Tobias Armbrüster: Die Erde mal von oben sehen, völlig schwerelos durch den Raum fliegen, das ist für viele Menschen immer noch ein Traum. Und tatsächlich ist die bemannte Raumfahrt nach wie vor ein sehr exklusives Abenteuer. Gerade mal zehn Deutsche haben es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, in einer Rakete die Erde zu verlassen. In wenigen Wochen wird nun ein weiterer dazukommen: Alexander Gerst ist Geophysiker und soll Ende Mai für sechs Monate zur Internationalen Raumstation, zur ISS fliegen. Zurzeit bereitet er sich intensiv auf seine Zeit im All vor, unter anderem am europäischen Astronautenzentrum in Köln. Dort hat er sich gestern ein paar Minuten Zeit genommen, um mit mir am Telefon zu sprechen. - Schönen guten Tag, Herr Gerst!
Alexander Gerst: Guten Tag, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Gerst, wie sitzt der Raumanzug?
Gerst: Der sitzt sehr gut. Der ist tatsächlich schon vor einem halben Jahr eingemessen worden und es ist erstaunlich gut, wie der passt. Es ist natürlich eine tolle Sache, wenn man weiß, dass man seinen eigenen angepassten Raumanzug hat.
Armbrüster: Wie sieht der genau aus?
Gerst: Ich habe mehrere im Prinzip. Der, der wirklich mein eigener ist, das ist der Anzug, den wir in der Sojus-Kapsel beim Start an haben. Der schützt uns, falls es einen Druckverlust gibt. Der ist nicht für den offenen Weltraum gedacht, sondern der ist eigentlich dafür gedacht, dass man damit in einem Sitz sitzt, und wenn dann ein Vakuum plötzlich entsteht, weil ein Loch in der Kapsel ist, dann würde der einen schützen. Der ist weiß und hat einen Helm.
Armbrüster: Sie sind aber auch darauf ausgerichtet, darauf vorbereitet, dass Sie mal raus müssen aus der ISS, richtig in den Weltraum?
Gerst: Genau. Das gehört zum Training. Das ist in meiner Mission womöglich auch geplant. Das zeichnet sich jetzt gerade in diesen Tagen ab, wie der Plan da ist. Aber das ist ein anderer Raumanzug, in dem wir da trainieren. Das ist ein wirkliches kleines Raumschiff, in dem man da lebt für sieben, acht Stunden. Da gibt es zwei: da gibt es einen amerikanischen Raumanzug und einen russischen und ich bin tatsächlich auf beiden trainiert. Ich könnte Außenarbeiten in beiden Systemen durchführen.
"Astronauten dürfen Angst haben"
Armbrüster: Darf man als Astronaut Angst haben?
Gerst: Ja natürlich. Ich denke, Angst ist ein Gefühl, das jeder Mensch kennt. Ich denke, das lässt sich gar nicht vermeiden, dass man Angst hat, wenn man in einer Situation ist, in der man das Gefühl hat, die Kontrolle zu verlieren. Das ist eine ganz natürliche Reaktion und die ist ja auch eigentlich ganz gesund. Wir versuchen, das natürlich zu vermeiden, dadurch, dass wir trainieren, wie man in jeden möglichen Notfall-Situationen reagiert, was unser Plan A, Plan B, Plan C ist, und damit versucht man zu vermeiden, dass man die Kontrolle verliert und somit Angst bekommt.
Armbrüster: Sie fliegen ja hoch zur ISS Ende Mai und bleiben dann sechs Monate da. Gibt es da einen besonderen Moment, bei dem man sagen kann, vor dem haben Sie Angst?
Gerst: Nein. Ich denke, wenn ich das hätte, dann hätte ich mich ja nicht beworben und dann würde ich da auch nicht hinfliegen. Ich freue mich da tatsächlich sehr drauf und wir trainieren ja auch so viel. Wenn man sich das überlegt, dass man viereinhalb Jahre dafür trainiert, dann hat man schon Zeit, sich mental darauf vorzubereiten. Das ist nicht mehr was Unbekanntes und ich kenne natürlich sehr viele Leute, die da oben waren. Die, die jetzt da oben sind, die kenne ich gut, das sind alles gute Freunde von mir. Wir tauschen uns aus und das verliert dann an Schrecken natürlich, obwohl wir nach wie vor sehr viel Respekt davor haben, weil das natürlich schon ein Risiko ist, das wir eingehen.
Armbrüster: Wie genau sieht das Training denn aus?
Gerst: Ja das ist sehr unterschiedlich, je nachdem an welchem Ort ich trainiere. Jetzt im Moment bin ich ja am Europäischen Astronautenzentrum in Köln, der ESA, und da trainieren wir auf Systemen, die die ESA zur Raumstation beiträgt. Das ist zum Beispiel das europäische Raumlabor Columbus, in dem ich dann später auf der Raumstation sehr viele wissenschaftliche Experimente durchführen werde. Das ist dazu noch der europäische Raumtransporter ATV, den ich entgegennehmen werde. Der dockt automatisch an der Raumstation an. Ich werde das überprüfen und kontrollieren, während ich da oben bin, und da dann Fracht rausnehmen, Experimente, die ich aufbauen werde. Das sind alles Dinge, die ich hier jetzt in Köln trainiere.
Armbrüster: Müssen Sie denn nicht irgendwie trainieren, auch körperlich fit zu sein?
Gerst: Ja, das kommt immer wieder mit da rein. Ich hatte heute auch schon zweieinhalb Stunden Sporttraining. Das macht man überall. Das ist wirklich was, was man ständig, jede Woche mindestens sechs Stunden trainiert.
Armbrüster: Sie werden jetzt ein halbes Jahr da oben auf der ISS bleiben, in so einer kleinen Röhre, vollgestopft mit wissenschaftlichen …
Gerst: So klein ist die gar nicht.
Armbrüster: So klein ist sie nicht, aber trotzdem …
Gerst: So groß wie eine Boeing 747.
"Man muss sich da gar nicht ablenken"
Armbrüster: Immerhin! Das ist ein sehr eingegrenzter Raum, für viele Leute wahrscheinlich unvorstellbar. Gibt es da irgendwas, mit dem Sie sich ablenken können?
Gerst: Ich denke, man muss sich da gar nicht ablenken. Ich freue mich darauf. Für mich ist das keine schlimme Vorstellung. Man muss ja schauen, dass man auch ein Fenster hat, wo man rausschauen kann, und man sieht die Erde unter sich vorbeiziehen. Ich denke, das macht vieles wett. Für mich ist das keine Schreckensvorstellung.
Armbrüster: Dürfen Sie was Persönliches mitnehmen?
Gerst: Ja. Man hat tatsächlich anderthalb Kilogramm an persönlichem Gepäck. Da kann man reintun im Prinzip was man möchte.
Armbrüster: Haben Sie sich schon was ausgesucht?
Gerst: Ja, ich musste das schon abgeben. Das muss man frühzeitig einpacken. Für mich sind das hauptsächlich so Erinnerungsgegenstände, Dinge, die mich an meine Heimat, an die Erde erinnern, an meine Familie und so ein bisschen einen Anker darstellen, damit ich nicht vergesse, wo ich herkomme.
Armbrüster: Darf man in der ISS als Astronaut eigentlich auch irgendwann mal sagen, Leute, heute bin ich krank, heute bleibe ich im Bett liegen?
Gerst: Wenn man krank ist, dann sollte man tunlichst im Bett liegen bleiben und sich auskurieren – natürlich. Das ist eine Möglichkeit. Es ist aber so, dass eigentlich die Chance, dass man krank wird, sehr gering ist, wenn man da oben ist, weil man ja keine Viren hat oder Bakterien, denen man ausgesetzt ist. Wenn man nicht schon die Grippe mit hochbringen würde, dann kriegt man die da oben auch nicht. Und dafür, dass wir sie nicht mit hochbringen, da ist die Quarantäne zuständig. Das heißt, ich bin zwei Wochen vor dem Start in Baikonur im Prinzip in Quarantäne mit meiner Mannschaft und wir haben wenig Kontakt zu Personen aus der Außenwelt, außer durch eine Glasscheibe.
"Es sich lohnt, rein wirtschaftlich schon"
Armbrüster: Herr Gerst, jetzt fragen sich natürlich viele Leute, die das hören: Das ist ja sicher eine tolle Sache für diesen jungen Mann, für ein halbes Jahr ins Weltall zu fliegen zur Internationalen Raumstation. Aber warum sollen wir eigentlich für solche Reisen ins All auch heute im Jahr 2014 noch Milliarden-Summen ausgeben?
Gerst: Ja, das ist eine gute Frage: weil die Antwort ganz einfach ist, dass es sich lohnt, rein wirtschaftlich schon. Man hat ja im Bereich Raumfahrt ein return of investment zwischen eins zu fünf. Das heißt: Jeden Euro, den wir da investieren, kriegen wir fünffach zurück bis zu viel höheren Werten, wenn es zum Beispiel in die Telekommunikation geht. Das heißt, Raumfahrt lohnt sich für uns gerade als Hochtechnologieland Deutschland sehr, weil wir darauf angewiesen sind, an vorderster Front der Technik mitzuarbeiten.
Armbrüster: Und das sind alles Experimente, die man nicht auf der Erde durchführen kann?
Gerst: Nein. Sonst würden wir sie natürlich nicht im Weltraum machen. Bevor man ein Experiment auf die Raumstation kriegt, muss man wirklich beweisen, dass man das nicht einfach so auf der Erde machen könnte. Eines meiner Top-Experimente ist ein elektromagnetischer Schmelzofen, mit dem wir neue Legierungen testen. Das heißt, wir schmelzen die da oben auf und erforschen die da oben. Das können wir auf der Erde nicht, weil man Legierungen nur dann wirklich erforschen kann, wenn sie kein Randgefäß berührt, und das geht nur in der Schwerelosigkeit. Da entwickeln wir neue Legierungen, die zum Beispiel dann in zehn Jahren in einem neuen Flugzeugtriebwerk Treibstoff sparen oder im neuen Automotor eine CO2-Einsparnis bringen. Das sind Sachen, die uns ganz konkret hier unten auf der Erde zugutekommen. Oder Osteoporose-Kranke profitieren davon, dass wir unseren eigenen Knochenbau da oben erforschen, und das sind wirklich Dinge, die wir nirgendwo sonst machen können.
Armbrüster: Aber trotzdem: Ist da nicht zumindest so ein kleiner Teil dabei, wo man sagen kann, eigentlich sind Weltraumreisen in gewisser Weise auch ein Statussymbol für viele Länder, so nach dem Motto, jedes Land, das einigermaßen etwas auf sich hält, schickt auch einen Mann oder eine Frau ins Weltall?
Gerst: Nein. Ich denke, das ist nicht wirklich der Beweggrund. Für mich ist es viel wichtiger, dass wir gemeinsam - als Menschen sind wir ja auch Entdecker - daran arbeiten, unsere Umgebung zu erkunden. Aus dem Weltall drohen auch Gefahren für die Menschheit. Das können Meteoriten sein, das kann das Weltraumwetter sein, Sonnenstürme, und wenn wir das nicht erforschen würden, dann würden wir uns blind machen für Gefahren, die von außen kommen.
Armbrüster: Aber brauchen wir dafür Menschen im Weltraum?
Gerst: Natürlich nicht für alles. Wir haben ja sehr viele Satelliten. Es gibt ja über tausend Satelliten, die die Erde umrunden, und da machen wir natürlich uns die automatischen Systeme zunutze, für die man keine Menschen braucht. Aber es gibt jede Menge wissenschaftliche Versuche, die wir nur als Menschen durchführen können, weil wir Intuitionen mitbringen.
Armbrüster: Das war der Astronaut und Geophysiker Alexander Gerst, drei Monate vor seinem ersten Weltraumflug. Besten Dank für das Interview.
Gerst: Gerne! Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.