Ralf Krauter: Wenn es um angewandte Forschung geht, kommt in Deutschland und Europa niemand an der Fraunhofer-Gesellschaft vorbei. Mit 72 Forschungsinstituten an denen rund 25 000 Menschen im Auftrag von Firmen und öffentlichen Geldgebern an innovativen Technologien tüfteln, ist sie ein Motor für die Erfindung der Zukunft. Der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft heißt seit 2012 Professor Reimund Neugebauer. Er ist studierter Maschinenbauer und Automobilingenieur. Und ich habe ihn vor der Sendung gefragt: Was war im vergangenen Jahr 2017 der größte Erfolg der Fraunhofer-Gesellschaft?
Reimund Neugebauer: Unser Budget ist von 2,1 auf 2,3 Milliarden gestiegen. Aber das an sich ist nicht etwas Besonderes, sondern dass wir einen Anstieg hatten, weil wir uns im Wettbewerb bemüht haben um ein nationales Forschungslabor für Mikroelektronik und dort eine Investition von 280 Millionen Euro akquirieren konnten für die Fraunhofer-Gesellschaft für ein nationales Labor für die zukünftigen Herausforderungen der Mikroelektronik. Und das ist die größte Investition in einem Beritt in der Fraunhofer-Geschichte überhaupt.
Krauter: Wo wird dieses Institut gebaut werden?
Neugebauer: Es wird nicht ein Institut sein, sondern es wird die Kooperation in einem Netzwerk sein - wenn Sie so wollen, ein verteiltes Institut an verschiedenen Standorten, in Dresden, in Berlin, in Duisburg, in Erlangen, um nur einige zu nennen. Und Fraunhofer entwickelt sich hier nun noch stärker zu dem Magneten, zu dem Gravitationszentrum für die Mikroelektronikforschung hier in Europa.
Krauter: Gab es auch Misserfolge in 2017, Dinge, die nicht so gut gelaufen sind?
Neugebauer: Womit ich persönlich noch nicht zufrieden bin, das ist die Entwicklung von Wissenschaftlerinnen in Verantwortung hier in der Fraunhofer-Gesellschaft. Wir haben beispielsweise 103 Institutsleiter, davon haben wir fünf Frauen. Das wollen wir deutlich verändern, und wir hatten uns vorgenommen, dass im Jahr 2017 weiter nach vorn zu treiben, aber es ist uns nicht gelungen. Aber man muss natürlich auch die geeigneten Kandidatinnen finden. Wir haben jetzt ein Förderprogramm aufgelegt, um das zu verbessern. Das ist etwas, womit ich absolut noch nicht zufrieden bin, aber da bleiben wir intensiv dran.
"Diese Persönlichkeiten kann man nicht entwickeln in einem Jahr"
Krauter: Fünf von 103, das klingt in der Tat noch ausbaufähig.
Neugebauer: Ja, ist auch so. Wir sind uns auch dessen bewusst, auch der Verantwortung, da vieles zu tun. Aber bis ein ausgewachsener Institutsleiter oder eine Institutsleiterin dann so weit ist, da gehört natürlich auch vieles dazu. Die Kollegen haben bei uns dann die Budgetverantwortung für zwischen 50 und 80 Millionen Euro, die jährlich auch zu akquirieren sind in Projekten mit der Wirtschaft, und müssen gleichzeitig wissenschaftliche Exzellenz aufweisen. Diese Persönlichkeiten kann man nicht entwickeln in einem Jahr. Das ist ein Prozess, und da setzen wir langfristig an, in Kooperationsmodellen mit den Universitäten. Auch bei der Karriereentwicklung innerhalb von Fraunhofer haben wir ein Programm dafür aufgelegt, allein zur Förderung von Wissenschaftlerinnen, von 22 Millionen Euro.
Krauter: Sie haben jetzt schon ein interessantes Stichwort genannt, die Akquise von Fördermitteln. Die Fraunhofer-Institute müssen ja rund 70 Prozent ihres Budgets einwerben, indem sie entweder Unternehmen als Kunden gewinnen oder bei öffentlich geförderten Forschungsprojekten ihren Hut in den Ring werfen. Mir kam bei Gesprächen mit Fraunhofer-Forschern zu Ohren, das ist tendenziell schwieriger geworden. Vor allem auf EU-Ebene gibt es öfter mal Ablehnungsbescheide. Ist das ein Trend, der Ihnen Sorge bereitet?
Neugebauer: Ich bin jetzt fast 25 Jahre bei der Fraunhofer-Gesellschaft, und wir haben jedes Jahr festgestellt: Es wird schwieriger. Insofern beunruhigt mich das nicht, rein aus der Erfahrung heraus. Es verändert sich das Umfeld. Es gibt Jahre, da ist es schwieriger für die Vorlaufforschung, für die Entwicklung origineller Ansätze, mit denen man später an die Wirtschaft herantritt, Gelder und Mittel einzuwerben. Dann gibt es Jahre, da ist es schwieriger, Industrie-Exklusivforschung am Ende mit Partnern umzusetzen. Wir haben ein Wachstum in den letzten Jahren jedes Jahr um teilweise zweistellige Prozentpunkte. In diesem Jahr sind wir bei 2,3 Milliarden, vor zehn Jahren waren wir noch bei reichlich einer Milliarde. Das zeigt, dass es uns bisher immer wieder gelungen ist, Dinge an große und kleine Partner in der Wirtschaft heranzutragen und in Projekten dann zu vermitteln, die unser Budget sichern.
Weitere Entwicklung der Digitalisierung
Krauter: Welche wissenschaftlichen und technologischen Trends sehen Sie für das Jahr 2018 als Innovationstreiber, und wir reagiert die Fraunhofer-Gesellschaft auf diese Zukunftsfelder?
Neugebauer: Die Dinge, die ich jetzt insbesondere als vordringlich ansehe, mit denen wir uns auch 2018 auseinandersetzen, ist einmal die weitere Entwicklung der Digitalisierung in allen Bereichen der Wirtschaft, insbesondere aber in der Medizin. Wir sind zum Beispiel durch Industrie 4.0 in der Industrie, in der Produktion sehr weit mit unseren Digitalisierungsbemühungen. Wir sind auch in Servicebereichen von Banken bis Versicherungen und anderen in der Anwendung sehr weit. Wir werden jetzt also eine Digitalisierungsoffensive auch in der Medizin seitens der Fraunhofer-Gesellschaft starten. Dabei spielen Themen wie die Datensicherheit, das Highspeed-Internet, die Rechengeschwindigkeit, die Latenzzeiten eine sehr große Rolle.
Ein weiteres großes Thema, das insbesondere von Fraunhofer getrieben wird, ist das Thema der biologischen Transformation. Das bedeutet, dass wir viel ressourceneffizienter, viel optimaler mit den Dingen umgehen müssen. Hier ist ein ganz großes Potenzial hebbar, wenn wir Optimierungsprozesse in der Natur - wo über Jahrmillionen Strukturen, Materialien, Funktionsprinzipien, Optimierungsprozessen unterzogen wurden - jetzt durch Nutzung der Digitalisierung, in Simulationsmodellen erkunden und uns zunutze machen. Es geht um Werkstoffentwicklungen, wo wir also beispielsweise Polymere oder Kunststoffe oder vor allem auch fossile Werkstoffe ersetzen durch nachwachsende Werkstoffe. Es geht aber auch um Produktgestaltung: Dass wir Wirkprinzipien nutzen, die in der Natur eine Rolle spielen und in der Industrie nutzbar sind. Nehmen Sie den Lotus-Effekt, den einzusetzen in bestimmten Produkten, die dann selbstreinigend sind, wo man Reinigungsprozesse spart. Oder wir nutzen heute schon in der Logistik das Schwarmverhalten von Ameisen, um zu echt optimalen Transportprozessen zu kommen und ähnlichen Dingen.
"Aufforderung zum wirklich streitbaren Dialog"
Krauter: Sprechen wir über das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Nach Wahrnehmung vieler gibt es gerade so eine Art Glaubwürdigkeitskrise der Wissenschaft. Fakten und Fachwissen reicht offenbar mitunter nicht mehr, um Menschen zu überzeugen. Manche hören lieber auf ihr Bauchgefühl und schlagen die Expertise der Fachleute in den Wind. Wie nimmt die Fraunhofer-Gesellschaft diese aktuelle Vertrauenskrise der Wissenschaft wahr, und was tut sie dagegen?
Neugebauer: Ich würde nicht von einer Vertrauenskrise sprechen. Ich würde es eher als eine Chance sehen, dass wir aktiv gefordert sind zum Dialog, uns besser zu erklären. Wir haben es ja nach meiner Wahrnehmung nicht damit zu tun, dass man hier und da misstrauisch gegenüber Forschung ist, weil man die Dinge einfach nicht versteht. Die Fragen, die kommen, sind ja oft auch ehrliche Besorgnis, weil man Dinge selbst versteht, versucht zu durchdenken. Nehmen wir die Genforschung, nehmen wir Künstliche Intelligenz, beides spielt auch bei Fraunhofer eine große Rolle. Ich denke, es ist in der Natur der Sache, dass in einem so entwickelten Land wie der Bundesrepublik, natürlich kritische Fragen kommen, wenn wir uns neuen Themen zuwenden. Ich sehe es eher als eine Chance, als eine Aufforderung zum wirklich streitbaren Dialog und auch als Aufforderung an uns, uns besser zu erklären. Wenn Sie auf Konferenzen gehen, ist es in der Tat so, dass wir oft alle in Abkürzungen, in unserer Fachsprache sprechen, und am Ende diejenigen, für die die Forschung sein soll, die Gesellschaft, nicht mitnehmen. Und das darf nicht sein.
Innovation als echter Marktvorteil für die Bundesrepublik
Krauter: Sie sind ja beratend in diversen Gremien tätig als Innovationsberater für die Bundesregierung. Welche forschungspolitischen Signale erhoffen Sie sich von einer neuen Bundesregierung, wie auch immer die dann aussehen mag?
Neugebauer: Da möchte ich als Erstes sagen: Wir haben in der Bundesrepublik ein Wissenschaftssystem, nach dem sich fast im Wochentakt Regierungen weltweit bei uns erkundigen. Das bedeutet: Unser missionsorientiertes Wissenschaftssystem mit einer gewissen Arbeitsteilung von erkenntnisgeleiteter Forschung der Max-Planck-Gesellschaft bis zu einem Innovationspush, der zu einem echten Impact im Bruttosozialprodukt mündet, das finden Sie so schnell nicht noch einmal. Deshalb wäre meine erste Bitte: Diesen Weg, diesen Vorsprung, den wir an dieser Stelle mit unserem Innovationssystem haben, halten und ausbauen! Wir haben trotz dieses guten systematischen Vorgehens natürlich auch noch Potenziale, die wir heben können. Und eines ist der Transfer von Wissen, von originellen Ideen, zur Anwendung. Hier brauchen wir in Deutschland eine Infrastruktur für den Wissenschaftstransfer von der Erkenntnis über die innovative Idee bis hin zum Produkt oder zum Prozess, der sich dann in einem Marktvorteil für die Bundesrepublik niederschlägt. Und dafür hat die Fraunhofer-Gesellschaft einen Vorschlag entwickelt - der liegt der Bundesregierung vor - von 17 Leistungszentren, die wir mit den Ländern – die Länder ziehen da sehr stark mit – anbieten: Wo wir schneller und zielgerichteter eigentliche Erkenntnis in tatsächlichen Impact für die Gesellschaft überführen.
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