"Und? Was ist es?" Das ist fast immer die erste Frage, die frisch gebackene Eltern beantworten sollen. Doch als Milla geboren wurde, war die Antwort darauf nicht so eindeutig.
"Die Frage hat sich nicht so schnell geklärt. Also, erst mal kam dann jemand aus einem anderen Krankenhaus, der sich besser auskannte. Und der hat uns erst mal nicht so viel über Intergeschlechtlichkeit erzählt, sie wollten das erst mal abklären. Ob das wirklich stimmt mit der Chromosomenanalyse."
Julia Kaisers Kind Milla hat die Chromosomen eines Jungen: XY anstelle von XX. Aufgrund einer Störung haben sich die männlichen Geschlechtsmerkmale jedoch im Mutterleib nicht ausbilden können. Milla hat stattdessen eine Gebärmutter und eine Scheide. Ob sie Kinder bekommen kann, ist dennoch fraglich.
"Dann werde ich wohl keine Oma"
"Es ist irgendwie komisch, aber das war eines mit der Fragen, die man sich am Anfang gestellt hat: Ja, wie ist es denn mit XY? Sie hat eben weibliche Geschlechtsorgane. Jetzt bei ihrem Syndrom ist es so, dass sie keine Eierstöcke hat und auch keine Hoden. Ja, dann macht man sich schon seine Gedanken und denkt: Ja ok, dann werde ich wohl keine Oma. So komisch es klingt, das ist eine der ersten Fragen, oder der ersten Feststellungen."
Milla bräuchte befruchtungsfähige Keimzellen, um selbst Mutter werden zu können, wenn sie groß ist. Diese könnten mit den Spermien eines Partners befruchtet und in ihre Gebärmutter eingesetzt werden. Dazu wäre eine Eizellspende nötig. Julia Kaiser hatte deshalb ursprünglich geplant, ihre eigenen Eizellen für ihre Tochter einfrieren zu lassen. Doch ihr wird mitgeteilt, sie sei für eine solche Behandlung zu alt.
"Und deswegen käme jetzt auch eine Fortpflanzung für sie tatsächlich nur über Stammzellen infrage. Dass man eine Eizelle leer macht und eben ihre Stammzellen da reinsetzt. So könnte es gehen."
Keimzellen aus normalen Körperzellen
Auf einem ähnlichen Weg ist beispielsweise das Klonschaf Dolly entstanden. Einen Menschen klonen will zwar niemand. Doch Forscher versuchen seit vielen Jahren, fortpflanzungsfähige Keimzellen aus normalen Körperzellen zu gewinnen. Also Zellen, bei denen die Erbanlagen neu gemischt werden, und die mit einer anderen Keimzelle verschmolzen werden müssen, um einen neuen Menschen entstehen zu lassen. Dann wäre es möglich, aus normalen Körperzellen Eier oder Spermien zu gewinnen. Und es würden sich für Milla und viele andere intergeschlechtliche, transgeschlechtliche und homosexuelle Menschen neue Wege zum eigenen Kind öffnen. Denn aus den Körperzellen könnten sich sowohl männliche als auch weibliche Keimzellen gewinnen lassen. Noch ist das Zukunftsmusik. Doch der japanische Forscher Mitinori Saitou ist auf dem besten Weg, die biologischen Gesetzmäßigkeiten außer Kraft zu setzen.
"Wir haben normale menschliche Körperzellen in Stammzellen verwandelt und daraus die Vorläufer von Spermien und Eizellen, also Urkeimzellen gezüchtet. Und diese haben wir dann zu so genannten Oogonien weiter entwickelt. Das sind die Vorläufer menschlicher Eizellen."
Irgendwann einmal werden daraus befruchtungsfähige Keimzellen entstehen, ist der Forscher von der Kyoto-Universität überzeugt.
"Wir haben klar bewiesen, dass sich menschliche Körperzellen in Zellen der Keimbahn verwandeln lassen. Ich würde zwar nicht sagen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist – es ist immer noch schwierig – aber unsere Arbeit zeigt, dass wir jetzt wirklich Keimzellen aus menschlichen Stammzellen züchten können."
Hoffnungen - und ethische Vorbehalte
Noch ist es aber ein langer Weg, bis daraus befruchtungsfähige Keimzellen gezüchtet werden können. Und ob daraus Menschen entstehen dürfen, ist fraglich: Es gibt ethische Vorbehalte. Erst vor kurzem forderten Medizinethiker, dass solche Versuche verboten werden sollten.
Julia Kaiser, die Mitglied im Verein für intersexuelle Menschen e.V. ist, hat dennoch Zuversicht, dass sie eines Tages doch noch Großmutter werden kann.
"Also ich habe da ganz viel Hoffnung in die Forschung gesetzt. Und in unserem Verein sind auch viele Eltern, die quasi ihren Kindern die Hoffnung, oder wie soll ich sagen, die Aussichten auf später deutlicher mitteilen."