Constanze Pilaski:Für die Frage nach Identität ist im Judentum das Verhältnis zu Nicht-Juden von Bedeutung. Sie haben keinen jüdischen Hintergrund. Nun haben Sie sich für den Kompositionsauftrag des Deutschlandfunks mit dem Judentum auseinandergesetzt. Wie sind Sie diese Aufgabe angegangen?
Damian Scholl: Das war erst einmal ziemlich einschüchternd. Ich habe mich zunächst viel in das Thema eingelesen. Man hat ein Wissen und sein Halbwissen. Mir war wichtig, mich tiefer und auch in verschiedene Richtungen zu informieren. Sowohl über die Geschichte des Glaubens, über die Geschichte der Kultur als auch über kritische Stimmen, über positive Stimmen, damit ich all das in einen Topf werfen kann und schauen kann, was davon hat etwas mit mir zu tun.
Pilaski: Die gewonnen Erkenntnisse über das Judentum, was hatten die dann mit Ihnen zu tun?
Scholl: Im Grunde stelle ich mir ja die gleichen Fragen, nach Identität, nach Heimat. In meinem Stück kommt das alles zum Tragen. Zum einen ist die religiöse Mystik bei mir sehr wichtig, die Tradition - also der kulturelle Aspekt - und wie ich mich dazu positioniere, wie präsentiert sich mir Tradition. Welche Haltung nehme ich dazu ein. Auch die Stärke in der Gemeinschaft, der Zusammenhalt. In diesem Fall beim Thema Judentum auch die leidvolle Geschichte.
Pilaski: Was ist das Charakteristische an Ihrem Stück?
Scholl: Ich würde sagen, das Charakteristische ist: Dass das Stück im Grunde von einem Zitat aus der Bibel umspannt wird. Das stand für mich beim Schreiben dieses Stückes ganz oben. Dieses Bibel-Zitat ist auch der Titel des Stückes "Von Windfarben und leisen Geburten" und spricht vom leisen Säuseln des Windes, das Gott sich nicht in den Sturmeswogen offenbart, sondern in der Stille. Insofern kann man in meinem Stück eine Kontemplation, eine Innenschau erfahren. "Leise Geburten" stammt aus einem Gedicht von Nelly Sachs, in dessen letzten Vers heißt es: "Frieden, du großes Augenlid, das alle Unruhe verschließt, mit deinem himmlischen Wimpernkranz, du leiseste aller Geburten". Das ist im Grunde für mich die Aussage dieses Stückes.
"Es ist ein farbenreiches Stück"
Pilaski: Was wird das Publikum musikalisch beim Konzert erwarten?
Scholl: Es ist ein sehr farbenreiches Stück. Es hat viele Instrumente: zwei Flöten, Oboe, Klarinette, Harfe, Klavier, Akkordeon, viel Schlagwerk und Streicher. Die stehen alle in einer Spannung zueinander und kreieren dadurch ein sehr farbenreiches Stück.
Pilaski: Spannung?
Scholl: Die Instrumente formieren sich immer wieder. Das ist beim Komponieren sehr hilfreich. Im Stück habe ich ein Element, wo sich die zwei Flöten und die Klarinette zusammenschließen und in meinem Kopf so eine Art Tradition symbolisieren. Die immer mal im Hintergrund ist und dann aber wieder nach vorne tritt und die anderen Instrumente sich dazu verhalten.
Pilaski: Steht das dann auch in einer Tradition mit jüdischer Musik?
Scholl: Darin steckt ja schon die Frage: Was ist jüdische Musik? Dazu habe ich viel recherchiert und bin wieder in der Bibel fündig geworden. In Bezug auf das Instrumentarium habe ich mir dort Informationen geholt: die Harfe des König David, die Kinnor. Die Harfe tritt in meinem Stück sehr prominent hervor.
"Ich bin immer auf der Suche nach dem Individuellen"
Pilaski: Es gibt unterschiedliche Facetten in Ihrem künstlerischen Schaffen. Sie widmen sich der Komposition von Filmmusik und komponieren Neue Musik. Das sind ganz unterschiedliche Stilrichtungen: Funktionelle Musik und avancierte Musik. In Deutschland werden die Begriffe U- und E-Musik verwendet. Differenzieren Sie im künstlerischen Prozess zwischen diesen beiden Richtungen?
Scholl: Im Grunde nicht. Ich bin immer auf der Suche nach dem Individuellen, nach dem Lebendigen. Das macht für mich keinen großen Unterschied. Das sind wie Sprachen, die man spricht.
Pilaski: Filmmusik und die Neue Musik haben unterschiedliche Adressaten. Beeinflusst das dann nicht im künstlerischen Prozess des Komponierens?
Scholl: Die Filmmusik ist funktionell, da muss ich mich immer auseinandersetzen mit mehreren Personen und deren Wünschen. In der Neuen Musik kann ich mich sehr auf mich konzentrieren. Da kann ich mehr in mich hineinhören und mich fragen, was ich sagen will. Ein anderer Aspekt, der mir auch wichtig ist, dass die Neue Musik nicht so stark marktabhängig ist. Dadurch kann ich mich auf Themen konzentrieren, die vielleicht auch anstrengend, abseitig, dunkel oder transzendent sind. Das ist die große Stärke der Neuen Musik.
Pilaski: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Konzert findet am 9. April um 19:30 Uhr im Rahmen des Forum neuer Musik 2016 in der Hochschule für Musik und Tanz statt. Mehr Informationen zu dritten Festivaltag finden Sie hier.