
    "In den Wurzeln bestimmter Palmen auf Guam leben Cyanobakterien und die produzieren ein Gift namens BMAA, das sich in den Samen der Palme ansammelt. Die Chamorro machen Mehl aus diesen Samen. Außerdem jagen sie Flughunde, die sich auch von diesen Samen ernähren, und das Gift anreichern. Über Jahre hinweg nehmen diese Menschen also täglich kleine Mengen dieses Giftes auf."
    Inselbewohner, die Guam verließen, und sich dann anders ernährten, wurden nicht krank. Eingeheiratete dagegen, die mit den Chamorro lebten, erkrankten genauso oft und genauso früh wie sie. Alles Indizien, die auf einen Zusammenhang hindeuten. Was fehlte war ein Beleg, dass das Toxin BMAA tatsächlich die Erkrankung auslösen kann.
    "Wir haben deshalb versucht, die Situation, der die Chamorro ausgesetzt sind, nachzustellen. Dafür gaben wir Meerkatzen 40 Tage lang eine Dosis BMAA oder ein Placebo. Im Gehirn der Affen, die BMAA bekamen, fanden wir dann Plaques und Ablagerungen."
    Paul Cox testete auch, ob sich die Bildung der Plaques verhindern lässt. Dafür gab er einigen Tieren, die BMAA bekamen, zusätzlich die Aminosäure L-Serin. Sie hemmt die Aufnahme des Toxins. Im Versuch von Cox senkte L-Serin die Bildung der Plaques um bis zu 85 Prozent. Der Forscher zieht daraus weitreichende Schlüsse.
    "So sehr wir uns über unser eindeutiges Ergebnis gefreut haben, es jagte uns auch Angst ein. Denn BMAA kommt nicht nur auf Guam vor. Wir vermuten, dass viele Cyanobakterienarten dieses Toxin bilden. Es könnte also sein, dass die Gesundheit von Menschen weltweit dadurch beeinträchtigt wird."
    Ein Bakterientoxin als Auslöser für neurodegenerative Erkrankungen, vielleicht sogar für Alzheimer oder Parkinson selbst? Und eine Aminosäure als Mittel dagegen? Genau hier beginnt die Kontroverse. Der Nachweis von BMAA ist schwierig. Oft wird das Toxin mit anderen Substanzen verwechselt. Die gemessenen Konzentrationen schwanken daher stark. Jutta Fastner vom Umweltbundesamt warnt deshalb vor voreiligen Schlüssen.
    "Es gibt einfach viel zu viele Fragen und Unsicherheiten: Wieviel kommt tatsächlich vor, wo wird man exponiert, wo nimmt man welche Mengen auf, wie ist es mit der Anreicherung in der Nahrungskette? Das ist alles noch unschlüssig. "
    Paul Cox ist davon überzeugt, dass er einer wichtigen Sache auf der Spur ist, vielleicht sogar der Ursache für Alzheimer und andere schwere Krankheiten. Doch nicht nur die Experten am Umweltbundesamt, auch Forscherkollegen sind skeptisch. Zum Beispiel Elisabeth Faassen von der Universität Wageningen.
    "Wir wissen, dass das Toxin in manchen Cyanobakterien und auch in Algen vorkommt, aber in sehr geringen Konzentrationen. Ob tatsächlich viele Arten, oder gar alle Arten das Toxin bilden, wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, wozu die Bakterien das Gift brauchen, und was sie dazu anregt, es zu bilden."
    Die Methoden, die den Forschern zur Verfügung stehen, sind einfach noch nicht gut genug. Es wird noch dauern bis klar ist, ob die neue Studie aus Wyoming tatsächlich einen Hinweis auf die Entstehung von Alzheimer liefert, oder ob sie doch nur aufklärt wie eine kuriose Verkettung von Zufällen auf einer kleinen Insel eine Demenzepidemie auslösen konnte.