Einst war das "Palace" eines der vornehmsten, arabisch geführten Hotels in Jerusalem. Es wechselte vor einigen Jahren den Besitzer, wurde vollständig entkernt und aufwendig umgebaut. Heute gehört das Waldorf Astoria zu den Luxus-Hotels der Stadt. Es ist jüdisch-orthodox. Und trägt doch noch an der Fassade Koransuren. Der Fotograf Frédéric Brenner hat den Moment des entkernten Zustands eingefangen und den Besucher des Jüdischen Museums Berlin empfängt nun dieses großformatige Bauskelett im Moment seiner Veränderung.
Brenner ist eigentlich ein Spezialist für Intimität, für Menschen, für Familien, was er auch hier mit einigen Werken zeigt. Gleich nebenan ein ganz anderer Eindruck: Eine Wand voller Luftaufnahmen der Negevwüste. Fazal Sheikhs Fotos zeigen die in die Landschaft eingravierten Veränderungen des Menschen, nüchtern, grafisch beinahe. Beduinendörfer, Aufforstungen, Spuren militärischer Übungen. "This Place", das wird gleich zu Beginn deutlich, ist eine Ausstellung der Kontraste. Peter Schäfer, Direktor des Jüdischen Museums:
"This Place" - dieser Ort. Sie versucht zu zeigen die Komplexität des Ortes, die Vielschichtigkeit aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Und wichtig ist uns mit der Ausstellung, dass diese Vielschichtigkeit nicht nur wahrgenommen wird, sondern dass man sie auch aushalten muss.
Die Ausstellung "This Place" ist das Ergebnis eines von Frédéric Brenner initiierten Projektes: Er lud zwölf renommierte Kollegen ein, sich jeweils ein ganz eigenes Bild von Israel und dem Westjordanland zu machen. Ein Projekt, das bewusst viel Zeit in Anspruch nehmen durfte.
Nicht der schnelle Klick
Denn es ging Brenner nicht um den schnellen Klick des Fotojournalisten, der mit seiner Kamera mal eben die Brennpunkte eines nahöstlichen Krisenherdes einfängt. Und damit oft ja bereits ein Teil des Narrativs ist. Brenner hat sich selbst in zahlreichen Arbeiten jüdischen Gemeinschaften in der ganzen Welt gewidmet. Er wollte, dass sich die Künstler für dieses ungewöhnliche Gemeinschaftsprojekt intensiv einlassen auf die Menschen vor Ort, auf die Landschaft, die topografischen Gegebenheiten, das komplizierte religiöse Geflecht dieses vielstimmigen Landes.
Brenner: "Israel ist ein Ort der radikalen Andersartigkeit und der radikalen Dissonanz. Dieses Projekt hat aber auch mit einer Art Polyphonie zu tun, wobei wir verstehen sollten, dass wir uns auf diese Polyphonie einlassen müssen, auch in uns selbst."
Brenners ambitioniertes Projekt "This Place" ist als Gastausstellung ins Jüdische Museum gekommen, bevor dieses eine neue Dauerausstellung eröffnen wird. Zuvor war "This Place" bereits in Tel Aviv, Prag und New York zu sehen. Zu den beteiligten Künstlern zählen Joesf Koudelka, Thomas Struth oder Wendy Ewald. Sie reisten jeweils mehrfach ins Land, lebten zum Teil in Familien, trafen sich auch untereinander zu Gesprächen und Reflexionen über ihre Erfahrungen. Ein jeder folgte dabei ganz den eigenen visuellen Vorstellungen und ästhetischen Ansprüchen. Gemeinsam ist den Arbeiten des Teams lediglich das Objekt ihrer Betrachtung, eben "This place". So individuell die Zugänge, so verschieden zeigen sich die einzelnen Arbeiten, die um Identität, Familie, Heimat und nicht zuletzt um Religiosität kreisen. Es ist eher ein poetischer, denn ein politischer Blick. Nicht beteiligt waren israelische oder palästinensische Künstler. Eine bewusste Entscheidung, sagt Brenner.
Brenner: "Wir wollten Leute mit einem frischen Blick, die nicht involviert sind in den täglichen Konflikt."
Geburtsgrotte mit Ufo
Der Bezug zur Religiosität ist in Israel sicher stärker ausgeprägt als andernorts, sagt Gregor Lersch, der die Ausstellung für die Räume des Berliner Museums, die nicht die gesamte Schau fassen konnten, konfiguriert hat. Die Arbeiten von Stephen Shore etwa zeigen religiös konnotierte Orte in der israelischen Landschaft. Was der Blick eines Künstlers auf durchaus vertraute religiöse Orte bedeuten kann, macht ein Werk von Thomas Struth deutlich. Da sehen wir die Geburtsgrotte Jesu in Nazareth. Überwölbt von einer brutalistischen Deckenkonstruktion, als wäre über dem Ort der Niederkunft des Heilands ein Ufo gelandet. Es sind oft überraschende Sichtweisen auf Motive, die wir mehr oder weniger alle im Kopf haben.
Lersch: "Die Ausstellung eröffnet sicher an einigen Stellen für jeden Betrachter einen neuen Blick auf Israel. Auf der anderen Seite wird jeder etwas finden, was er aus Israel kennt oder so, wie er sich Israel vorstellt. Weil wir natürlich die starken visuellen Situationen alle schon irgendwie gesehen haben und man auch in der Ausstellung auch sieht, dass sich auch die Fotografen für diese Elemente und Situationen interessiert haben. Gleichzeitig glaube ich, ist in der Vielfalt dieser Projekte auch etwas Neues zu entdecken."
Fast alle beteiligten Künstler haben zu ihrer Mitarbeit an "This Place" ein eigenes Buch herausgebracht. Es ist ein einmaliges Projekt, Israel und das Westjordanland auf diese Weise in den Blick zu nehmen. Peter Schäfer hat viele Jahre in Israel gelebt, dort studiert, er kennt das Land sehr gut. Ihn habe der gelassene Blick der Fotografen auf "diesen Ort" überrascht.
Schäfer: "Ich hätte mir manches hektischer, aufgeregter, dramatischer vorstellen können. Viele Bilder strahlen eine Ruhe aus, die ich in dieser geballten Potenz so vorher nicht wahrgenommen hätte."
Die Foto-Ausstellung "This Place" ist vom 7. Juni 2019 bis 5. Januar 2020 im Jüdischen Museum Berlin zu sehen.