"…Identität als ein handelbares Gut, das sich aus dem Wechselspiel von Angebot und Nachfrage bildet"
… so sehen es die Google-Direktoren Eric Schmidt und Jared Cohen. Die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel zitierte die beiden in ihrem Eröffnungsvortrag:
"Ich bin auf dem Markt der Inszenierungsoptionen. Ich versuche, dort Marktführer zu werden, und wenn ich nicht Marktführer bin, bin ich relativ schnell nichts."
Man kann es für Schwarzmalerei halten, aber in großen sozialen Netzwerken ist es schon Realität: die Nutzer berichten vor allem über ihre Erfolge.
"Ich greife Facebook nur heraus, weil es dazu eine spannende Studie vom Januar des vergangenen Jahres gibt, die die Universität Darmstadt gemeinsam mit der Humboldt-Uni hier in Berlin gemacht hat. Und diese Studie hat herausgefunden, dass Sozialnetzwerke bei einem Teil der Nutzer negative Gefühle auslösen können. Die Forscher sehen den Grund für diese Empfindungen darin, dass eine Art Neid entsteht auf die positiven Nachrichten der anderen – vor allem derjenigen, die im virtuellen Freundeskreis aktiv sind."
Was also tun, wenn man im Wettbewerb um die begehrenswerteste digitale Identität schlecht abschneidet? Selbstoptimierung heißt das Schlüsselwort. Und dafür bieten viele Unternehmen technologische Unterstützung an – zum Beispiel Tracking-Armbänder:
"Wenn Sie diesen Armreif tragen, können Sie dokumentieren, was Sie über den Tagesverlauf tun. Sie haben 8736 Schritte getan, Sie sind 928 Stufen gestiegen, Sie haben dabei 1459 Kalorien verbraucht – leider zu wenig, denn Sie haben 1845 Kalorien schon zu sich genommen. Sie haben im Auto den Weg in die Stadt dreimal zurückgelegt und sind dabei einmal zu schnell gefahren, aber haben dreimal scharf gebremst. Deshalb wird die Kfz-Versicherung in nächster Zeit hochgesetzt."
In den USA, so Miriam Meckel, gibt es solche Versicherungsmodelle bereits, ebenso wie Gentests, die man absolvieren kann, um den Tarif seiner Krankenversicherung zu senken. Das Solidaritätsprinzip, bei dem die Gesunden die Leistungen für die Kranken mitfinanzieren, wird ausgehebelt, und das – so Miriam Meckel – sei erst der Anfang einer Entwicklung, die unsere Gesellschaft verändern würde, wenn wir nichts dagegen tun.
Eine Strategie, die viele Redner beim Forum Netzkultur empfahlen, ist, sich nicht vorhersehbar zu verhalten - zum Beispiel, indem man mehrere Facebook-Profile hat oder innerhalb eines Profils Kommentare abgibt, die nicht zueinander passen. Wer das tut, streut Sand ins Getriebe der datensammelnden Unternehmen.
"Ich bin relativ zwanglos und auch unter meinem Klarnamen im Internet", sagt die Kulturwissenschaftlerin Christiane Frohmann. Sie verlegt E-Books und ist auch sonst im Netz sehr aktiv. "Durch die Vielfalt und durch die absurden Komponenten meiner Bilder und meiner Informationen, die im Netz sind, verwirre ich glaube ich, die Leute, die die Daten auslesen, manchmal ganz gehörig. Das merke ich schon allein daran, was Amazon mir für Produkte anbietet."
Christiane Frohmann sprach über Selfies
Beim Forum Netzkultur trat Christiane Frohmann mit einem Vortrag über Selfies auf – das sind selbstaufgenommene Porträtfotos, die in der Regel über soziale Netzwerke verbreitet werden.
"Zum einen egalisiere ich meine Wahrnehmung, weil ich auf den Selfies aussehe wie viele andere, was es schwieriger auslesbar macht, und zum anderen habe ich die Möglichkeit, Unsinn zu treiben in den Selfies, also mich in irgendeiner Form gar nicht so zu geben, wie ich im Alltag bin, sondern mich zu kostümieren, alberne Dinge in mein Badezimmer zu schaffen, die dann mit auf dem Bild sind. Ich glaube, die NSA hat da teilweise sehr rätselhafte Bilder vor sich."
Was natürlich nicht heißt, dass die Bilder ihre Urheber immer in einem positiven Licht erscheinen lassen. Wer Fotos von sich ins Netz stellt, kann nie genau wissen, welche Reaktion er auslöst.
"Aber wie immer im Leben: Auch wenn man weiß, dass es vernünftig wäre kein einziges identifizierbares Bild ins Netz zu stellen - es bringt den Leuten innerhalb der sozialen Netzwerke ja ein ganz großes Zugehörigkeitsgefühl. Das eine ist die Überwachung, das andere ist die Kommunikation, Zugehörigkeit, Emotion."
Dichten mit Hilfe des Internets
Nicht zuletzt deshalb ist das Veröffentlichen von Selfies längst eine Art Volkssport. Ganz anders als das Verfassen lyrischer Texte. Wie man mit der Hilfe von Internetdiensten dichten kann, wurde beim Forum Netzkultur ebenfalls gezeigt.
"Erster Schritt ist, dass man drei nicht verwandte Suchbegriffe definiert und sie bei Google eintippt. Dann kommen die Suchergebniszeilen. Und der zweite Schritt ist, dass man aus den Suchergebniszeilen der 30 ersten Resultate das Material selektiert."
Erklärt Tristan Marquardt, der Gedichte, die auf diese Art entstanden sind, auch schon in einem Lyrikband veröffentlicht hat. Er hat die Wörter, die er im Internet gefunden hat, nicht verändert, aber vieles weggestrichen und neu arrangiert. Andere Autoren haben auch das Computerprogrammen überlassen.
Daniela Seel zum Beispiel arbeitet mit dem Google Translator. Sie lässt Texte in andere Sprachen und dann wieder zurück ins Deutsche übersetzen. Der Sinn geht dabei zwar oft verloren, aber so können auch hochexpressive Sprachgebilde entstehen.
"Warum soll gerade bei Dichtung das lyrische Ich den Autor repräsentieren? Ein interessanter Text muss nicht unbedingt ein Ausdruck von Persönlichkeit sein."
Wenn aus künstlerischen Texten Schlüsse gezogen werden, die sich auf die Person des Autors beziehen, ist die Freiheit der Kunst in Gefahr. Doch Daniela Seel ist überzeugt –schnell wird die NSA den lyrischen Code eines Gedichts nicht knacken.