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Forum für Journalismuskritik
Journalismus und Geheimnis

Der Deutschlandfunk und die Initiative Nachrichtenaufklärung haben zum Ersten Kölner Forum für Journalismuskritik geladen. In der zweiten Runde geht es um die Möglichkeiten und Grenzen des Recherchejournalismus in Zeiten zunehmender Geheimhaltung auf Seiten von Regierungen und Unternehmen.

Von Tobias Jobke |
    Barbara Schmitz, Martin Welker, Moderatorin Petra Sorge, Joachim Selzer und Christian Solmecke (v.l.n.r.)
    Barbara Schmitz, Martin Welker, Moderatorin Petra Sorge, Joachim Selzer und Christian Solmecke (v.l.n.r.) (Jann Höfer)
    Worin liegen die Möglichkeiten des Recherchejournalismus – und worin seine Grenzen? In der zweiten Diskussionsrunde des Kölner Forum für Journalismuskritik berichtet WDR-Redakteurin Barbara Schmitz aus der Praxis: "Natürlich ist unser Prinzip, neugierig zu sein und Geheimnisse aufzudecken", so die Journalistin der Sendung "Die Story". Aber es gebe inhaltliche Grenzen: "Themen wie die Datensammelwut großer Konzerne interessieren das Publikum kaum." Während ein Investigativ-Film über die Machenschaften der Commerzbank viele Reaktionen hervorrufe, lasse ein Film über die Datenkrake Facebook die Zuschauer größtenteils kalt – es sei denn, es gehe um den Aufstieg des Mark Zuckerberg.
    Aber wie erfahren Investigativ-Journalisten überhaupt von einem Geheimnis, das sich aufzudecken lohnt? Schmitz nennt drei Wege: Entweder man lese etwas und stelle Fragen – der klassische Journalismus. Oder man erfahre von einem Informanten über einen Missstand. Schließlich gebe es noch die Möglichkeit, selbst undercover zu recherchieren. Auf die Nachfrage von Moderatorin Petra Sorge von Cicero, ob bisweilen auch die Geldbörse für exklusive Erkenntnisse geöffnet werde, winkt Schmitz ab: "Wir haben kein Geld; wir sind öffentlich-rechtlich."
    Kleinere Akteure schließen sich zu Rechercheverbünden zusammen
    Das Problem geringer Recherche-Budgets kennt auch Astrid Rawohl zur Genüge. Die Leiterin der Sportredaktion im Deutschlandfunk erzählt aber, dass ihre Redaktion auf eine Allianz freier Mitarbeiter zurückgreifen kann, die gute Kontakte habe. Außerdem profitiere die DLF-Sportredaktion von dem Rechercheverbund, den WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung gegründet haben. Zudem gehöre ihre Redaktion zu einem ARD-weiten Verbund, berichtet Rawohl. "Alleine könnten wir uns aufwendige Recherchen nicht leisten, deswegen gehen wir größere Enthüllungen trimedial an."
    DLF-Sportjournalist Philipp May, die Leiterin der Sportredaktion Astrid Rawohl und Nachrichtenchef Marco Bertolaso (v.l.n.r.)
    DLF-Sportjournalist Philipp May, die Leiterin der Sportredaktion Astrid Rawohl und Nachrichtenchef Marco Bertolaso (v.l.n.r.) diskutieren über Enthüllungen im Sport. (Jann Höfer)
    Barbara Schmitz erzählt, dass aufwendige Recherchen für einen Fernsehbeitrag für ihr Format "Die Story" 20.000 bis 30.000 Euro kosten. Um diese Summen zu bewältigen, müssten sich Redaktionen zusammentun. Oft bekämen Journalisten zwar den Film als Ganzes bezahlt, jedoch nicht die Recherche. "Man kann mit investigativem Journalismus kein Geld verdienen", resümiert Schmitz. Exklusive Erkenntnisse seien nach ihrer Enthüllung unmittelbar im Netz auffindbar, die Exklusivität schwinde.
    Welker: Geheimhaltungsstrategien werden immer rigider
    Dabei sieht Martin Welker von der HMKW einen steigenden Bedarf für investigativen Journalismus: "Weltweit werden die Geheimapparate ausgebaut, das kann ein Problem für die Demokratie sein." Die Geheimhaltungsstrategien würden immer rigider, dadurch verteuerten sich die Recherchen. Die Gründung von Rechercheverbünden ist aus Sicht von Welker aber ein nützlicher Weg für kleinere Akteure, diesem Problem zu begegnen. Inzwischen gebe es sogar einen Trend hin zu transnationalen Recherchen – etwa im europäischen Raum.
    Redakteurin Barbara Schmitz nennt dafür ein Beispiel aus ihrer eigenen Redaktion: So sei gerade ein Film über die Privatisierung von Kriegen in Arbeit. "Ich kann über das Projekt sprechen, weil wir schon relativ weit fortgeschritten sind", erzählt Schmitz. "Wir recherchieren, wie viele Soldaten man sich aus anderen Armeen leistet, zum Beispiel aus Afrika." Darin sieht die WDR-Redakteurin die ureigene Aufgabe des Journalismus: Verborgenes aufdecken, mit dem Unrecht begangen wird.
    Den Recherche-Gegenstand rechtssicher machen
    Dass Journalisten von bestimmten Geheimnissen besser die Finger lassen sollten, betont Rechtsanwalt Christian Solmecke. So müssten Journalisten das Betriebsgeheimnis von Unternehmen wahren. Auch Undercover-Aufnahmen, dürften nur verwendet werden, "um sehr schwere Missstände aufzudecken, die die breite Bevölkerung betreffen". Solmecke rät Journalisten aber, Firmen auch bei kleineren Missständen um eine Stellungnahme zu bitten: Dies sei nötig, um den Gegenstand der Recherche rechtssicher zu machen.
    Etwaige Aufwendungen für Rechtsberatung kalkuliert WDR-Redakteurin Schmitz bei ihrer Film-Disposition von Anfang an mit ein. Allerdings bekommen die Produktionsfirmen dafür nicht Geld aus einem zentralen Topf des Senders, sondern aus der Redaktionskasse. Zunehmend Schwierigkeiten macht der "Story"-Redaktion, dass Unternehmen gegen Filme im Archiv vorgehen, bei denen sich die rechtliche Situation geändert hat. "Ich lasse gerade mehrere solche Filme aktualisieren", so Schmitz. Diese juristische Frage sei noch nicht abschließend geklärt ist, ordnet Anwalt Solmecke ein.
    Barbara Schmitz, Redakteurin bei der WDR-Sendung "Die Story", beim Ersten Kölner Forum für Journalismuskritik
    Barbara Schmitz, Redakteurin bei der WDR-Sendung "Die Story" berichtet über Aufwand und Nutzen von investigativem Journalismus. (Jann Höfer)
    "Regierungen inszenieren zunehmend ihre Transparenz"
    Auch Fälle von Whistleblowing kommen in der Runde zur Sprache, wie sie auf der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht wurden. Joachim Selzer vom Chaos Computer Club nennt als Beispiel Chelsea Manning, die Geheimdokumente der US-Streitkräfte an Wikileaks übergeben hatte. "Da ging es um willkürliche Tötungen von Menschen, die der Öffentlichkeit vorenthalten wurden." Solche Enthüllungen hält Selzer für wichtig, denn "Regierungen inszenieren zunehmend ihre Transparenz".
    Und das gelte im Sport nicht weniger, berichten Astrid Rawohl und ihr Kollege, der Sportjournalist Philipp May. In Verbänden wie der Fifa sei schon immer viel Geld vorhanden gewesen, so May. "Die konnten lange unkontrolliert vor sich hin werkeln und Missbrauch betreiben." Als vor etwa zehn Jahren zum ersten Mal genauer hingeschaut worden sei, habe sich das ganze Ausmaß der korrupten Strukturen gezeigt. Wenn Journalisten mithelfen, solche Zustände aufzudecken, kommt das beim Publikum gut an, weiß Astrid Rawohl: "Wir bekommen für unsere Investigativ-Berichterstattung viele positive Rückmeldungen."