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Forschungstier Schimpanse

Wenn nicht bald etwas geschieht, dann stirbt vielen Wissenschaftlern ihr Hauptforschungsobjekt, der Schimpanse, einfach aus. Die Wissenschaftsjournalistin Kristin Raabe hat schon mit vielen Schimpansenforschern gesprochen und andere Affenarten in freier Wildbahn selbst beobachtet. Im Gespräch mit Arndt Reuning berichtet sie die Rolle und die Rechte des Schimpansen in der Forschung.

04.09.2005
    Reuning: Frau Raabe, tun die Forscher eigentlich etwas gegen das Aussterben der Tiere?

    Raabe: Man muss leider sagen, dass viele Primatenforscher im Moment mehr Tierschützer als Wissenschaftler sind. Jane Goodall, die wahrscheinlich berühmteste Schimpansenforscherin, überhaupt, hat das so genannte Great Ape Project mitbegründet. Dass Projekt bemüht sich um den Artenschutz und will Menschenrechte für Menschenaffen durchsetzen. Um ihre Forderungen zu bekräftigen haben viele Wissenschaftler in dem Great Ape Project Buch Forschungsergebnisse zusammengetragen, die belegen, wie menschlich Menschenaffen letztendlich sind.

    Reuning: Welche Art von Forschungsergebnissen führen die Forscher da zur Bekräftigung ihrer Forderung an?

    Raabe: Es sind vor allem Daten aus der Verhaltensforschung, sowohl von Freilandbeobachtungen als auch von Experimenten in Zoos oder anderen Forschungsinstituten. Dabei ist zum Beispiels herausgekommen, dass Schimpansen sich selbst im Spiegel erkennen und in der Lage sind, sich in andere Tiere hineinzuversetzen. Fähigkeiten, über die Kinder erst im Alter von ungefähr fünf Jahren verfügen. Bei dieser Art von Forschungen haben Wissenschaftler meistens nur ein Problem: Schimpansen können nicht sprechen und werden es auch nie lernen. Der Grund: Ihnen fehlen die Nervenbahnen, die eine exakte Steuerung des Stimmapparates für eine feine Artikulation erst ermöglichen. Könnten Affen sprechen, dann wäre die ganze Diskussion um ihre Menschlichkeit völlig hinfällig. "Sprich und ich taufe dich" hat der Kardinal Polignac einmal im 17 Jahrhundert zu einem Orang-Utan gesagt.

    Reuning: Und das zu einem Zeitpunkt, wo von der Forschungsseite her noch so gut wie nichts über die Leistungen der Menschenaffen bekannt war?

    Raabe: Ich glaube, man muss unterscheiden, zwischen wissenschaftlichem Faktenwissen und dem, was jeder Mensch bei der Beobachtung eines Schimpansen oder eines anderen Menschenaffen empfindet. Dass Orang-Utans, Schimpansen, Gorillas und Gibbons mit uns eng verwandt sind, das wussten die Menschen, die mit diesen Tieren gelebt haben, schon immer. Orang-Utan bedeutet wörtlich übersetzt nichts anderes als Waldmensch.

    Die frühen Affenforscher mussten sich zunächst um eine Versachlichung der Affen bemühen, damit ihre Forschungen anerkannt wurde. So gaben sie ihnen beispielsweise zunächst nur Nummern und keine Namen, bloß damit ihnen niemand vorwerfen konnte, die Tiere zu vermenschlichen. Erst Jane Goodall hat dafür gesorgt, dass Schimpansenforscher den Tieren wieder Namen geben konnten.

    Reuning: Wenn ich mir so einen einzelnen Schimpansen vorknöpfe, dann entdecke ich also jede Menge Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Menschenaffe. Aber verhalten die Tiere sich in der Gruppe auch so wie wir?

    Raabe: Also man könnte beinah sagen, da sind die Ähnlichkeiten vielleicht noch größer. Wir finden bei Schimpansen Liebe und Krieg genauso wie in der menschlichen Gesellschaft. Schimpansen leben in der freien Wildbahn in einer so genannten Fission-Fusion-Gesellschaft. Eine große Gruppe von Tieren, manchmal mehr als 100 Schimpansen, unterteilt sich in kleine Familiengruppen. Über den Tag verteilt finden sich dann Jungtiere in Spielgruppen zusammen, Männchen gehen gemeinsam auf Futtersuche und die Mütter machen eine Mutterkindgruppe auf. Ganz ähnlich funktioniert doch unsere menschliche Gesellschaft auch. Kinder treffen im Kindergarten andere Kinder und spielen dort. Traditionell geht der Mann zur Arbeit und trifft dort auf Kollegen und erst abends kommt die ganze Familie wieder zusammen. Über den Tag verteilt haben aber alle in anderen Gruppen gelebt. Nicht viel anders funktioniert eine Fission-Fusion-Gesellschaft bei Schimpansen auch. Wer die Dynamik der Schimpansengruppe versteht, der hat auch etwas über die menschliche Gesellschaft gelernt, beispielsweise über die Entstehung der Kleinfamilie

    Reuning: Beim Studium der Schimpansen lernen wir also etwas über unsere eigene Herkunft, gilt das eigentlich auch für die Genetik der Schimpansen?

    Raabe: Die Evolutionstheoretiker sind sogar ganz wild auf genaue Daten über die genetischen Ähnlichkeiten und Unterschiede von Mensch und Schimpanse. Fest steht bislang nur, dass wir uns sehr ähnlich sind. Interessant sind die feinen Unterschiede, also die Gene, mit deren Hilfe wir den evolutionären Sprung vom Affen zum Menschen geschafft haben. Interessanterweise sind das auch genau die Bereiche des Genoms, die in Zusammenhang mit genetisch bedingten Krankheiten stehen.

    Reuning: Die Antwort auf die Frage, was uns nun zum Menschen macht, liegt aber nicht in den Genen?

    Raabe: Da bleibt auch die Frage, ob das jetzt eigentlich zu erwarten war. Denn auch die Sequenzierung und Analyse des menschlichen Genoms hat nicht dazugeführt, auch nur die Biologie des Menschen zu verstehen. Und wenn man sich so Genomvergleiche im Tierreich anschaut, dann merkt man relativ schnell, dass die genetischen Ähnlichkeiten und Unterschiede erst mal gar nicht so auffällig sind. Ein Beispiel ist das Mausgenom von Mus musculus und Mus spretus, also zwei unterschiedlichen Rassen von Mäusen, deren Genome unterscheiden sich in einer ähnliche Rate wie die Genome von Mensch und Schimpanse, aber äußerlich und im Verhalten, sind zwischen den beiden Mäusearten kaum Unterschiede festzustellen.

    Bei Hunderassen, wo man jetzt gezielt ein bestimmtes Aussehen und Verhalten angezüchtet hat, sind die Genome trotzdem zu 99,8 Prozent identisch. Also im Grunde zeigen schon diese Beispiele ganz eindeutig, dass die Antwort auf die Frage nach dem Menschsein definitiv nicht in den Genen liegt.

    Reuning: Welche Konsequenzen haben solche genetischen Forschungen für den Umgang mit den Tieren?

    Raabe: Leider muss man sagen, dass viele Forscher sagen, jetzt wo wir die Gensequenz der Schimpansen kennen, können wir eigentlich erst richtig tolle medizinische Forschung an diesen Affen betreiben. Da gibt es dann wieder Wissenschaftler, die ganz gezielt Konzepte entwickeln, wie man so eine Forschung machen kann, ohne die Schimpansen allzu sehr leiden zu lassen. Indem man beispielsweise, ihre Organe und so weiter erst nach ihrem natürlichen Tod konserviert und untersucht.

    Aber natürlich sagen viele jetzt auch, lasst uns weiter machen mit den Tierversuchen an Schimpansen. Jetzt erst können wir noch gezielter mit ihnen HIV oder Hepatitis untersuchen, denn diese Erkrankungen lassen sich nur an Schimpansen gründlich untersuchen, da ihr Immunsystem dem unseren so ähnlich ist.

    Reuning: Das könnte also bedeuten, dass es unter Umständen demnächst mehr Tierversuche mit Schimpansen gibt?

    Raabe: Das wäre dann allerdings ein ziemlicher Rückschritt, denn die Forschungsergebnisse der Verhaltensforscher haben eigentlich eher dazu geführt, dass die medizinische Forschung sich Selbstbeschränkungen, was die Versuche an Schimpansen angeht, auferlegt hat. Seit Anfang der 90er Jahre verzichten die Forscher in Deutschland freiwillig auf Versuche an Schimpansen. Gleichzeitig sind allerdings die Versuche an anderen Affenarten, beispielsweise Rhesusaffen und Javaneraffen gestiegen - um die 2000 Tiere pro Jahr. Per Gesetz verboten sind Versuche an Menschenaffen bislang allerdings nur in Großbritannien, Neuseeland, Schweden und den Niederlanden. In Deutschland gilt, dass man es erst mal mit niederen Tierarten probiert. Erst wenn die Maus oder das Schwein keine Antworten mehr liefern, darf an Affen experimentiert werden. Bislang gibt es definitiv keine Menschenrechte für Menschenaffen, egal wie vehement Tierschützer auch dafür kämpfen. Dabei zeigen Umfragen ganz deutlich, dass die Bevölkerung solche Gesetze befürworten würden. Nach Meinungsumfragen in den USA meinen über die Hälfte der Amerikaner, dass Menschenaffen dieselben Rechte wie Kinder zustehen.

    Reuning: Wie sinnvoll sind Tierversuche an Menschenaffen überhaupt, warum brauchen wir die überhaupt?

    Raabe: Heute sagt man allgemein, dass Affenversuche dann Sinn machen, wenn es um kognitive Leistungen geht, Fragen zur Intelligenz, Lernfähigkeit etc. oder um das Immunsystem, denn auch da sind sich die Forscher einig, dass uns Schimpansen da am ähnlichsten sind.

    Aber der Unterschied ist immer noch so groß, dass Schimpansen im Gegensatz zu uns Menschen nicht an Aids erkranken, selbst wenn sie mit HIV infiziert sind. Letztlich ist der Schimpanse also auch für Aids nur ein unzulängliches Modelltier.

    Seit 1997 ist es übrigens EU-weit verboten, Schimpansen nach einem Tierversuch zu euthanasieren, wie es sonst üblich war. Oft ist das ein ziemliches Problem, weil man nicht weiß wohin mit diesen Tieren, die oft gefährliche Aids- oder Hepatitis-Viren in sich tragen und wegen der Ansteckungsgefahr von ihren Pflegern besonders vorsichtig behandelt werden müssen. Die Pharmafirma Baxter hat in Österreich über 30 Laborschimpansen in einem Safaripark in Pension gegeben.

    Jetzt ist denen aber das Geld ausgegangen, sowohl Baxter also auch dem Safaripark und die Laborschimpansen, viele davon mit HIV und Hepatitis infiziert, gehören zur Konkursmasse. Global gesehen sind Schimpansen das Versuchstier schlechthin, wenn es um HIV und Hepatitis geht.

    Allerdings muss man auch da sagen, ist der große Durchbruch in beiden Forschungsgebieten bislang noch nicht gelungen und ob sich das durch die Sequenzierung des Affengenoms im wesentlichen ändern wird, bleibt die Frage.