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Forschungsreisende Gertrude Bell
Von Mesopotamien bis Bagdad

Die Industriellentochter Gertrude Bell passte nicht in ihre Zeit. Statt als Ehefrau und Salondame ein ruhiges Leben zu führen, bereiste sie lieber den Orient, wurde Historikerin, Archäologin, Alpinistin, Ministerin für Altertümer und Übersetzerin. Doch das unstete Leben hatte seinen Preis. Am 12. Juli 1926 starb Gertrude Bell an einer Überdosis Schlafmittel.

Von Anette Schneider |
    Gertrude Bell war eine britische Forschungsreisende, Historikerin, Schriftstellerin, Archäologin, Alpinistin, politische Beraterin und Angehörige des Secret Intelligence Service im Ersten Weltkrieg
    Gertrude Bell: "Ich möchte Geschichte studiere. Es ist mir sehr ernst damit. Ich möchte wenigstens eine Sache von Grund auf wissen und können. Dieses dilettantische Lernen bin ich leid!" (imago/United Archives International )
    "Ich brauche die Wüste. Die Nefud besteht sieben oder acht Tagesreisen weit nur aus Sandhügeln. Es kommt mir vor, als ob ich hier geboren und groß geworden wäre und die Welt der Nefud die einzige wäre, die ich kenne. Gibt es überhaupt noch eine andere Welt?"
    Das schrieb Gertrude Bell, als sie 1899 erstmals allein durch die Wüste reiste. Zumindest gab es einmal eine andere Welt: 1868 als Tochter britischer Industrieller in der Nähe von Newcastle geboren, erhielt sie dank fortschrittlicher Eltern eine für Mädchen damals ausgesprochen ungewöhnliche Ausbildung: Sie durfte in London ein College besuchen und schon mit 17 wusste sie:
    "Ich möchte Geschichte studiere. Es ist mir sehr ernst damit. Ich möchte wenigstens eine Sache von Grund auf wissen und können. Dieses dilettantische Lernen bin ich leid!"
    Vorreiterin in Oxford
    Als eine der ersten Frauen schrieb sie sich in Oxford ein. Danach hätte sie heiraten sollen, doch ihre High-Society-Bewerber langweilten sie. Lieber lernte sie Arabisch, Türkisch und Persisch und begann zu reisen. Ihre Liebe galt dem Mittleren Osten: Bereits 1892 lebte sie für sechs Monate in Teheran. Sieben Jahre später zog sie mit ihrer eigenen Karawane durch die syrische Wüste.
    "Bei meiner Reise durch den Libanon schien sich an einem Tag alles gegen uns zu verschwören, und unser Elend erreichte seinen Gipfelpunkt, als wir ein endloses Schneefeld betraten, über das ein furchtbarer Sturm nadelscharfer Graupeln dahin fegte."
    Allen Strapazen zum Trotz brach sie in den folgenden Jahren zu immer neuen Expeditionen auf: Sie durchquerte Mesopotamien und gelangte nach Bagdad. Sie lernte Gebiete kennen, in denen noch nie ein Europäer war und machte den dortigen Stammesfürsten ihre Aufwartung. Sie erforschte unbekannte antike Stätten und erhielt für ihre Veröffentlichungen die höchste Auszeichnung der Royal Geographical Society. Und manchmal kehrte sie zurück nach England:
    "Wir werden morgen nach Jaffa gehen, da dort ein Schiff liegt. Aber du weißt, liebster Vater, ich werde in Kürze wieder hier sein! Man kann vom Orient nicht mehr lassen, wenn man schon so weit vorgedrungen ist."
    Wenig Verständnis in der britischen Öffentlichkeit
    Zumal man für Frauen wie sie in den englischen Salons wenig Verständnis hatte. In Zeitungen und Journalen wurden sie sogar Gegenstand von Karikaturen, so die Kulturwissenschaftlerin Ulla Siebert:
    "Karikaturen, die zeigen, mit welchen Vorurteilen diese Frauen zu kämpfen hatten. Sei es, dass sie als Amazone beschimpft wurden oder als Mannweib. Diejenige, die praktisch allein unterwegs ist, die sich um die Konventionen nicht stört, die im Grunde auch gar keine richtige Frau mehr ist."
    Seit 1917 lebte Gertrude Bell ganz in Bagdad. Dort arbeitete sie als Beraterin der britischen Regierung. Die hatte seit Beginn des Ersten Weltkriegs große Teile Mesopotamiens besetzen lassen, die sie zum Irak erklären wollte. Als es 1920 zu ersten arabischen Unruhen gegen die britische Kolonialmacht kam, notierte Bell:
    "Wir haben hier praktisch den gesellschaftlichen Kollaps erreicht. ... Der Kredit der europäischen Zivilisation ist aufgebraucht. ... Wie können wir, die wir unsere eigenen Angelegenheiten so schlecht bewältigt haben, den Anspruch erheben, anderen beibringen zu wollen, wie sie ihre Angelegenheiten besser bewältigen?"
    Von der Vielreisenden zur Ministerin für Altertümer
    1922 wurde Gertrude Bell Ministerin für Altertümer. Sie begann mit dem Aufbau des ersten archäologischen Museums von Bagdad und erarbeitete ein wegweisendes Gesetz über den Umgang mit Grabungsfunden. Bis dahin hatten Kolonialmächte und Abenteurer einfach behalten, was sie ausgruben, so die Archäologin Charlotte Trümpler:
    "Nach dem Ersten Weltkrieg wandelte sich die Archäologie grundlegend, weil - gerade im Irak - die Gertrude Bell dort das erste Antikengesetz eingeführt hat, was die Fundteilung vorsah, aber die schönsten Objekte dem Irak beließ. Sie hat das erste Irakmuseum gegründet, damit dort auch die Funde gut gelagert werden können, was vorher ja nur im Osmanischen Reich in Konstantinopel möglich war."
    Doch in all den Jahren des rastlosen Reisens und Arbeitens hatte Gertrude Bells Gesundheit arg gelitten. Im Juni 1926 schrieb die 57-Jährige an ihre Familie:
    "Hier zu leben, bedeutet inzwischen ziemlich viel Einsamkeit. ... Außer dem Museum macht mir im Leben nichts mehr Spaß."
    Wenige Wochen später, am 12. Juli 1926, wurde Gertrude Bell tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Sie starb an einer Überdosis Schlaftabletten.