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Forschungsstandort Deutschland
"Hoher IT-Bedarf wird durch die Hochschulen nicht gedeckt"

Deutschland leidet unter Wissensabfluss, so die Analyse der Expertenkommission Forschung und Innovation. Ihr Vorsitzender Uwe Cantner sagte im Dlf, neben dem Mangel an Cybersicherheits-Fachleuten bestehe im Wissensaustausch auch ein einseitiger Informationsfluss nach China.

Uwe Cantner im Gespräch mit Matthis Jungblut |
Internetkabel an einem Breitbandanschluss.
Der Mangel an Fachleuten für Cybersicherheit gefährdet den Forschungsstandort Deutschland ebenso wie mangelnde Sensibilität in Bezug auf mögliche Hintergrundmotive von Forschungspartnern (imago / Christian Ohde)
Die Expertenkommission Forschung und Entwicklung stellt in ihrem neuen Jahresgutachten dem Innovationsstandort Deutschland insgesamt ein gutes Zeugnis aus. Positiv seien die Verlängerungen der Wissenschaftspakte und des Paktes für Forschung und Innovation und gestiegene öffentliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Aber im Bereich Cybersicherheit gebe es noch viel Handlungsbedarf - zu viele Sicherheitslücken, zu wenige Fachleute und mangelnde Sensibilität. Ein weiteres wichtiges Ergebnis: Forschenden und Unternehmen fehlt es an Kompetenz in Sachen Forschungsstandort China. Nicht immer seien sich deutsche Forschende bewusst, dass die Forschung in China einem direkten Regierungseinfluss unterliegt, warnte der neue Vorsitzende der EFI-Kommission Uwe Cantner, Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre in Jena.
Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt von Uwe Canter, Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation, das Jahresgutachten 2020 der Kommission entgegen
Jahresgutachten Forschung und Innovation Die Expertenkommission Forschung und Innovation berichtet im Auftrag der Bundesregierung über die aktuelle Entwicklung des Forschungsstandort Deutschland. Schwerpunkte dieses Jahr: Technologietransfer und Wissenschaftskooperationen mit China.
Matthis Jungblut: Herr Cantner, gehen wir mal die wichtigsten Punkte des Berichts durch. Ein Schwerpunkt ist die Zusammenarbeit mit China. Sie fordern da mehr Kompetenz in der deutschen Wissenschaft in Bezug auf den Wissens- und Technologieaustausch und damit verbunden die Einrichtung einer China-Kompetenzstelle. Was genau meinen Sie damit?
Uwe Cantner: Es ist so, dass man feststellt, dass im Wissenschaftsaustausch zwischen Deutschland und China, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kolleginnen und Kollegen von dort kooperieren, dass da oftmals einfach Schwierigkeiten in der Kooperationsanbahnung und auch im Austausch stattfindet. Wir vermuten, dass da auch mit zu tun hat, dass die Kompetenz, China und das Wissenschaftssystem dort zu verstehen, die rechtlichen Regelungen, das zu verstehen, auch Kulturunterschiede, dass das erheblich dazu beiträgt, dass es da Schwierigkeiten gibt.
Wenn man diese Kompetenz aufbaut, ein Verständnis für China aufbaut, auch sprachlich muss man das sehen – das ist nicht nur Wissen über das Land, sondern auch quasi die Sprache mitzunehmen –, dann können wir uns vorstellen, dass diese Austauschbeziehungen sehr viel balancierter und dann auch für beide Seiten nutzbarer dann ablaufen werden. Dann kann man fragen, wie man das macht. Die Kompetenz kann ich aufbauen durch Studiengänge und Ähnliches, und dann kann ich natürlich auch Beratung machen. Also zu rechtlichen Fragen und so weiter kann ich natürlich versuchen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu beraten, wenn man in China was macht, wenn man dort hingeht, wenn man solche Verträge aufbauen möchte, auf was ist zu achten, wie geht man damit um und so weiter, sodass da nicht eine gewisse Naivität vorherrscht und man letztendlich da dann in schlechte Kooperationsbeziehungen fast gezwungen ist einzutreten.
Wissenschaftsfreiheit in China und Deutschland unterschiedlich
Jungblut: Sie schreiben, in Deutschland besteht die Sorge, dass es beim Wissens- und Technologieaustausch zu einer Schwächung kommt der Leistungsfähigkeit. Sie haben es jetzt gerade schon angerissen: Was stellen Sie denn dieser Sorge entgegen? Reicht da wirklich nur Kompetenzaufbau?
Cantner: Na ja, gut, das ist die eine Seite, das, was ich nicht richtig verstehe und dann nicht merke, was passiert. Zum anderen muss ich natürlich feststellen, dass in der Wirtschaft, aber auch in der Wissenschaft, dass natürlich dort in China der Staat durch Regulierung eingreift. Die Wissenschaftsfreiheit in China ist etwas anderes als die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland. Das muss man mit berücksichtigen, dass da möglicherweise politstrategische Motive dann hinten mitlaufen, die dann ganz bestimmte Wissensquellen quasi anzapfen wollen und das eigene Wissen auch nicht weitergeben wollen. Das wird von dort aus reguliert, etwas, was wir in unserem deutschen oder in dem westlichen Wissenschaftssystem so gar nicht kennen, sondern wir haben ein freies Spiel der Ideen und Diskussionen und so weiter darüber. Da hat man einen Partner, der das so nicht macht, wo das anders eingesetzt wird. Deswegen kann das da zu einem einseitigen Wissensabfluss kommen.
So ähnlich können Sie das auf wirtschaftlichen Seite auch sehen, wenn quasi Investitionsbemühungen von Deutschland in China reguliert werden, wenn chinesische Investitionen in Deutschland, wenn die dazu genutzt werden, hier irgendwie im großen Maße dann versuchen, Wissen abzuziehen. Das kann dann alles sehr, sehr unbalanciert werden, und dann hat man die Sorge, die in dem Gutachten dann so als eine Sorge, die man an vielen Stellen hört, dann auch formuliert wird.
Deutschland in der Cypersicherheit nicht Spitze
Jungblut: Kommen wir mal zu einem weiteren wichtigen Punkt, die Cybersicherheit. Wo stehen denn Ihrer Meinung nach Deutschlands Hochschulen in puncto Cybersicherheit? Es gab ja zum Beispiel den Hackerangriff auf die Uni Gießen zum Jahreswechsel. Muss sich die Forschung da in Deutschland besser schützen?
Cantner: Sagen wir mal so, es gibt ein paar prominente Fälle, wo so Cyberattacken dann ganze Systeme niedergelegt haben. Die Uni Gießen jetzt vor Kurzem ganz prominentes Beispiel, aber was für die Uni Gießen gilt, gilt für alle anderen Akteure letztendlich auch. Das können private Akteure sein, das können öffentliche Akteure sein. Die Frage ist, wie geht man damit letztendlich um. Wir denken natürlich, dass erst mal eine Sensibilisierung da sein muss, man muss sich eher gewahr werden, dass solche Gefahren auch schnell da sein können. Nicht, weil es mich bisher nicht getroffen hat, bin ich gesichert, sondern das kann dich sehr schnell einholen. Diese Sensibilität muss letztendlich da sein. Natürlich gibt es auch technische Probleme. Man muss natürlich auch sagen, es gibt auch Möglichkeiten, wie ich solche Cyberangriffe verhindern kann, und dazu müssen neue Ideen entwickelt werden, andauernd, weil natürlich die Angreifer auch andauernd neue Angriffsmethoden entwickeln. Da ist Deutschland, wie wir ja dann im Gutachten auch geschrieben haben, sicherlich unter den ersten zehn in der Welt, aber natürlich nicht Spitze, sondern da sind die USA, China oder Japan dann deutlich vorne.
Informatik und Cyersicherheit attraktiver machen
Jungblut: Sie haben es schon angesprochen: Zum Wintersemester 2020/21 starten die Hochschule Bonn-Rheinsieg und die Hochschule Niederrhein die Pilotphase des Projekts Cybercampus Nordrhein-Westfalen. Fachkräfte ist ja in diesen Punkten ein ganz wichtiger Aspekt. Noch mal ausgeführt von Ihnen: Reicht das aus, oder muss da noch mehr passieren?
Cantner: Cybersicherheitsstudiengänge, Ausbildung, da muss natürlich sicherlich auch was gemacht werden. Wir haben insgesamt natürlich einen hohen IT-Bedarf, der durch die Hochschulen, letztendlich durch Informatikstudenten, die man ausbildet, nicht gedeckt wird. Das trägt sich natürlich auch weiter auf die IT-Sicherheit. In puncto Studiengänge, es gibt ungefähr 300 Studiengänge in der Informatik, es gibt ungefähr 28 Studiengänge in der Cybersicherheit. Das mag ein Unverhältnis sein. Wahrscheinlich muss man da auch noch nachlegen. Wichtig ist, denke ich mal, insgesamt das Informatikstudium und das Cybersicherheitsstudium für die jungen Leute interessanter zu machen. Der Zulauf ist da nicht so groß. Ich denke, da muss man einfach noch mehr machen.
Wir müssen auch eins sehen: Die Cybersicherheit hat eine technische Komponente, aber sie hat auch eine Komponente der Faktor Mensch. Die Menschen müssen auch bei aller technischen Brillanz, die es da gibt, mit diesen Dingen sensibel genug umgehen und Verständnis dafür entwickeln, wie man damit umgeht und auch, wo man quasi unwissentlich, auch unbeabsichtigt einfach Einfallstore aufmacht, die, wenn man darüber Bescheid weiß, gar nicht aufmachen würde. Das muss in der großen Breite natürlich geschehen. Also da müssen wir letztendlich, müssen alle Akteure irgendwie informiert sein. Was dann in den Cybersicherheitsinnovationen passiert, da brauchen Sie natürlich irgendwelche Innovatoren, gut und bestens ausgebildete Leute, die sowas machen. Das muss nicht jeder können, aber die Sensibilität dafür, dass sowas passieren kann und wie ich mich dagegen auch schon mit einfachen Mitteln möglicherweise schützen kann, die muss natürlich weiter ausgebildet werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.