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Forschungsprojekt „Wagner-Lesarten“
„Sprache ist ein zentraler Zugang zu Wagners Musik“

Richard Wagner habe sich intensiv mit der deutschen Sprache beschäftigt, sagte der Musikwissenschaftler Kai Hinrich Müller im Dlf. Sie spiele in der Struktur seiner Musik eine große Rolle. Für die Sängerinnen und Sänger sei das eine große Herausforderung – zum Beispiel in puncto Atmung.

Kai Hinrich Müller im Gespräch mit Marie König |
    Schwarzweißfoto Richard Wagners in würdevoller Pose.
    Wagner habe eine Vielzahl an eigenen Texten hinterlassen, sagte Müller im Dlf (Imago / United Archives International)
    Vor zwei Jahren hat das Projekt "Wagner-Lesarten" begonnen. Es versucht zu ergründen, wie Wagners Musik zu seiner Zeit geklungen hat. Ziel ist es, den "Ring des Nibelungen" historisch informiert aufzuführen. Am vergangenen Wochenende gab es eine Tagung in Halle im Rahmen des Projektes unter dem Titel "Ausspracheideale auf der Bühne in Geschichte und Gegenwart".
    Dazu erklärte Kai Hinrich Müller im Dlf, dass unser Hochdeutsch noch relativ jung sei. 1898 sei es erstmals normiert worden. "Das 19. Jahrhundert ist die Zeit, wo sich unsere Aussprache konsolidiert: 1848 deutsche Revolution, 1871 deutsche Reichsgründung. Und Sprache gibt Identität, deswegen gab es einen unglaublichen Feuilleton-Diskurs, man schrieb über Aussprache - auch Wagner schrieb über Aussprache. Es gibt dieses wunderschöne Zitat von ihm ‚Wer das g nicht vom ch zu unterscheiden vermag, der ist ein undeutscher Barbar.‘"
    "Wagner ist ohne den Text nicht zu denken"
    Wagners Bibliothek sei mit einer Vielzahl an sprachwissenschaftlicher Literatur bestückt gewesen. "Sprache ist ein zentraler Zugang zu Wagners Musik", so Müller. Das betreffe etwa die Struktur der Musik, Satzzeichen würden mit Phrasierungsangaben korrespondieren. "Wagner ist ohne den Text nicht zu denken. Der Text transportiert den Sinn – seine Opern haben ja oft eine gesellschaftskritische Aussage."
    Das Bild zeigt den Musikwissenschaftler Kai Hinrich Müller
    Kai Hinrich Müller forscht über Wagners Musik (Concerto Köln)
    Ein zentraler Aspekt von Aussprache, so Müller weiter, sei die Wort- und die Satzbetonung. "Das ist das erste, was wir den Sängerinnen und Sängern vermitteln müssen: Es geht nicht darum, dass wir das t ein bisschen schärfer aussprechen müssen, sondern dass man die Gesamtheit des Aussprachebegriffs vermittelt und ganz streng darauf achtet, welche Silbe wird überhaupt in einer Phrase betont? Wo darf ich überhaupt atmen?" Das sei für viele Sänger eine große Herausforderung, wenn man nicht atme, wo es der Körper verlange, sondern dort, wo es der Sinn einer Phrase ergebe.
    Größte Erkenntnis: Demut
    Die größte Erkenntnis aus seiner bisherigen Forschung sei die Demut, so Müller. Wagner habe ein komplexes Werk hinterlassen. Er habe "ein unglaubliches Material an eigenen Texten hinterlassen, die wir sichten müssen. Je mehr man eintaucht, desto mehr taucht man auch in die Abgründe von Wagner ein, in die Widersprüche." Wagner habe versucht, seinen Nachruf schon zu Lebzeiten zu organisieren und habe frühere Aussagen wieder zurückgenommen. Das erfordere ein großes Maß an Recherche.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.