"Wir versuchen herauszufinden, wie die Mikroben, die in unserem Darm wohnen, Verhalten und Hirnfunktion beeinflussen können. Dass sie es tun, wurde häufiger gezeigt von verschiedenen Arbeitsgruppen in der ganzen Welt und es sind mehrere Verhaltensänderungen aufgefallen in Tieren, die zum Beispiel überhaupt gar keine Bakterien haben, also sterile Mäuse."
Roman Stilling arbeitet am Alimentary Probiotic Centre der Universität Cork und beschäftigt sich dort mit diesen sogenannten keimfreien Mäusen. Den Tieren fehlt das Mikrobiom im Darm komplett, weil sie unter sterilen Bedingungen geboren und aufgezogen wurden. Mithilfe dieser Tiere untersuchen die Wissenschaftler, welchen Effekt das Mikrobiom auf bestimmte Prozesse im Körper hat. Roman Stilling und seine Kollegen führen zum Beispiel Verhaltenstests durch. Dabei haben sie beobachtet, dass die keimfreien Mäuse weniger kontaktfreudig sind als ihre normal besiedelten Artgenossen und sich lieber mit sich selber als mit einer anderen Maus beschäftigen. Für die sonst hochsozialen Tiere ist das ungewöhnlich. Kommen die sterilen Mäuse aber mit Darmbakterien in Kontakt, verschwindet das auffällige Verhalten.
"Die werden in Käfige gesetzt, die vorher von konventionellen Mäusen bewohnt wurden, dann bekommen diese mit der Zeit auch wieder ein normales Mikrobiom zurück, das heißt sie werden wieder besiedelt. Diese Mäuse zeigen dieses veränderte Sozialverhalten nicht."
Biochemische Kommunikation zwischen Darm und Hirn?
Die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn könnte dabei auf verschiedenen Wegen ablaufen: Zum einen existiert mit dem Vagusnerv eine direkte Verbindung zwischen den beiden Organen, über den Signale in beide Richtungen weitergegeben werden und den die Darmbakterien anregen können. Zum anderen wäre eine biochemische Kommunikation möglich. Denn die Bakterien im Darm produzieren kurzkettige Fettsäuren, die als Signalmoleküle wirken und Enzyme steuern können.
"Und diese Enzyme kommen auch im Gehirn vor und wir wissen, dass wenn man diese Enzyme blockiert, Veränderungen in der Genexpression im Gehirn stattfinden können, was dann zu unterschiedlichem Verhalten führen kann."
Das könnte Zufall sein. Oder ein Hinweis darauf, dass die Bakterien im Darm tatsächlich über die kurzkettigen Fettsäuren mit dem Gehirn kommunizieren und so Einfluss auf das Sozialverhalten nehmen. Das Sozialverhalten wird von einem bestimmten Teil des Gehirns gesteuert, dem sogenannten Mandelkern. Der Mandelkern ist das Zentrum für Angst oder die emotionale Bewertung von Situationen und für Roman Stilling und seine Kollegen im Rahmen ihrer Forschung besonders interessant.
"Also sind wir einfach nur hingegangen, ganz naiv und haben geguckt, gibt es denn Unterschiede in dieser Hirnregion. Und haben das gesamte Transkriptom, so nennt man das, wenn man sich die Genregulation anschaut, analysiert und haben Unterschiede festgestellt."
Auch menschliche Patienten könnten profitieren
Im Mandelkern einer Maus mit Mikrobiom waren also andere Gene aktiv als in dem einer keimfreien Maus. Darunter auffällig viele Gene, die für die Kommunikation zwischen den Nervenzellen zuständig sind. Diese Unterschiede allein sind noch kein Beweis für einen direkten Einfluss des Mikrobioms auf das Verhalten, aber sie liefern den Forschern wichtige Hinweise, welche Signalwege sie sich genauer anschauen müssen.
Roman Stilling und seine Kollegen wollen als Nächstes testen, ob der Effekt im Mandelkern tatsächlich von den kurzkettigen Fettsäuren abhängt.
"Wenn wir jetzt diesen Tieren diese kurzkettigen Fettsäuren zuführen, künstlich, also spritzen oder wir geben denen Bakterien zu fressen, die besonders viele von diesen kurzkettigen Fettsäuren herstellen, und dann sehen: Aha, das Sozialverhalten ist wieder normalisiert, dann hätten wir sozusagen bewiesen, dass es da einen kausalen Zusammenhang gibt."
Vom besseren Verständnis des Zusammenspiels von Mikrobiom und Gehirn könnten dann auch menschliche Patienten profitieren.
"Wenn wir uns Sozialverhalten angucken, denkt man natürlich immer auch an Menschen, die ein beeinträchtigtes Sozialverhalten zeigen, und da kommen einem relativ schnell so Krankheiten über den Weg gelaufen wie Autismus. Und interessanterweise ist es auch so, wenn man sich Autismuspatienten anschaut, dass die ganz oft davon berichten, dass sie auch Darmprobleme haben."
Für Roman Stilling und seine Kollegen ein weiterer Hinweis, dass ihre Forschung in eine vielversprechende Richtung geht.