Arndt Reuning: Wo sehen Sie die großen Erfolge der Leibniz-Gemeinschaft im vergangenen Jahr?
Matthias Kleiner: Ja, es ist ein bisschen schwierig, bei einer so großen Organisation mit ja nun 19.000 Menschen, die für die Wissenschaft dort arbeiten, Einzelnes hervorzuheben. Was ich für besonders erwähnenswert halte, ist, dass wir in der Reihe der individuellen Auszeichnungen und Preise insbesondere den Blue-Planet-Preis feiern konnten an Herrn Schellnhuber - ein internationaler, hoch renommierter Preis im Rahmen der Umweltforschung, und natürlich den Leibniz-Preis, den höchsten deutschen Forschungspreis an Oliver Schmidt, der im Bereich der Materialforschung in Dresden arbeitet.
Aber wir hatten auch einen bedeutsamen Summit im Bereich der Bildungsforschung, den Global Learning Council. Also ich glaube, da ist einiges zu erwähnen, und zwar in vielen Feldern. Und vielleicht als Letztes noch die Realisierung der Forschungsfabrik Mikroelektronik in enger Kooperation mit der Fraunhofer-Gesellschaft. Elf Institute der Fraunhofer-Gesellschaft, zwei der Leibniz-Gesellschaft haben insgesamt 350 Millionen Förderung bekommen, um diese Forschungsfabrik aufzubauen. Ich glaube, das waren einige Highlights, die aber stellvertretend sind für vieles, was in den Leibniz-Instituten passiert ist im letzten Jahr.
Reuning: Schauen wir doch mal auf die Forschungsorganisation selbst. In einem Interview aus dem Jahr 2015 in der Wochenzeitung "Die Zeit" haben Sie gesagt, dass das Label, also die Marke Leibniz-Gemeinschaft noch nicht bekannt genug sei. Hat sich das denn inzwischen geändert?
Kleiner: Ja. Ich wollte da ein bisschen bescheiden sein, aber ich glaube schon, dass die Leibniz-Gemeinschaft als Institution deutlich an Sichtbarkeit gewonnen hat, deutlich an Sichtbarkeit ihres Profils, ihrer Strategie gewonnen hat. Wir sind wirklich auf dem Weg von einer früher vielleicht eher Organisations- und Finanzierungsgemeinschaft zu einer Forschungsgemeinschaft besonderen Typus, die insbesondere das Stichwort Kooperative Wissenschaft weiterentwickelt. Ich glaube, dass die Leibniz-Gemeinschaft tatsächlich eine Ermöglichungsstruktur für kooperative Wissenschaft in einem ganz neuen, ganz umfangreichen Sinne ist, und da sind wir wirklich weitergekommen.
Biodiversität, gesundes Altern und Nanosicherheit
Reuning: An welche Kooperationen denken Sie denn dabei?
Kleiner: Es geht zum einen darum, Kooperationen zwischen den Leibniz-Instituten ganz unterschiedlicher fachlicher Ausrichtung zu großen Themen zu entwickeln. Da nenne ich Biodiversitätsforschung, da nenne ich das Thema Gesundes Altern, da nenne ich das Thema Nanosicherheit. Wir haben elf solcher Leibniz-Forschungsverbünde. Es geht mit genauso großer Wichtigkeit darum, die Kooperation mit den Universitäten zu intensivieren. Wir haben dort ein Kooperationsformat, das nennt sich Leibniz-Wissenschaftscampus, ein oder mehrere Leibniz-Institute mit ein oder in einem Fall auch mit zwei Universitäten zu einem großen Thema.
In Rostock gibt es einen Leibniz-Wissenschaftscampus zum Thema Phosphorforschung. Da geht es also um die gesamte Verwendungskette von Phosphor, mittlerweile ein rarer Rohstoff geworden. Dies weiterzutreiben, dies zu intensivieren, das ist ein wichtiges Anliegen der Leibniz-Gemeinschaft, und ich glaube, da ist uns viel gelungen. Wir haben ja mittlerweile 350 gemeinsame Berufungen mit Universitäten, das heißt, die Leibniz-Direktoren sind allesamt gemeinsam mit Universitäten berufen und bringen Lehre etwa im Umfang einer mittelgroßen Universität. Hier noch weiterzukommen, das ist auch ein Zukunftsziel.
Reuning: Die Leibniz-Gemeinschaft ist ja hinsichtlich ihrer Mitglieder recht divers aufgestellt, man könnte auch sagen inhomogen. Von den Naturwissenschaften zu den Geisteswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaften, Sozialwissenschaften – sehen Sie da auch eine Chance, sich einem Forschungsgegenstand aus verschiedenen Richtungen anzunähern, zum Beispiel eben aus den Natur- und Geisteswissenschaften?
Kleiner: Gerade das ist es, was die Besonderheit ausmacht. Deswegen sage ich, kooperative Wissenschaft ist ein Hauptanliegen der Leibniz-Gemeinschaft. Nehmen Sie dieses Thema Gesundes Altern. Das geht von der Molekularbiologe, Zellaltern, bis hin zur Frage, wie wollen wir denn eigentlich in welchen städtischen Strukturen unser Alter gesund zufrieden verbringen? Wo also es wirklich von der Biochemie bis hin zur Stadt- und Regionalplanung geht.
In die gesamte Gesellschaft hinein
Reuning: Und wie wichtig ist für Sie denn in dieser Hinsicht der Dialog mit der Öffentlichkeit?
Kleiner: Das ist ein Teil der Mission der Leibniz-Institute, erkenntnisorientierte Forschung auf höchstem Niveau zu betreiben, dabei Anwendungsperspektiven immer im Blick zu haben und Anwendungen in Wirtschaft, in Gesellschaft, in den Feldern, wo es Sinn macht, und dabei auch intensiv zu kommunizieren mit der Politik – Politikberatung ist ein wichtiges Stichwort –, aber in die gesamte Gesellschaft hinein. Das ist etwas, was uns wirklich auch zunehmend durch den Kopf geht, wie wir das noch intensivieren können. Und hier spielen die acht Forschungsmuseen eine besondere Rolle, die eben einen Dreiklang von Aufgaben haben. Einmal, zu sammeln, die Sammlungen – 110 Millionen Sammlungsstücke in den acht Forschungsmuseen – an und mit der Sammlung zu forschen zu auch übergreifenden Themen. Und hier sind wir besonders froh, dass es uns gelungen ist, mit der Smithonian Institution, die in den USA die führende Institution ist, Forschungsmuseen zu organisieren, um noch besser zu wissen, wie machen wir das, was sind Zielgruppen, wie können wir auch eine Partizipation der Gesellschaft an dem, was wir tun, realisieren. Ich nenne mal dieses Stichwort Citizen Scienceship, also die Beteiligung von Bürgern, qualitätsgesichert in jedem Fall, an Forschungsprojekten. Da haben Sie einen wichtigen Punkt angesprochen.
Betonung des Vierklangs
Reuning: Sie hatten gerade die Politik erwähnt. Ganz konkret: Was erhoffen Sie sich denn von der zukünftigen Bundesregierung?
Kleiner: Ich erhoffe mir von der zukünftigen Bundesregierung, dass sie weiterhin so einen Akzent setzt, so einen Priorität setzt auf Wissenschaft, Bildung, Qualifizierung, Forschung. Wir können die Herausforderungen der Zukunft, sei es der digitale Wandel, sei es der Klimawandel, sei es die Frage, wie wir wirtschaftlich als starke Nation unsere Leistungsfähigkeit erhalten, wir können dies nur mit einer Betonung dieses Vierklangs erreichen. Und da sehe ich aber auch gute Signale. Allein dieses 3,5-Prozent-Ziel, also dreieinhalb Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Bereich Wissenschaft und Forschung auszugeben, das ist schon eine große Herausforderung, die wir sehr begrüßen. Denn damit schließen wir auf international zu so forschungsintensiven Ländern wie Japan und Korea.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.