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Kölner Forum für Journalismuskritik 2022
Journalismus oder Aktivismus? Über Haltung und Neutralität in der Berichterstattung

Sollen Redaktionen immer neutral bleiben, oder sollen sie sich in ihrer journalistischen Arbeit für bestimmte Ziele und gesellschaftliche Transformationen einsetzen? Wo wird "Haltung" gebraucht und wo ist sie fehl am Platz? Darüber wurde beim Kölner Forum für Journalismuskritik 2022 diskutiert, das am 19. Mai zum sechsten Mal stattfand.

19.05.2022
    Die fünf sitzen auf einer Bühne auf Stühlen, Urner spricht gerade in ein Mikrofon. Im Hintergrund eine blaue Wand mit dem Logo der Veranstaltung.
    Karsten Frerichs, Maren Urner, Gottfried Bohl, Ellen Heinrichs und Hildegard Stausberg (v.l.n.r.) diskutieren am 19.5.2022 auf dem Kölner Forum für Journalismuskritik über "Journalismus oder Aktivismus" (Deutschlandradio/Dirk Borm)
    Immer wieder fällt in der journalistischen Ausbildung und Praxis das Stichwort der Neutralität: Redaktionen sollten unabhängig, objektiv und ausgewogen berichten, so der Konsens. Doch angesichts gesellschaftlicher Transformationen und globaler Krisen mehren sich Stimmen im journalistischen Diskurs, die sich für einen sogenannten "konstruktiven Journalismus" stark machen, für eine Berichterstattung, die sich lösungsorientiert für bestimmte gesellschaftliche Ziele einsetzt. Kann und sollte das in der Praxis funktionieren? Darüber diskutierten beim Kölner Forum für Journalismuskritik 2022 Karsten Frerichs, Chefredakteur des Evangelischen Pressedienstes, Ellen Heinrichs, Geschäftsführerin des Bonn Institute für Konstruktiven Journalismus, Dr. Hildegard Stausberg, ehemalige Chefredakteurin der Deutschen Welle und diplomatische Korrespondentin der "Welt und Prof. Dr. Maren Urner, Journalistin, Neurowissenschafterin und Prof. für Medienpsychologie. Moderiert wurde die Gesprächsrunde von Gottfried Bohl, Nachrichtenchef der Katholischen Nachrichtenagentur.

    Bedürfnisse der Rezipienten in den Blick nehmen

    "Die Aufgabe im Journalismus ist das Vermitteln", betonte Ellen Heinrichs. Dabei gebe es aber oft einen besonderen Fokus auf Probleme und gesellschaftliche Missstände, was insbesondere bei jungen Menschen dafür sorge, dass weniger Nachrichten konsumiert würden. Statt nur in den Redaktionsräumen zu entscheiden, was als relevant gelte, sollte auch die Wirkung der journalistischen Arbeit mitbedacht werden. Ziel müsse sein, die Bedürfnisse junger Menschen zu verstehen, sie zu informieren und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sie handlungsfähig blieben. Guter Journalismus müsse Wege in eine gute Zukunft aufzeigen. Wenn über relevante gesellschaftliche Probleme berichtet werde, müsse im nächsten Schritt danach geschaut werden, ob es Lösungsansätze gebe, über die ebenfalls geschrieben oder gesprochen werden kann.
    Es gehe darum, die richtigen Fragen zu stellen, betonte auch Neurowissenschafltlerin und Medienpsychologin Maren Urner. Weitere Zutaten für guten, lösungsorientierten Journalismus seien außerdem mehr Zeit für die Recherche, mehr Fachwissen, Grundkenntnisse über die psychologischen Auswirkungen der journalistischen Ergebnisse und ein gegenseitiges Profitieren von Wissenschaft und Journalismus. Dabei sei es weniger wichtig, auf eine Trennung von Journalismus und Aktivismus zu beharren, vielmehr gehe es darum, eigene Werte auch transparent zu machen. So könne sich ein riesiger konstruktiver Diskurs eröffnen, so Urner.
    Urner sitzt auf einem Stuhl vor einer blauen Wand und spricht in ein Mikrophon.
    Prof. Dr. Maren Urner, Journalistin, Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie, am 19.5.2022 auf dem Kölner Forum für Journalismuskritik (Deutschlandradio/Dirk Borm)

    Journalismus muss erklären

    Die Journalistin und ehemalige Chefredakteurin der Deutschen Welle, Hildegard Stausberg, gab zu bedenken, dass in diesem Prozess niemand abgehängt werden dürfe. Es sei wichtig, alle Menschen mitzunehmen. Sie betonte, dass guter Journalismus immer auch erklären und eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft bilden müsse. Dies sei insbesondere in der Corona-Pandemie und durch die Klimakrise deutlich geworden. Entwicklungen im Journalismus müssten vorsichtig geschehen, um eine Mehrheit mitnehmen zu können.
    Karsten Frerichs vom Evangelischen Pressedienst sieht große Hürden im Informations- und Zeitdruck, dem viele Redaktionen ausgesetzt sind. Es sei zu einem Wert geworden, möglichst schnell und auf allen Plattformen zu berichten. Die Durchdringung von Problemen - auch mit einem lösungsorientierten Ansatz - stehe zu wenig im Mittelpunkt der journalistischen Ausbildung. Vielmehr gebe es einen Fokus auf Vermittlungskompetenz. Für viele junge Journalisten gehe es vor allem darum, möglichst viele Kanäle bespielen zu können. Es brauche mehr Fachleute im Journalismus.

    Konstruktive Berichterstattung in der Praxis

    Auf die Frage, wie konstruktiver Journalismus in Zeiten des Krieges aussehen könne, antwortete Ellen Heinrichs vom Bonn Institute für Konstruktiven Journalismus: Es sei möglich über Tragödien zu berichten. Es sei aber auch möglich, danach zu schauen, ob bereits an Friedenslösungen gearbeitet werde. Oder über Menschen zu berichten, die sich organisierten, die keine hilflosen Opfer seien. Die Art der Berichterstattung präge das Bild über den Krieg maßgeblich und bestimme auch, wie und wie lange Nachrichten über den Krieg rezipiert würden.