Musikhochschule, 10:00 Uhr - Matinee
"Friedrich Schenker – Naturfreund und Apokalyptiker"
mit Nina Noeske, Anna Schürmer, Stefan Amzoll und dem ensemble 20/21
Ein Berserker. Der radikalökologische Friedrich Schenker
Referat von Dr. Stefan Amzoll
Der Leipziger Komponist Friedrich Schenker (1943–2013) war ein Mann der Berge. Er wanderte gern, schwitzend, ungestüm, voller Erwartung. Sinnliches Naturerleben verband sich bei ihm mit der Freiheit des Denkens – aus beidem erwuchs ein Komponieren, das gegen falsche Bedürfnisse nach menschlicher Ordnung ungestüm rebelliert.
Er seinerseits sah vor sich durchaus ein Zeitalter des Menschen, aber ein dem jetzigen turmhoch überlegenes. Er formulierte es in Kompositionen, die von Bergen, Pflanzen, Landschaften handeln, in denen der Schweiß der eigenen Anstrengung zum Klingen kommt. Ganz unsentimental, unromantisch ragen seine Umweltstücke, so seien sie hier bezeichnet, in ein positiv verstandenes "Anthropozän" hinein.
"Man sollte so etwas in Freiluft machen" – Schenkers Eutopien
Referat von Prof. Dr. Nina Noeske
Friedrich Schenker ist mit seinen kompositorischen und konzeptuellen Ideen zu Beginn der 1970er-Jahre bei den Kulturverantwortlichen der DDR nicht gerade auf Wohlwollen gestoßen. So kam es etwa 1975 anlässlich des Stücks "Electrization" für Jazzgruppe und Orchester zu heftigen Diskussionen; 1971 warfen Kollegen ihm "Unklarheiten in der ideologischen Konzeption" des "Stückes für Virtuosen" vor. Erst mit dem ebenfalls umstrittenen Kammerspiel II "Missa Nigra" (1978) fand der Komponist Anerkennung: Von nun an ziehen sich gesellschaftliche Dystopien und ihre positiven Gegenentwürfe wie ein roter Faden durch sein Wirken und Schaffen.
Nina Noeskes Vortrag geht den klanggewordenen gesellschaftlichen Visionen und Appellen des Komponisten nach und stellt dabei behutsam die Frage nach der Sollbruchstelle: Ließ sich nach 1989 weiterkomponieren wie zuvor?
"Der junge Fritz und die Bombe – eine Allegorie des anthropogenen Schreckens"
Referat von Dr. Anna Schümer
Im Zentrum von Friedrich Schenkers "Missa Nigra" steht eine enorme Detonation: Die imaginäre und lautmalerische Explosion der Neutronenbombe weist auf den konkreten Anlass seines Kammerstücks II und als Allegorie doch weit darüber hinaus: auf die menschlichen Bedrohungen des Anthropozäns.
In ihrem Referat beleuchtet Anna Schürmer an der allegorischen Figur der Bombe die kreative und soziale Kraft, die der radikale Pazifist Friedrich Schenker in Hörweite anthropogener Bedrohungen entwickelte und in seiner "Missa Nigra" als politdadaistisches Spektakel inszenierte. Der symbolische Gehalt der Bombe als Allegorie des Schreckens hat über die historischen Zäsuren 1989 und 2001 hinaus Bestand bis in die Gegenwart der Kölner Neuinszenierung 2017.
Deutschlandfunk Foyer, 17:00 Uhr - Auftaktpodium
Die entzweite Natur. Leben wir verantwortungslos?
Kulturgespräch mit
Prof. Dr. Ludger Honnefelder, Philosoph
Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Geobiologe
Hilal Sezgin, Schriftstellerin
Moderation: Dr. Michael Köhler (Deutschlandfunk)
Prof. Dr. Ludger Honnefelder, Philosoph
Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Geobiologe
Hilal Sezgin, Schriftstellerin
Moderation: Dr. Michael Köhler (Deutschlandfunk)
Durch messbare Eingriffe in Landschaft und Umwelt, ebenso in seine eigene Natur, verändert der Mensch sein Verhältnis zur Welt tiefgreifend. Es handelt sich dabei um ein komplexes Gefüge von Eingriffen, die sich perspektivisch, zum Teil bereits heute für Mensch, Umwelt und Globus deutlich auswirken und die Biosphäre als solche verändern.
In der Debatte geht es um die Vergegenwärtigung der Situation, um Konsequenzen, um ganz pragmatische Folgen: Was ist gewonnen, wenn Verbraucher Lebensmittel mit Tierwohlsiegel kaufen können, wie es Bundesagrarminister Christian Schmidt angeregt hat? Was spricht gegen die Möglichkeit eines Drei-Eltern-Babys, wenn es die Weitergabe von Erbkrankheiten verhindert? Was wissen und was können wir, wenn wir das Genom entschlüsselt haben?
Die Selbstermächtigung des Menschen zum Schöpfer zweiten Grades erfordert, das Menschsein neu zu justieren. Sie zwingt uns, jenseits von endzeitlicher Skepsis, zu neuem Denken und Handeln.
Die Selbstermächtigung des Menschen zum Schöpfer zweiten Grades erfordert, das Menschsein neu zu justieren. Sie zwingt uns, jenseits von endzeitlicher Skepsis, zu neuem Denken und Handeln.
Deutschlandfunk Foyer, 18:00 Uhr - Lecture
Friedrich Schenkers "Missa Nigra" als Warnruf: 1979 und 2017
mit Anna Schürmer
Im Anschluss Gespräch mit Anna Schürmer, Stefan Amzoll und Oliver Klöter
Im Anschluss Gespräch mit Anna Schürmer, Stefan Amzoll und Oliver Klöter
Am 5. Februar 1979 brachte die legendäre Gruppe Neue Musik "Hanns Eisler" Friedrich Schenkers "Missa nigra" zur Uraufführung. Im Alten Rathaus zu Leipzig war damals auch ein Film-Team zugegen. Der Mitschnitt, den das DDR-Fernsehen produzierte und anschließend archivierte, ist heute ein audiovisuelles Artefakt und dient dieser Lecturer als roter Faden: Ausgehend von der historischen Aufzeichnung bemüht sich Anan Schürmers Vortrag um eine Nachbelichtung der Urinszenierung von Schenkers Kammerstück II "Missa nigra" und betrachtet den Werkgehalt als weiterhin gültig. In Hörweite der aktuellen Bedrohungen erfährt der 1979 musiktheatralisch formulierte Warnruf eine Aktualisierung und erneuert den Anspruch ihres Schöpfers in der Gegenwart: "die Höllengeburten der Kriegstreiberei wenigstens symbolisch zu vernichten".
Deutschlandfunk Kammermusiksaal, 20:00 Uhr
wolfsschlucht breakdown
Hörbild von Frank Kämpfer
Realisation: Wolfgang Rixius (Deutschlandfunk)
Realisation: Wolfgang Rixius (Deutschlandfunk)
Carl Maria von Webers berühmtes erstes Finale seiner Oper "Der Freischütz" eignet sich gut, Projektionsfläche sozialgeschichtlicher Schlüsselmomente zu sein. Der Umstand, im Komponisten einen Zeitgenossen der frühen Industrialisierung zu haben, legt es nahe, jene tiefgreifende Umgestaltung der westlichen Welt zentral in den Fokus zu rücken. "wolfsschlucht breakdown" spielt mitnichten im Wald – vielmehr entfaltet sich ein Panorama der Zivilisierung des Menschen: als Entfremdung von der Natur. Die Opernszene von 1821 wird unsererseits von Geräuschwelten kommentiert – die Montage legt frei, was wir in der "Wolfsschlucht" heute als ihre unabgegoltene Botschaft erkennen.
Deutschlandfunk Kammermusiksaal, 20:30 Uhr
FRIEDRICH SCHENKER (1942–2013) - Missa nigra. Kammerspiel II
Andreas L. Maier, Sprecher
ensemble 20/21
Leitung: David Smeyers
Oliver Klöter, Regie
Petra Möhle, Ausstattung / Bühne
ensemble 20/21
Leitung: David Smeyers
Oliver Klöter, Regie
Petra Möhle, Ausstattung / Bühne
Friedrich Schenker schrieb seine "Missa Nigra" 1978. Seinerzeit Mitte 30, kombinierte er Texte der lateinischen Totenmesse mit Alfred Polgars satirischen "Kriegsperspektiven" (1919) und Versen Theodor Körners. Mit aggressiver Tongebung und martialischen Aktionen schuf er ein höchst säkulares Spektakel bzw. eine polit-dadaistische Orgie.
Längst sind die Schrecken des Kalten Krieges neuen Bedrohungen gewichen und die Ängste der Ostdeutschen in den Turbulenzen der globalisierten Welt aufgegangen. Und doch strotzt das Happening vor Aktualität: Mit seiner "Missa nigra" entwarf der Komponist eine Endzeitvision, die über die geläufigen historischen Marker 1979 – 1989 – 2001 – 2017 hinausweist. Sie zeigt die menschliche Spezies am Abgrund der Selbstzerstörung und liefert zugleich einen globalen Gesellschaftsbefund.
Zum achten Mal beteiligt sich das ensemble 20/21 am Forum neuer Musik mit einem Themenkonzert. In diesem Jahr stellt die international besetzte Studierenden-Formation Friedrich Schenkers Kammerspiel in Oliver Klöters Neuinszenierung zur Diskussion.
Deutschlandfunk Innenhof, 22:00 Uhr - Elektroakustische Produktion
OCTAVIAN NEMESCU (*1940) - Naturel - Culturel
Video: Mihai Cucu
Octavian Nemescu ist einer der Pioniere der elektroakustischen Musik in Rumänien. Als in Bukarest offiziell die Ideologie des sozialistischen Realismus vorherrschend war, rezipierte er bereits die Entwicklungen der westlichen Avantgarde: den integralen Serialismus und die aleatorische Musik. Er nahm derlei in sich auf, ging aber bis heute stets einen eigenen Weg.
Wie zuvor Bartók und Ligeti begann sich Nemescu für außereuropäische Kulturen zu interessieren, insbesondere für Rituale. Der Komponist favorisiert musikalische Archetypen – in diesen sieht er die Möglichkeit einer Rückkehr zur Natürlichkeit.
Die beim Forum neuer Musik 2017 "Im Anthropzän" dargebotene Komposition Octavian Nemescus ist die in Studios in Bukarest und Gent realisierte elektronische Arbeit "Naturel-Culturel" (1973/1983), für die er 1985 den Preis der ICEM erhielt. Über den Beginn dieser Musik sagt der Komponist heute, dass er sich hier den Licht hervorbringenden Urknall vorstellt.