Stephanie Gebert: Forschung ist teuer, deshalb braucht es Geld, das die Universitäten nicht nur vom Staat bekommen, sondern sich auch als Drittmittel besorgen, etwa über Kooperationen mit Stiftungen. So geschehen an der Universität Mainz, seit zehn Jahren gibt es das gemeinsame Institut für Molekularbiologie mit dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, aber bei dieser Kooperation mit fast 100 Millionen Euro nimmt die Industrie zu sehr Einfluss auf die Forschung – das sagt der Verfassungsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz in einem Gutachten, aus dem "Die Zeit" heute zitiert. Gärditz kommt zu dem Schluss, das ist grundgesetzwidrig, denn Forschung und Lehre sind frei, so steht es in Artikel 5 unserer Verfassung.
Die Organisation LobbyControl hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Verquickung von Wissenschaft und Wirtschaft kritisch zu hinterfragen. Die Politikwissenschaftlerin Christina Deckwirth arbeitet dort. Schönen guten Tag!
Christina Deckwirth: Guten Tag!
Gebert: Ist Mainz jetzt ein Beispiel von vielen aus Ihrer Sicht oder ein besonders drastischer Fall?
Deckwirth: Das ist sicherlich ein besonders drastischer Fall. Hier geht es ja wirklich um sehr hohe Summen. Es ist auch ein Fall, der in der Öffentlichkeit viel kritisiert wurde, aber ein Einzelfall ist es auf jeden Fall nicht.
Es gibt sehr viele Kooperationen zwischen Universitäten, es gibt sehr viele Stiftungsprofessuren, die von Unternehmen, die aus der Wirtschaft finanziert werden und auch sehr viel Drittmittelfinanzierung aus Unternehmen. Es ist also tatsächlich ein generelles Problem, diese Kooperationen zwischen Universitäten und Geldgebern aus der Wirtschaft.
Gebert: Im Mainzer Beispiel ist es die Pharmaindustrie, mit der die Kooperation geschlossen wurde – sicherlich eine bekannte Verquickung von Forschung und Wirtschaft. Welche Verbindungen gibt es in Deutschland noch, und welches Ausmaß hat das?
Deckwirth: Also die Pharmaindustrie ist auf jeden Fall eine der Branchen, die da sehr aktiv ist. Gleichzeitig ist auch die Autoindustrie sehr aktiv an deutschen Universitäten. Es gibt zum Beispiel an der Uni Nürnberg (*) Professuren von Audi. An der TU Braunschweig gibt es auch sehr viele Professuren, die aus der Autoindustrie finanziert werden. Das sind diese Stiftungsprofessuren. Insofern ist das kein Einzelfall, sondern das gilt für viele Universitäten in Deutschland.
Gebert: Wenn wir uns jetzt das Mainzer Beispiel genauer anschauen, wo besteht da genau das Problem?
Deckwirth: Kooperationen zwischen Universitäten und Geldgebern aus der Wirtschaft können die Unabhängigkeit der Wissenschaft gefährden. Das hat ja auch das Beispiel Mainz gezeigt, wo die Stiftung Boehringer Ingelheim direkt Einfluss nehmen wollte auf Stellenbesetzungen, auf Veröffentlichungspraktiken. Unternehmen sind keine Wohltätigkeitsvereine, sie geben Geld, wenn es sich für sie rechnet, Pharmaunternehmen für die Pharmaforschung, Autokonzerne für die Motorenforschung und nicht etwa für die Forschung für eine ökologische Verkehrswende.
Auf der anderen Seite macht Geld natürlich auch etwas mit den Wissenschaftlern selbst, die das Geld erhalten. Jeder kennt ja den alten Spruch, wes Geld ich nehm, des Lied ich sing. Also solche Geldflüsse schaffen immer Abhängigkeiten.
"Wissenstransfer muss natürlich möglich sein"
Gebert: Wenn Sie gerade sagen, die Wirtschaft macht das aus eigenem Interesse, kann eine Hochschule überhaupt eine Kooperation mit der Wirtschaft eingehen, ohne das Risiko einzugehen, beeinflusst zu werden?
Deckwirth: Nicht jede Kooperation, würde ich sagen, ist per se anrüchig. Wissenstransfer muss natürlich möglich sein, aber es braucht auf jeden Fall klare Regeln, es braucht klare Transparenz. So wie es im Moment in Deutschland läuft, das ist nur mehr als fahrlässig und wirklich eine Gefährdung für die Wissenschaft.
"Wir brauchen Transparenz"
Gebert: Wer muss diese Regeln vorgeben?
Deckwirth: Es ist erst mal wichtig, überhaupt für das Problem zu sensibilisieren, und das richtet sich an die Adressaten von Wissenschaftslobbyismus, also an diejenigen, die an den Universitäten forschen und lehren oder auch die Präsidenten. Hier scheint es uns doch auch etwas fahrlässig zuzugehen. Hier ist es wichtig, genau hinzuschauen, auf was lasse ich mich hier ein. Dann ist es natürlich wichtig, dass die Universitäten oder generell auch die Hochschulen ausreichend mit einer staatlichen Grundfinanzierung ausgestattet werden, und wir brauchen Transparenz.
Es ist wichtig, dass alle Drittmittelverträge zwischen Wirtschaft und Wissenschaft offengelegt werden, auch Kooperationen. Wir brauchen auch verpflichtende Berichte von Hochschulen über das Sponsoring zum Beispiel, über die Anzahl der Stiftungsprofessuren. Insgesamt brauchen wir auch sowas wie ein Wissenschaftstransparenzregister als zentrale Anlaufstelle, damit wirklich sichtbar ist, damit öffentlich sichtbar ist, was da alles passiert an Kooperationen, an Geldflüssen, an die Universitäten.
"Es fehlt eine ausreichende Grundfinanzierung der Hochschulen"
Gebert: Jetzt nehmen Sie die Universitäten da sehr stark in die Pflicht. Versuchen wir mal rauszufinden, was da die Motivation ist. Also diejenigen, die von Seiten der Uni so einen Kooperationsvertrag wie an der Universität Mainz abgeschlossen haben, die wollen sicherlich nicht in Abhängigkeit geraten. Also was treibt die an? Ist es die pure Geldnot, ist es Unwissenheit, vielleicht auch Naivität?
Deckwirth: Das sind viele Gründe. Es gibt strukturelle Probleme. Sie hatten das Thema Geldnot angesprochen. Es fehlt eine ausreichende Grundfinanzierung der Hochschulen. Gleichzeitig geht es auch um die Art der wissenschaftlichen Karrieren in Deutschland. Es geht sehr viele unsichere Beschäftigungsverhältnisse an Universitäten, und da sind Drittmittelprojekte hilfreich für die Karriere.
Das heißt, es gibt auch einen gewissen Druck auf gerade junge Wissenschaftler, solche Drittmittel anzuwerben, und gleichzeitig ist es politisch gewollt, dass Universitäten Drittmittel annehmen. Insofern können sich die Universitäten da auch schlecht selbst herausziehen, wenn es eine Vorgabe ist und ein gewisser politischer und teilweise auch gesellschaftlicher Druck entsteht, zu kooperieren und Gelder anzunehmen.
Gebert: LobbyControl sagt Vorsicht, wenn es um die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft geht. Wir brauchen klare Regeln dafür, und wir müssen die Universitäten, die Hochschulen besser finanziell ausstatten und zwar von staatlicher Seite. Danke schön an Christina Deckwirth!
Deckwirth: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
(*) Anmerkung der Redaktion: In der Audio-Version heißt es an dieser Stelle: "Es gibt zum Beispiel an der Uni Augsburg Professuren von Audi". Diesen Fehler haben wir in der Online-Version korrigiert.