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Forschungsprojekt
Ideal und Wirklichkeit des Lebensendes

Früher prägte die Hoffnung auf das ewige Leben den Umgang mit dem Sterben. Heutzutage geht es vor allem darum, den Menschen das Sterben selbst zu erleichtern. Wie das gelingen kann und welche Anforderungen dies an Betroffene, Pflegekräfte und Angehörige stellt, untersucht ein aktuelles Forschungsprojekt.

Von Ingeborg Breuer |
    Eine Verstorbene des Christophorus Hospiz in München file_source: picture-alliance/ dpa
    Wie gelingt die Kunst des Sterbens? Das untersucht die Deutsche Forschungsgemeinschaft in einem Projekt (picture-alliance/ dpa)
    "Die Menschheitsgeschichte hat sich immer mit dem Tod beschäftigt, das tut sie heute überhaupt nicht mehr. Sie beschäftigt sich mit dem Sterben, das ist was völlig anderes."
    Die Vorstellung, wie mit dem Sterben umzugehen ist, unterliegt einem historischen Wandel, erläutert Professor Armin Nassehi, Soziologe an der Uni München. Traditionell christlich ging es beim Sterben vor allem darum, dem Menschen den Übergang zu Gott zu ermöglichen. Im Tod, so die christliche Hoffnung, kommt der Mensch zu seiner endgültigen Daseinserfüllung, dem ewigen Leben. Für diesen Übergang brauchte der Sterbende vor allem geistlichen Beistand, er brauchte die Sterbesakramente zur Vergebung seiner Sünden, er brauchte Fürbitten, Gebete, möglicherweise gar einen Ablass, damit Gott sich seiner Seele erbarme.
    "Tatsächlich ist es so, dass in der Tradition diese postmortale Existenz kirchlich wichtig war. Man hatte zuwenden können, Gebete, auch bestimmte Güter den Verstorbenen zuwenden können, um ihre Schuldenlast zu verringern."
    Eine verschobene Perspektive
    Zunehmend aber, erläutert Prof. Christof Breitsameter, katholischer Moraltheologe an der Uni München, hat sich die Perspektive verschoben.
    "Wir schauen auf den Vorgang des Sterbens, weniger auf das Faktum des Todes, auf die Zeit nach dem Tod, die Fortexistenz nach dem Tod, wie immer die aussehen mag."
    Nicht mehr die Hoffnung auf das ewige Leben prägt den Umgang mit dem Sterben. Sondern heute geht es vor allem darum, den Menschen das Sterben selbst zu erleichtern.
    "Und das ist tatsächlich eine Kulturleistung. Die Kirche konnte es sich vielleicht bequemer machen und sagen, es ist egal wie Menschen sterben, Hauptsache sie erfüllen die Bedingungen, die ihnen eine Fortexistenz im Himmel oder mindestens im Fegefeuer ermöglicht. Und heute schauen wir darauf, ist denn dieser letzte Zeitabschnitt so zu gestalten, dass ein Mensch sagen könnte, es ist einigermaßen gut wie ich sterbe?"
    Vorstellungen, Ziele und normative Muster im Umgang mit Sterbenden
    "Vom guten Sterben" heißt deshalb auch ein Forschungsprojekt, das von den Soziologen Armin Nassehi und Irmhild Saake sowie Christof Breitsameter geleitet wird. In Hospizen und auf Palliativstationen gehen die Forscher der Frage nach, welche Vorstellungen, Ziele und normative Muster heute im Umgang mit Sterbenden gepflegt werden. Während diese früher eher, wie Armin Nassehi es nennt, in eine "organisatorische Unsichtbarkeit" abgeschoben wurden, ist mit dem Konzept der "palliative care" , der Palliativversorgung, eine umfassende Betreuung terminaler Patienten getreten. Und zwar medizinisch, psychisch, sozial und spirituell:
    "Der Arzt kommt hin, wenn’s ums Sterben geht, den Atem einzustellen, die Schmerzen einzustellen, zu gucken, was kann man noch machen mit dem Patienten? Der Sozialarbeiter sagt, das Leben endet, was passiert, wenn du tot bist, mit deiner Wohnung? Seelsorger können mit dem Patienten schweigen, über ganz andere Dinge reden, ohne dass Tod und Sterben vorkommen.
    Zwei Hände halten sich umschlossen auf einem Laken. Die Linke Hand trägt einen Ehering.
    Wir haben bestimmte Erwartungen, wie sich Menschen am Ende ihres Lebens zu verhalten haben (imago stock & people)
    Und die Pflegenden müssen Gegenwarten bewältigen, die müssen gucken, kann ich einen Patienten umlegen, ihm bei den Ausscheidungen helfen, ein Kissen hinlegen? Und dann gibt’s daneben noch einen allgemeinen normativen Diskurs."
    Die Kunst des Sterbens
    Ein Diskurs nämlich, der davon spricht, wie Sterben ‚gelingen‘ kann. Dann nämlich, wenn der Sterbende am Ende sein Schicksal annehmen und eine Gesamtbilanz seines Lebens ziehen kann.
    "Es gibt ja die Ars moriendi, die Kunst des Sterbens, die sich entwickelt hat in der religiösen Tradition. Und wenn man fragt, worin besteht die, dann nimmt man die Gesichtspunkte bewusstes Sterben, versöhntes Streben, gefasst, ruhig, eins mit sich. Und vor allem mit einer Versöhnung mit Menschen und auch mit Gott. So sollte der Mensch sterben."
    "Ein Bild, das sich auch ins Säkulare rüber gerettet hat. Im Religiösen tauchte das auf, ‚Bete für uns in der Stunde unseres Todes‘. Säkular würde das bedeuten, in der Stunde des Todes möchten wir bitte doch, dass du dich mit deinem Leben versöhnst, damit das Leben zu einem angemessenen Ende gebracht wird."
    Es ist genau jener normative Diskurs, der die Forscher in ihrem Projekt besonders interessiert. Der Grundgedanke der Palliativversorgung ist, dass alle in den Sterbeprozess eines Menschen eingebundenen Akteure diesem das "gute Sterben" ermöglichen. Denn das Sterben, forderte schon die Begründerin der "Palliative Care" Cicely Saunders in den 60er Jahren, müsse zu einer ganzheitlichen Sache gemacht werden. Eine Ganzheitlichkeit, an deren Gelingen der Sterbende aber mitwirken soll:
    "Sie müssen sich mal den gesamten professionellen Bereich der Betreuung des Sterbens ansehen, das ist voll von normativen Erwartungen dem Sterbenden gegenüber. Die erste, die damit angefangen hat, ist Kübler-Ross bereits Ende der 1960er Jahre, wo es dann um die Frage ging, kommt man tatsächlich bis zur letzten Sterbephase, in der man die Dinge angenommen hat? Und dann gab es die Erwartungen, dass man gesagt hat, wir müssen schon eine Reflexion darüber machen, sonst können wir nicht angemessen sterben."
    Sprechen ist besser als Schweigen
    Der Wille des Sterbenden soll im Mittelpunkt aller an der Sterbebegleitung Beteiligten stehen. Allerdings soll er, so Armin Nassehi, das Richtige wollen. Er soll seine Rolle als Sterbender annehmen, seine Bedürfnisse artikulieren, am Ende möglichst sein Schicksal annehmen. Er soll mitreden. Die Norm der palliative care erwartet den "sprechenden Patienten". Ironisch gesagt, den ‚mündigen Moribunden‘, der aufgeklärt über die letzten Dinge reflektiert, um am Ende Frieden zu finden.
    "Hauptsächlich geht es um den sprechenden Sterbenden. Sowohl in den Hospizen und den Palliativstationen gibt es so ein ungeschriebenes Gesetz, dass Sprechen besser ist als Schweigen, die Menschen sollen sprechen. Es wird der sprechende Sterbende erfunden, also der, der sich mit dem Sterben auseinandersetzen soll. Und wir wissen tatsächlich, und das ist eines der ersten Ergebnisse, die wir in dem Projekt erzielt haben, dass es faktisch oft genau so nicht stattfindet."
    Das heißt: die Sterbenden wollen oder können oftmals gar nicht erfüllen, was das normative Muster vorgibt.
    "Man muss sich das vorstellen, man hat sein ganzes Leben lang nicht über solche Dinge nachgedacht und jetzt soll man in den letzten drei Wochen seines Lebens wie ein Theologe oder ein Psychologe seiner selbst die Dinge auf den Begriff bringen, wie es sich vor allem akademisch gebildete Leute vorstellen, die eine normative Erwartung ans Sterben haben."
    Doch mit jemand, der seine Rolle nicht annimmt, kann man auch nicht über das Sterben reden. Dies führe, so die Wissenschaftler, nicht selten zu Konflikten im Selbstbild der Pflegenden und Sterbebegleiter. Sie empfinden es als Scheitern, dass der Sterbeverlauf nicht so ist, wie er dem Ideal entspricht.
    "Im Sterben ist es so, dass die fremden Erwartungen sich hereindrängen, dass andere wissen wollen, was gutes Sterben eigentlich ist. Und da werden vielleicht Erwartungen enttäuscht, aber für den Menschen ist es kein schlechtes Sterben."

    "Da gibt es zum Beispiel Aggressionen, Enttäuschungen darüber, dass manche Patienten sich damit nicht auseinandersetzen wollen, dass sie nicht darüber reden wollen, dass sie möglicherweise das Gleiche tun, was sie sonst auch getan haben.
    Darf man zwei Wochen, bevor man stirbt abends Fernsehen so wie man das das ganze Leben gemacht hat oder sich mit unwichtigen Dinge beschäftigen? Das widerspricht eigentlich starken Bildern, die wir haben, dass sich im Sterben die Wahrheit des Lebens ereignet."
    Verstörende Bilder
    Bilder, die aber vielleicht unterschätzen, wie gewalttätig und verstörend die Erwartung des eigenen Endes ist. Dass der Tod sich eben nicht in offenen Gesprächen einhegen lässt. So dass manche ihn vielleicht lieber verdrängen als sich dem nahenden Ende zu stellen.

    "Womöglich sind das Bilder, die die Härte des Sterbens, das Endgültige, die das Angstbesetzte, das Asymmetrische, das durchaus naja, keiner will sterben, die das Schreckliche an der Situation eigentlich nicht mit sehen wollen."
    Nicht zufällig wollen viele Menschen ja am liebsten sterben, indem sie es eigentlich gar nicht merken. Tot umfallen, einfach einschlafen und am nächsten Morgen nicht mehr aufwachen. Ärzte sedieren Sterbende, nicht nur, weil ihnen dann Schmerzen, sondern auch Ängste genommen werden. Das Sterben ist eben keine Lebenskrise, an deren Ende man reifer wieder auftaucht. Der Tod ist – zumindest für nicht gläubige Menschen – das Ende, das Nichts. Er raubt dem Leben, so formulierte es Jean Paul Sartre, jeden Sinn. Ein Faktum, dem, so wiederum Friedrich Nietzsche, nur der "Übermensch" begegnen könne, der sich furchtlos diesem Nichts stellt. Und insofern ist es vielleicht "übermenschlich", den "mündigen Moribunden" zu erwarten, der sich reflektierend, sprechend mit seinem unausweichlichen Schicksal versöhnt.
    "Wenn man uns fragen würde, was ist denn unsere normative Vorstellung, dann würde ich vielleicht sagen, vielleicht sollte man die Idee mit dem Patientenwillen wirklich ernstnehmen, aber die Sensibilität haben, zu erkennen, worin der Patientenwille vielleicht besteht. Vielleicht besteht er darin, in Ruhe gelassen werden zu können. Das ist für professionell Handelnde ganz schwer, ihre Klienten in Ruhe zu lassen. Wir würden eine Sensibilität dafür herstellen wollen, zu sehen, dass in den Einzelfällen sehr unterschiedliche Bedürfnislagen bestehen und wenn wir da mithelfen können, vielleicht ne barmherzigere Form zu finden? Barmherzig heißt ja eigentlich nur, sich mal wirklich die Situation der Menschen anzusehen und zu gucken, was sie brauchen, dann wäre eine ganze Menge gewonnen."