Archiv


Forstwirtschaft zersägt Deutschlands Naturerbe

Laubwälder werden ökologisch umso wertvoller, je älter sie sind. Sie bieten zahlreichen Pflanzen- und Tierarten eine Heimat. Ihr Bestand ist bedroht durch den Trend in der Forstwirtschaft, die Bäume zu jung zu schlagen. Umweltschützer wie László Maráz, Waldexperte vom Forum Umwelt und Entwicklung, fordern nun, zehn Prozent des öffentlichen Waldes unter Schutz zu stellen.

László Maráz im Gespräch mit Britta Fecke |
    Britta Fecke: Ein Wald wie eine Halle: silberne hohe Stämme, gekrönt von einem hellgrünen Laubdach, am Boden kein Strauch, nur im Frühling ein Teppich aus Buschwindröschen und Waldmeister. Ein alter Buchenwald erinnert mit seinen großen majestätischen Bäumen an eine Kathedrale. Es ist der Wald, den die deutschen Romantiker in Gedichten besingen, und es ist der Waldtyp, der in unseren Breiten weniger romantisch, dafür wissenschaftlich als letzte Sukzessionsstufe bezeichnet wird. Er entsteht erst, wenn der Boden sich so gut entwickelt hat, dass die Ansprüche der Buchen erfüllt sind. Dieser Wald ist nicht nur sehr schön, er ist auch sehr selten geworden in Deutschland, und wie alle Umweltverbände gemeinsam beklagen, sind die wenigen Bestände vor der Forstwirtschaft nicht sicher. – Ich bin jetzt verbunden mit László Maráz, er ist Waldexperte vom Forum Umwelt und Entwicklung. Herr Maráz, welche Wälder sind denn besonders betroffen?

    László Maráz: Es handelt sich dabei um die alten Laub- und Buchenwälder – es sind ja auch Eichen dabei -, die hier zur Naturlandschaft gehören, und das sind Wälder und Bäume, die über 140, 160 Jahre alt sind. Das sind in der Forstwirtschaft alte Bäume, weil sie dann langsam anfangen zu faulen, zu verrotten, und das ist natürlich für die Vermarktung von Holz für Sägewerke nicht mehr interessant. Und genau diese Wälder fehlen in Deutschland.

    Fecke: …, weil sie schon vorher abgesägt werden, solange sie noch kräftig im Saft stehen?

    Maráz: Sicher. Das ist ja auch verständlich. Man will ja das Holz nutzen, nicht verrotten lassen, und deswegen wird man eben diese Bäume früher nutzen, denn Buchen werden ja durchaus mal auch über 400 Jahre alt, Eichen über 800 Jahre und noch älter. So lange lässt man sie lieber nicht wachsen, weil man sie eben dann vorher noch für Möbel, für Brennholz nutzen kann. Das ist von der einen Seite her durchaus verständlich, dass ein Privatwaldbesitzer das macht; er will ja auch einen Ertrag erzielen aus seinem Wald. Aber die öffentlichen Wälder, die haben schon eine andere Verpflichtung, denn wir haben ja seit 2007 eine nationale Strategie zum Schutz der biologischen Vielfalt vom Kabinett Merkel, das seinerzeit einstimmig beschlossen, die da eben sagt, fünf Prozent unserer Waldfläche soll bis zum Jahre 2020 unter Totalschutz gestellt werden.

    Fecke: Was macht denn diese Wälder, über die wir sprechen, alte Buchenwälder, eingestreut, je nachdem wie sandig der Boden ist, mit Eichen, was macht denn diese alten Laubwälder überhaupt so wertvoll?

    Maráz: Das Wertvolle fängt erst nach diesem Hallenstadium an. Das sind ja noch große gesunde Bäume, die haben ein gesundes Holz, und da lebt nicht viel. Darin hackt mal ein Specht herum, da ist mal eine kleine Höhle dabei. Aber erst wenn sie dann noch älter werden und langsam zusammenbrechen, dann leben zahllose Pilz- und Käferarten darin, und da sind viele Käferarten dabei, die in Deutschland früher häufig waren, aber heute sehr, sehr selten geworden sind. Ein Beispiel ist ja der bekannt gewordene Juchtenkäfer, Stuttgart 21 in den Parkbäumen, bezeichnend dafür, dass er nur noch in Parks dort vorkommt, weil dort eben Forstwirtschaft nicht betrieben wird. Im Wald ist er selten geworden, weil wir die Buchen eben nicht mehr 200, 300 Jahre alt werden lassen.

    Fecke: Wo gibt es denn in Deutschland überhaupt noch solche alten Wälder oder Urwälder?

    Maráz: Alte Wälder über 160 Jahre haben wir noch weniger als ein Prozent. Geschützt sind auch weniger oder etwa ein Prozent der Waldflächen. Wir haben aber einige Nationalparks und auch Naturwald-Reservate – das sind kleine Gebiete von 20, 30 Hektar, also mal so 50 Fußballfelder groß -, die überall im Wald verstreut sind. Das sind schon ein paar nette Flächen, in denen dann solche Bäume alt werden können. Und die ganz wertvollen Gebiete sind im Nationalpark geschützt, zum Beispiel im Nationalpark Hainich in Thüringen, oder im Kellerwald in Nordhessen. Da können Wälder und Bäume so alt werden, wie sie wollen.

    Fecke: Wie steht es denn insgesamt in Deutschland um den Schutz der Wälder? Reichen diese Naturschutzgebiete, die Sie gerade auch schon nannten, aus?

    Maráz: Die reichen überhaupt nicht aus, denn man muss ja überlegen: Wir haben früher auf der ganzen Landesfläche – Deutschland war ja bedeckt von Wäldern – zwei Drittel von Buchen eingenommen gehabt. Heute sind es vielleicht noch fünf Prozent. Und erhalten sind in Schutzgebieten nur noch etwa 100.-, 120.000 Hektar. Das ist natürlich sehr wenig. Wir brauchen ja gewisse Flächen, große Flächen, mehrere Tausend Hektar, damit sich diese natürliche Entwicklung auch einstellen kann und differenziert ablaufen kann: hier mal ein Hallenwald, dort mal wieder eine Ecke, wo das junge Holz kommt, dann die Mischung. Und verschiedene Arten, vor allem auch zum Beispiel Spechte, andere Tierarten, brauchen ja auch gewisse Flächen. Die können ja nicht auf einem Baum wohnen, das ist ja viel zu wenig. Also wir brauchen schon Flächen, nennenswerte Flächen, und deswegen war ja der Kompromissvorschlag der Bundesregierung, hier fünf Prozent der Waldfläche nicht mehr holzwirtschaftlich zu nutzen. Die Umweltverbände fordern zehn, aber wenn wir mal fünf Prozent hätten in 2020, das wäre schon mal was.

    Fecke: Sie nennen gerade die Prozentzahlen. Wie sieht es denn in anderen Ländern aus, weil wir zeigen ja immer ganz gerne mit dem Finger (bei der letzten Klimakonferenz auch) auf Brasilien, die große Bestände des Tropenwaldes abholzen wollten? Wie steht Deutschland im Vergleich da gegenüber anderen Ländern?

    Maráz: Deutschland hat als Waldfläche selbst ungefähr 31 Prozent. Das ist für ein Industrieland ganz erfreulich. Und ich sage mal, die forstlich bewirtschafteten Wälder sind nicht ganz so schlecht, das sind nicht so schlimme Plantagen. Aber für die biologische Vielfalt ist das eben doch viel zu wenig. Und mit einem, vielleicht eineinhalb Prozent Schutzgebietsfläche sind wir dann doch eher Schlusslicht. Brasilien, zum Beispiel im Amazonas-Gebiet, hat bisher etwa 30 Prozent seiner Wälder unter Schutz gestellt. Jetzt kann man sagen, gut, das ist nicht menschenleer, aber kein dicht besiedeltes Gebiet, die können sich das leisten, und es wird ja auch noch viel zu viel davon abgeholzt. Aber es gibt auch Länder wie Costa Rica, die liegen so bei zwölf Prozent, Ungarn, Italien etwa bei fünf Prozent ihrer Landesfläche, die hier geschützt worden ist. Und in Nagoya bei der Biodiversitätskonferenz wurde ja auch beschlossen, dass weltweit etwa 17 Prozent der Fläche in jedem Land – manche werden ein bisschen mehr tun, manche weniger – der Fläche rein für die Natur, für die natürliche Entwicklung geschützt werden sollen, was ja nicht nur der Natur nützt, sondern uns allen.

    Fecke: Vielen Dank für diese Einschätzungen. – Die Forstwirtschaft in Deutschland zersägt das Naturerbe. László Maráz, Waldexperte vom Forum Umwelt und Entwicklung, hat das für uns eingeordnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.