Am Anfang der Sprache eines Kindes steht sein Schrei.
"Das ist eine ganz explosive Äußerung. Ein Kinderschrei. Man sieht, die Kinder machen das mit ganzer Kraft, eine mächtige Expression und das soll auch so sein. Es soll ungeheure aufmerksamkeitserregend sein und möchte anmerken: Ihr müsst für mich da sein. Ich brauche Eure Hilfe. "
Werner Mende von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
"Später bewirkt es noch was Raffiniertes. Es ist eine Strategie zur Bindung, zur Mutter-Kind-Bindung, an die care-giver. Das ist höchste wirksam ... "
Mit seinem Schrei - so die Meinung des Evolutionstheoretikers - erwirbt der Säugling entscheidende sprachrelevante Fähigkeiten, lange bevor er zu babbeln oder gar zu sprechen beginnt. Gemeinsam mit der Verhaltensbiologin Kathleen Wermke von der Universität Würzburg sammelt und analysiert Werner Mende seit 25 Jahren Lautäußerungen von Kindern im ersten Lebensjahr. Dadurch können sie sehr genau beschreiben, wie sich ihre Laute immer weiter ausdifferenzieren.
"Am Anfang haben sie einfache Melodien. In selten Fällen mal eine Doppelwelle und diese komplizierten Wellen, Dreifachwelle, Vierfachwelle werden im Anteil immer größer und werden offenbar mit einem gewissen Wollen und einer Intentionalität hervorgebracht und werden immer weiter komplexifiziert. Sie werden geteilt, dann werden Stopps zwischen den Wellen gemacht. Dann werden die einzelnen Wellen sogar noch zerrissen. All dass, was wir dann später bei der ausgeprägten Sprache dann finden. Und deswegen ist es sehr berechtigt, dass als notwendige Vorformen einer Sprache aufzufassen."
Bereits vor seiner Geburt beginnt sich das Kind auf seine Muttersprache einzuhören. Gefiltert durch die Bauchdecke und das Fruchtwasser vernimmt das kleine Wesen nicht einzelne Worte, sondern eine Sprachmelodie. Diese Melodie ist es auch, worauf das Kind nach der Geburt lauscht und wodurch es das Band zu der Mutter, dem Vater und anderen Pflegepersonen hält. Diese nimmt es auf, untersucht es nach deren Charakteristika und gibt sie entsprechend wieder.
Da sich Sprachen in ihrer Melodie voneinander unterscheiden, schreien Kinder auch verschieden - jeweils mit der in ihrer Muttersprache üblichen Betonung.
"Im Deutschen sagt man Mama, Papa, Hase. Im Französischen Mama, Papa und wenn man sich die Schreie anhört und analysiert, dann kann man hören, dass das französische Kind anders schreit als das Deutsche. "
Angela Friederici, Direktorin des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften. Im Forschungslabor setzten die Wissenschaftler aus ihrem Team Säuglingen Käppchen auf den Kopf. An der Kopfoberhaut messen sie anschließend, ob die Kinder auch beim Hören Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachmelodien wahrnehmen. Und in der Tat: französische Kinder finden die Wörter eher überraschend, die auf der ersten Silbe betont sind. Deutschen hingegen jene, die auf der zweiten Silbe betont werden. Immer neue Belege finden die Wissenschaftler dafür, dass die Babys die Ansprache der Erwachsenen nicht zuerst danach analysieren, was gesagt wird. Sie achten vielmehr auf die Wort- und Satzeinheiten, die Pausen und lernen zunächst die Grammatik einer Sprache:
"Es ist zum Beispiel so, dass ich deutsche Kinder mit italischen Sätzen konfrontieren. Dann heißt das etwa: 'La sorella sta cantando.‘ Die Schwester ist am Singen - das sind die beiden Elemente, die zusammen gehören, wie das is und ing - is singing und wenn wir Kindern entsprechende Sätze vorspielen eine Weile lang und sie danach konfrontieren mit entweder richtigen oder falschen Konstruktionen, dann können sie uns wieder durch ihre Hirnaktivitäten zu erkennen geben, schon im Alter von vier Monaten, dass sie diese grammatikalischen Unregelmäßigkeiten erkennen können."
Im Experiment hören die Babys zunächst drei Minuten den grammatikalisch korrekten Satz, dann eine Minute exakte und fehlerhafte Formulierungen. Die meisten Kinder zeigen nach sechs bis neun Minuten an ihren Reaktionen an, dass sie wahrnehmen: Hier stimmt etwas nicht. Das Gehirn filtert aus den gehörten Sätzen offenbar automatisch die syntaktischen Beziehungen heraus und erkennt die Abweichungen vom Muster.
"'"Das ist ein Lernmechanismus, der von Anfang an da ist, der angeboren ist. Interessanterweise ist es so, dass, wenn man das gleiche Experiment mit Erwachsenen macht, sieht das etwas anders aus. Der Erwachsene versucht, wenn er mit solchen Sätzen konfrontiert ist, nicht nach den oberflächlichen Regelmäßigkeiten zu schauen, sondern versucht immer gleich Bedeutungen zuzuweisen.""
"Die Kinder hören eigentlich nur Strukturen, die sich wiederholen, die ins Auge springen, etwas wie eine schnelle Modulation. Das sind die Dinge, die erst einmal rausgefiltert werden. Darauf wird das Sprachverständnis langsam aufgebaut. Das ist eine ganz andere Strategie. Das Gehirn nutzt gewisser Maßen die Unreife aus, um zu filtern, um zunächst einmal die einfachsten Komponenten des Dialogischen zu übertragen, eben melodische Abstimmung, Rhythmus, Synchronisation. Das sind alles Dinge, die Linguisten würden sagen, vorsprachlich sind. Aber deswegen nicht weniger bedeutungsvoll. Sie sind sogar ganz entscheidend, dass wir eine Sprache überhaupt lernen kann."
All dieses Material regt die Babys an, ihren Mund und Rachen sprachlich und lautlich weiter auszutesten. Sie nutzen Zunge und Lippen und versuchen, das Gehörte selbst umzusetzen. Der Babylautforscher Werner Mende.
"Die Kinder beginnen recht bewusst mit ihrer Melodie zu spielen. Man kann das genau beobachten, dass die Kinder eine sehr starke akustische Rückkopplung haben. Sie werden ihrer eigenen Stimme gewahr und das ist in der Natur offenbar mit einer großen Lustprämie verbunden. Die Kinder freuen sich königlich wenn sie ihre Stimme hören. Also diese Hervorbringung ist ein großes Wunder und vermutlich notwendig, um die Stimmorgane unter Kontrolle zu unterwerfen Schritt für Schritt."
Daran wie sie ihre Melodie formen, wie viele Bögen sie machen und wie lang die sind, an den Pausen und dem Rhythmus der Äußerungen lesen Werner Mende und seine Kollegin ab, wo die Kinder in ihrer sprachlichen Entwicklungen stehen. Frühzeitig können sie entdecken, wenn sie stagniert oder gar rückwärtsgeht. Das kann organische Gründe haben, beispielsweise, dass ein Kind schwerhörig ist. Es kann aber auch daran liegen, dass ihm das Echo fehlt. Um vom Schrei über das Babbeln zum ersten Wort zu gelangen brauchen die Kleinen Input von den Erwachsenen. Gerade der melodiöse Singsang der sogenannten Ammensprache erlaubt dem Säugling, den Redestrom zu zerlegen und einzelne Muster zu erkennen. Intuitiv sprechen deshalb Erwachsene eine Tonlage höher, langsamer und mit übertriebener Intonation.
"Man weiß, dass Kinder genau diese emotionale Sprechweise, nicht nur die kindergerechte, sondern die klangvolle dynamische emotionale Sprechweise präferieren. Da fahren sie voll drauf ab, weil das zu dem Körperempfinden passt, was man selbst hat und zu dem Bedürfnis, mit den Bewegungen des kleines Wesen ein bisschen synchron zu sein und ein bisschen Gemeinsamkeit herzustellen, die extrauterin nicht mehr so unmittelbar da ist wie intrauterin. Wir wissen also Prosodie ist wichtig. Es ist aber noch nicht gut erforscht worden, wie wichtig Prosodie ist und ob Prosodie eine Rolle dabei spielt, wie Kinder ihre Aufmerksamkeit organisieren und wie sie überhaupt Wörtern lernen. "
Professorin Gisela Klann-Delius ist Linguistin an der Freien Universität Berlin.
"Die bisherigen Ergebnisse aus der einen größeren Studie zeigen schon, die Prosodie hat schon einen Effekt darauf, wie gut Wörter lernen. Das interessante ist nur, der positive Effekt ist kurzfristig."
Kurzfristig heißt - etwa bis zum 26. Monat. Das heißt über das zweite Lebensjahr hinaus, stützen sich Kinder auf die Rhythmik, Metrik und Prosodie, um mit ihrer Muttersprache vertraut zu werden. Nach dem 26. Monat - so vermuten die Wissenschaftler- würde es eher die Speicherung im Gedächtnis stören, würde die Aufmerksamkeit der Kinder immer noch durch so viel Rhythmik erregt. Andere Verarbeitungsprozesse werden bedeutsam. Immerhin - etwa bis zum vierten Geburtstag bilden die Jüngsten die Muttersprache im Prinzip aus. Im Exzellenz-Cluster "Laguages of Emotion" untersucht Gisela Klann-Delius gegenwärtig, welche weiteren, bisher unbeachteten emotionalen Prozesse sich dabei abspielen. Eine Frage ist, wie die Knirpse es schaffen, nicht nur äußere, zeigbare Dinge mit dem gebräuchlichen Wort zu benennen. Viel komplizierter ist das bei inneren Zuständen und Emotionen.
"Da kann man schon sehen, dass es in den frühen Austauschprozessen zwischen Eltern und Kindern häufig genug Fehlbenennungen gibt. Was weiß ich. Das Kind hat einen traurigen Gesichtsausdruck, und da kann es sein, dass die Eltern sagen, ach, du bist müde. Und wenn sie das notorisch hören, dass ihr Ausdruck von Trauer mit müde assoziieret wird, geht das natürlich eine gewisse Melange ein. "
In ihrer Forschung bezieht sich die Linguistin auf den Bindungsforscher John Bolby und zeigt, dass unsicher gebundene Kinder oft auch Schwierigkeiten haben, sich emotional zu äußern.
Doch sind diese Bilder über Bindung, die in europäischen Mittelschichtsfamilien gewonnen wurden, auf alle Kulturen der Welt übertragbar? Gibt es auch andere Bindungsmodelle? Das ist die Fragestellung der Abteilung Entwicklung und Kultur am Fachbereich Humanwissenschaften der Universität Osnabrück, die Professorin Heidi Keller leitet. Sie sieht in der Kultur jene zentrale Kraft, die jedem Alltagshandeln eine Richtung gibt. Die Kultur bestimmt, wie Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen - sich schützen, ernähren, miteinander reden, sich bilden. Die Kultur von europäischen Mittelschichtsfamilien ist stark auf eine psychologische Autonomie ausgerichtet. Andere Kulturen - übrigens die Mehrheit auf der Welt - orientieren sich mehr an der Relationalität, der Beziehung zueinander, die oft hierarchisch ist. Das hat auch Einfluss auf den pädagogischen Alltag. Heidi Keller.
"Wenn ich jetzt mehr an Relationalität orientiert bin, mache ich im Alltag andere Dinge, ich verhalte mich den Eltern gegenüber anders, die Erzieherinnen verhalten sich mir gegenüber anders. Es hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche."
Einschließlich der Sprachentwicklung. Die Forschungsgruppe "Entwicklung, Lernen und Kultur" untersuchte in deutschen Mittelschichtsfamilien und in einer dörflichen Gemeinschaft in Kamerun typisches Bindungs- und Kommunikationsverhalten. Afrikanische Kinder sind von klein auf in die Gruppe eingebunden und reden stets mit Bezug zur Gruppe, nicht über sich. Bereits ein Baby wandert dort von einem Arm zum anderen und auch einer fremden Person traut man zu, dass sie das Kind bei Kummer tröstet. Undenkbar hierzulande. Nach John Bolby erwartet man, dass ein sicher gebundener Säugling weint, wenn die Mutter den Raum verlässt und sie vor allem ihn zu beruhigen vermag. Das individuelle Empfinden und die individuelle Entwicklung stehen im Vordergrund. Diesem an Autonomie orientierten Modell - so Heidi Keller - folgen hierzulande nicht nur deutsche Eltern, sondern auch Pädagogen in ihrer Sprachpraxis. Das kann in der Tageseinrichtung zu seltsamen Missverständnissen führen, wenn türkische oder arabische Kinder mit einer hierarchisch relationalen Kultur angesprochen werden.
"Zum Beispiel Ein Kind morgens in die Kita und wird gefragt, wo möchtest Du sitzen. Möchtest Du neben x sitzen oder neben y. Das Kind ist aber nicht gewohnt, gefragt zu werden, wo es sitzen möchte und das ist für das Kind ein riesiges Problem und erst recht ist es gewohnt, die Erzieherin anzuschauen und darüber zu reden, wo es sitzen möchte. Einmal ist es so, dass es vom Kind nicht erwartet wird, aufgrund der sozialen Hierarchie darf es gar nicht irgendwelche Meinungen oder sonst etwas von sich zu geben. Und zum anderen. Da ist sehr viel Kommunikation, die nonverbal abläuft, was auch große kognitive Fähigkeiten verlangt, die unsere Kinder gar nicht lesen können, weil sie kommen, ich will und merken gar nicht, was nonverbal reguliert wird. "
All diese Erkenntnisse führen auf die Frage zurück: Wofür der Mensch die Sprache brauchte? Wieso entwickelten einige Primaten vor etwa 1,5 Millionen Jahren eine Lautsprache? Heute gehen Wissenschaftler davon aus, dass auch in der Mutter-Kind-Bindung eine wichtige Triebkraft lag. Einen Lautstrom zu formieren, erlaubte unseren Vorfahren das Kind abzulegen und dennoch engsten Kontakt zu halten. Gerade durch die körpernahe Artikulation all dessen, was um die Gruppe geschah und Aufmerksamkeit verlangte, konnten sich diese frühen Menschen perfekt abstimmen und ihre Zusammenarbeit organisieren - ein Vorteil, der das menschliche Gehirn und Verhalten entscheidend prägte. Werner Mende
"Ich glaube, wir kommen mit diesen Betrachtungen auch dazu, dass die heutige Sprachpädagogik viele Dinge vernachlässigt, nämlich den emotionalen Unterbau, der für die Sprache eine ganz große Rolle spielt und der auch für das Sprachlernen sehr erleichtern würde. Wir beginnen das Sprache mit Wortübungen oder Grammatik oder so was und das ist aber nicht situationsgerecht."
Evolutionstheoretiker, Psychologen, Verhaltensbiologen und Linguisten nähern sich einer Auffassung: Durch die Sprachmelodie und die Verständigung über die Befindlichkeit im Moment wird das emotionale Band zwischen dem Kind in den ersten Lebensjahren und seinen Bezugspersonen gehalten und zugleich die sprachliche Entwicklung gefördert. Angela Friederici.
"Ich sag immer, dass Kind will eigentlich keine Sprache lernen. Das Kind will kommunizieren. Und der Sprache, in der es aufwächst, lernt es zu kommunizieren und Dinge zu benennen."
"Das ist eine ganz explosive Äußerung. Ein Kinderschrei. Man sieht, die Kinder machen das mit ganzer Kraft, eine mächtige Expression und das soll auch so sein. Es soll ungeheure aufmerksamkeitserregend sein und möchte anmerken: Ihr müsst für mich da sein. Ich brauche Eure Hilfe. "
Werner Mende von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
"Später bewirkt es noch was Raffiniertes. Es ist eine Strategie zur Bindung, zur Mutter-Kind-Bindung, an die care-giver. Das ist höchste wirksam ... "
Mit seinem Schrei - so die Meinung des Evolutionstheoretikers - erwirbt der Säugling entscheidende sprachrelevante Fähigkeiten, lange bevor er zu babbeln oder gar zu sprechen beginnt. Gemeinsam mit der Verhaltensbiologin Kathleen Wermke von der Universität Würzburg sammelt und analysiert Werner Mende seit 25 Jahren Lautäußerungen von Kindern im ersten Lebensjahr. Dadurch können sie sehr genau beschreiben, wie sich ihre Laute immer weiter ausdifferenzieren.
"Am Anfang haben sie einfache Melodien. In selten Fällen mal eine Doppelwelle und diese komplizierten Wellen, Dreifachwelle, Vierfachwelle werden im Anteil immer größer und werden offenbar mit einem gewissen Wollen und einer Intentionalität hervorgebracht und werden immer weiter komplexifiziert. Sie werden geteilt, dann werden Stopps zwischen den Wellen gemacht. Dann werden die einzelnen Wellen sogar noch zerrissen. All dass, was wir dann später bei der ausgeprägten Sprache dann finden. Und deswegen ist es sehr berechtigt, dass als notwendige Vorformen einer Sprache aufzufassen."
Bereits vor seiner Geburt beginnt sich das Kind auf seine Muttersprache einzuhören. Gefiltert durch die Bauchdecke und das Fruchtwasser vernimmt das kleine Wesen nicht einzelne Worte, sondern eine Sprachmelodie. Diese Melodie ist es auch, worauf das Kind nach der Geburt lauscht und wodurch es das Band zu der Mutter, dem Vater und anderen Pflegepersonen hält. Diese nimmt es auf, untersucht es nach deren Charakteristika und gibt sie entsprechend wieder.
Da sich Sprachen in ihrer Melodie voneinander unterscheiden, schreien Kinder auch verschieden - jeweils mit der in ihrer Muttersprache üblichen Betonung.
"Im Deutschen sagt man Mama, Papa, Hase. Im Französischen Mama, Papa und wenn man sich die Schreie anhört und analysiert, dann kann man hören, dass das französische Kind anders schreit als das Deutsche. "
Angela Friederici, Direktorin des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften. Im Forschungslabor setzten die Wissenschaftler aus ihrem Team Säuglingen Käppchen auf den Kopf. An der Kopfoberhaut messen sie anschließend, ob die Kinder auch beim Hören Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachmelodien wahrnehmen. Und in der Tat: französische Kinder finden die Wörter eher überraschend, die auf der ersten Silbe betont sind. Deutschen hingegen jene, die auf der zweiten Silbe betont werden. Immer neue Belege finden die Wissenschaftler dafür, dass die Babys die Ansprache der Erwachsenen nicht zuerst danach analysieren, was gesagt wird. Sie achten vielmehr auf die Wort- und Satzeinheiten, die Pausen und lernen zunächst die Grammatik einer Sprache:
"Es ist zum Beispiel so, dass ich deutsche Kinder mit italischen Sätzen konfrontieren. Dann heißt das etwa: 'La sorella sta cantando.‘ Die Schwester ist am Singen - das sind die beiden Elemente, die zusammen gehören, wie das is und ing - is singing und wenn wir Kindern entsprechende Sätze vorspielen eine Weile lang und sie danach konfrontieren mit entweder richtigen oder falschen Konstruktionen, dann können sie uns wieder durch ihre Hirnaktivitäten zu erkennen geben, schon im Alter von vier Monaten, dass sie diese grammatikalischen Unregelmäßigkeiten erkennen können."
Im Experiment hören die Babys zunächst drei Minuten den grammatikalisch korrekten Satz, dann eine Minute exakte und fehlerhafte Formulierungen. Die meisten Kinder zeigen nach sechs bis neun Minuten an ihren Reaktionen an, dass sie wahrnehmen: Hier stimmt etwas nicht. Das Gehirn filtert aus den gehörten Sätzen offenbar automatisch die syntaktischen Beziehungen heraus und erkennt die Abweichungen vom Muster.
"'"Das ist ein Lernmechanismus, der von Anfang an da ist, der angeboren ist. Interessanterweise ist es so, dass, wenn man das gleiche Experiment mit Erwachsenen macht, sieht das etwas anders aus. Der Erwachsene versucht, wenn er mit solchen Sätzen konfrontiert ist, nicht nach den oberflächlichen Regelmäßigkeiten zu schauen, sondern versucht immer gleich Bedeutungen zuzuweisen.""
"Die Kinder hören eigentlich nur Strukturen, die sich wiederholen, die ins Auge springen, etwas wie eine schnelle Modulation. Das sind die Dinge, die erst einmal rausgefiltert werden. Darauf wird das Sprachverständnis langsam aufgebaut. Das ist eine ganz andere Strategie. Das Gehirn nutzt gewisser Maßen die Unreife aus, um zu filtern, um zunächst einmal die einfachsten Komponenten des Dialogischen zu übertragen, eben melodische Abstimmung, Rhythmus, Synchronisation. Das sind alles Dinge, die Linguisten würden sagen, vorsprachlich sind. Aber deswegen nicht weniger bedeutungsvoll. Sie sind sogar ganz entscheidend, dass wir eine Sprache überhaupt lernen kann."
All dieses Material regt die Babys an, ihren Mund und Rachen sprachlich und lautlich weiter auszutesten. Sie nutzen Zunge und Lippen und versuchen, das Gehörte selbst umzusetzen. Der Babylautforscher Werner Mende.
"Die Kinder beginnen recht bewusst mit ihrer Melodie zu spielen. Man kann das genau beobachten, dass die Kinder eine sehr starke akustische Rückkopplung haben. Sie werden ihrer eigenen Stimme gewahr und das ist in der Natur offenbar mit einer großen Lustprämie verbunden. Die Kinder freuen sich königlich wenn sie ihre Stimme hören. Also diese Hervorbringung ist ein großes Wunder und vermutlich notwendig, um die Stimmorgane unter Kontrolle zu unterwerfen Schritt für Schritt."
Daran wie sie ihre Melodie formen, wie viele Bögen sie machen und wie lang die sind, an den Pausen und dem Rhythmus der Äußerungen lesen Werner Mende und seine Kollegin ab, wo die Kinder in ihrer sprachlichen Entwicklungen stehen. Frühzeitig können sie entdecken, wenn sie stagniert oder gar rückwärtsgeht. Das kann organische Gründe haben, beispielsweise, dass ein Kind schwerhörig ist. Es kann aber auch daran liegen, dass ihm das Echo fehlt. Um vom Schrei über das Babbeln zum ersten Wort zu gelangen brauchen die Kleinen Input von den Erwachsenen. Gerade der melodiöse Singsang der sogenannten Ammensprache erlaubt dem Säugling, den Redestrom zu zerlegen und einzelne Muster zu erkennen. Intuitiv sprechen deshalb Erwachsene eine Tonlage höher, langsamer und mit übertriebener Intonation.
"Man weiß, dass Kinder genau diese emotionale Sprechweise, nicht nur die kindergerechte, sondern die klangvolle dynamische emotionale Sprechweise präferieren. Da fahren sie voll drauf ab, weil das zu dem Körperempfinden passt, was man selbst hat und zu dem Bedürfnis, mit den Bewegungen des kleines Wesen ein bisschen synchron zu sein und ein bisschen Gemeinsamkeit herzustellen, die extrauterin nicht mehr so unmittelbar da ist wie intrauterin. Wir wissen also Prosodie ist wichtig. Es ist aber noch nicht gut erforscht worden, wie wichtig Prosodie ist und ob Prosodie eine Rolle dabei spielt, wie Kinder ihre Aufmerksamkeit organisieren und wie sie überhaupt Wörtern lernen. "
Professorin Gisela Klann-Delius ist Linguistin an der Freien Universität Berlin.
"Die bisherigen Ergebnisse aus der einen größeren Studie zeigen schon, die Prosodie hat schon einen Effekt darauf, wie gut Wörter lernen. Das interessante ist nur, der positive Effekt ist kurzfristig."
Kurzfristig heißt - etwa bis zum 26. Monat. Das heißt über das zweite Lebensjahr hinaus, stützen sich Kinder auf die Rhythmik, Metrik und Prosodie, um mit ihrer Muttersprache vertraut zu werden. Nach dem 26. Monat - so vermuten die Wissenschaftler- würde es eher die Speicherung im Gedächtnis stören, würde die Aufmerksamkeit der Kinder immer noch durch so viel Rhythmik erregt. Andere Verarbeitungsprozesse werden bedeutsam. Immerhin - etwa bis zum vierten Geburtstag bilden die Jüngsten die Muttersprache im Prinzip aus. Im Exzellenz-Cluster "Laguages of Emotion" untersucht Gisela Klann-Delius gegenwärtig, welche weiteren, bisher unbeachteten emotionalen Prozesse sich dabei abspielen. Eine Frage ist, wie die Knirpse es schaffen, nicht nur äußere, zeigbare Dinge mit dem gebräuchlichen Wort zu benennen. Viel komplizierter ist das bei inneren Zuständen und Emotionen.
"Da kann man schon sehen, dass es in den frühen Austauschprozessen zwischen Eltern und Kindern häufig genug Fehlbenennungen gibt. Was weiß ich. Das Kind hat einen traurigen Gesichtsausdruck, und da kann es sein, dass die Eltern sagen, ach, du bist müde. Und wenn sie das notorisch hören, dass ihr Ausdruck von Trauer mit müde assoziieret wird, geht das natürlich eine gewisse Melange ein. "
In ihrer Forschung bezieht sich die Linguistin auf den Bindungsforscher John Bolby und zeigt, dass unsicher gebundene Kinder oft auch Schwierigkeiten haben, sich emotional zu äußern.
Doch sind diese Bilder über Bindung, die in europäischen Mittelschichtsfamilien gewonnen wurden, auf alle Kulturen der Welt übertragbar? Gibt es auch andere Bindungsmodelle? Das ist die Fragestellung der Abteilung Entwicklung und Kultur am Fachbereich Humanwissenschaften der Universität Osnabrück, die Professorin Heidi Keller leitet. Sie sieht in der Kultur jene zentrale Kraft, die jedem Alltagshandeln eine Richtung gibt. Die Kultur bestimmt, wie Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen - sich schützen, ernähren, miteinander reden, sich bilden. Die Kultur von europäischen Mittelschichtsfamilien ist stark auf eine psychologische Autonomie ausgerichtet. Andere Kulturen - übrigens die Mehrheit auf der Welt - orientieren sich mehr an der Relationalität, der Beziehung zueinander, die oft hierarchisch ist. Das hat auch Einfluss auf den pädagogischen Alltag. Heidi Keller.
"Wenn ich jetzt mehr an Relationalität orientiert bin, mache ich im Alltag andere Dinge, ich verhalte mich den Eltern gegenüber anders, die Erzieherinnen verhalten sich mir gegenüber anders. Es hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche."
Einschließlich der Sprachentwicklung. Die Forschungsgruppe "Entwicklung, Lernen und Kultur" untersuchte in deutschen Mittelschichtsfamilien und in einer dörflichen Gemeinschaft in Kamerun typisches Bindungs- und Kommunikationsverhalten. Afrikanische Kinder sind von klein auf in die Gruppe eingebunden und reden stets mit Bezug zur Gruppe, nicht über sich. Bereits ein Baby wandert dort von einem Arm zum anderen und auch einer fremden Person traut man zu, dass sie das Kind bei Kummer tröstet. Undenkbar hierzulande. Nach John Bolby erwartet man, dass ein sicher gebundener Säugling weint, wenn die Mutter den Raum verlässt und sie vor allem ihn zu beruhigen vermag. Das individuelle Empfinden und die individuelle Entwicklung stehen im Vordergrund. Diesem an Autonomie orientierten Modell - so Heidi Keller - folgen hierzulande nicht nur deutsche Eltern, sondern auch Pädagogen in ihrer Sprachpraxis. Das kann in der Tageseinrichtung zu seltsamen Missverständnissen führen, wenn türkische oder arabische Kinder mit einer hierarchisch relationalen Kultur angesprochen werden.
"Zum Beispiel Ein Kind morgens in die Kita und wird gefragt, wo möchtest Du sitzen. Möchtest Du neben x sitzen oder neben y. Das Kind ist aber nicht gewohnt, gefragt zu werden, wo es sitzen möchte und das ist für das Kind ein riesiges Problem und erst recht ist es gewohnt, die Erzieherin anzuschauen und darüber zu reden, wo es sitzen möchte. Einmal ist es so, dass es vom Kind nicht erwartet wird, aufgrund der sozialen Hierarchie darf es gar nicht irgendwelche Meinungen oder sonst etwas von sich zu geben. Und zum anderen. Da ist sehr viel Kommunikation, die nonverbal abläuft, was auch große kognitive Fähigkeiten verlangt, die unsere Kinder gar nicht lesen können, weil sie kommen, ich will und merken gar nicht, was nonverbal reguliert wird. "
All diese Erkenntnisse führen auf die Frage zurück: Wofür der Mensch die Sprache brauchte? Wieso entwickelten einige Primaten vor etwa 1,5 Millionen Jahren eine Lautsprache? Heute gehen Wissenschaftler davon aus, dass auch in der Mutter-Kind-Bindung eine wichtige Triebkraft lag. Einen Lautstrom zu formieren, erlaubte unseren Vorfahren das Kind abzulegen und dennoch engsten Kontakt zu halten. Gerade durch die körpernahe Artikulation all dessen, was um die Gruppe geschah und Aufmerksamkeit verlangte, konnten sich diese frühen Menschen perfekt abstimmen und ihre Zusammenarbeit organisieren - ein Vorteil, der das menschliche Gehirn und Verhalten entscheidend prägte. Werner Mende
"Ich glaube, wir kommen mit diesen Betrachtungen auch dazu, dass die heutige Sprachpädagogik viele Dinge vernachlässigt, nämlich den emotionalen Unterbau, der für die Sprache eine ganz große Rolle spielt und der auch für das Sprachlernen sehr erleichtern würde. Wir beginnen das Sprache mit Wortübungen oder Grammatik oder so was und das ist aber nicht situationsgerecht."
Evolutionstheoretiker, Psychologen, Verhaltensbiologen und Linguisten nähern sich einer Auffassung: Durch die Sprachmelodie und die Verständigung über die Befindlichkeit im Moment wird das emotionale Band zwischen dem Kind in den ersten Lebensjahren und seinen Bezugspersonen gehalten und zugleich die sprachliche Entwicklung gefördert. Angela Friederici.
"Ich sag immer, dass Kind will eigentlich keine Sprache lernen. Das Kind will kommunizieren. Und der Sprache, in der es aufwächst, lernt es zu kommunizieren und Dinge zu benennen."