Eine Ausstellung, die sich dem Flüchtlingsthema widmet, muss anderes (und vielleicht auch ästhetisch Anspruchsvolleres) bieten als das, was wir sowieso täglich in der Zeitung sehen. Der Zürcher Fotograf und Kurator Romano Zerbini löst diese Aufgabe mit mehreren Strategien: er erzählt die Geschichte der Flüchtlingsbewegungen zunächst im historischen Kontext. Er konfrontiert das dann mit neuen Arbeiten Schweizer Künstler. Und er lässt das Ganze da stattfinden, wo man tatsächlich auch Flüchtlinge treffen kann ...
Die "Photo-Bastei" ist ein neuer Ausstellungsort in Zürich, direkt hinter dem Hauptbahnhof. Zerbini hat zwei Stockwerke in einem alten Industriegebäude angemietet, das bis vor einem halben Jahr von der Züricher "Hochschule der Künste" genutzt wurde. Jetzt gibt es hier Ausstellungsräume, Büros und Dunkelkammern. Unten findet Deutschunterricht für Ausländer statt. Zerbinis Konzept: Er will der subkulturellen Szene Ausstellungsmöglichkeiten verschaffen. Und er hat politische Ansprüche ...
"Politisches Ziel ist vielleicht zu hoch gegriffen. Ich bin schon froh, wenn sich Menschen auf dieses Thema Flucht einlassen und das in dieser Breite überhaupt mal zur Kenntnis nehmen ..."
Da sind zum Beispiel die virtuos komponierten Schwarz-Weiß-Bilder, die die Reporter der Fotoagentur Magnum nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht haben. Halb Europa war damals auf der Flucht, sogenannte Heimatvertriebene, KZ-Überlebende, politische Emigranten. Die Fotografen fanden dafür eindrückliche Motive: Werner Bischofs "Füße eines Vertriebenen" (von 1949) in völlig kaputtgelaufenen Schuhen wurde zu einer Ikone der Dokumentarfotografie; Robert Capa zeigte einen gepäckbeladenen Einwanderer in Haifa. 1961 traf René Burri DDR-Flüchtlinge im Notaufnahmelager Marienfelde.
Dann, im Schnelldurchgang, internationale Konflikte, die Fluchtbewegungen auslösten: nach dem Ungarn-Aufstand emigrierten 1956 Tausende Ungarn; kurdische Peschmerga kämpften schon 1974 gegen Saddam Hussein; 1984 Hungersnot in Äthiopien, 2011 die Aufstände in Tunesien und Libyen, der Afghanistan-Krieg. Schließlich die Afrikaner, die per Boot über das Mittelmeer kommen, und die Syrer, die vor dem Bürgerkrieg fliehen.
"Es ist alles nur aus der Sicht von Flüchtlingen, von Menschen konstruiert"
Das ist ein historisches Kontinuum, und die Ausstellung rückt das nah an uns heran. In der nächsten Abteilung sind die Magnum-Fotos nämlich auf dicke Holzklötze aufgezogen, die man in die Hand nehmen muss, um auf der Rückseite zu erfahren, wo das Bild gemacht wurde, um welchen Konflikt es sich handelt. Man kann sich also nicht entziehen, man muss anfassen ...
"Es ist alles nur aus der Sicht von Flüchtlingen, von Menschen konstruiert. Es gibt keine Thematik, die über die Flüchtlinge handelt, sondern man ist immer mit den Flüchtlingen in den verschiedenen Situationen."
Aber es gibt auch mediengeschichtlich einen Wechsel der Erzählweise. Waren vor 50 Jahren die Flüchtlinge noch Objekte für Dokumentarfotografen, auch wenn diese das gut meinten, so machen sie jetzt ihre Fotos selber – mit dem Handy. Der Schweizer Künstler Marcel Cavallo hat vier Insassen eines Schweizer Durchgangslagers überredet, ihm ihre Handys zur Verfügung zu stellen; die Bilder kann das Publikum nun in der Ausstellung anklicken. Sie sehen seltsamerweise wie ganz normale Erinnerungsfotos aus – dabei befinden sich die Menschen zum Teil auf hoher See im Mittelmeer.
Mehrere Langzeitprojekte zeigen uns dann aber, dass die konzeptuelle Dokumentarfotografie letztlich besser erzählt als die Betroffenen selber: Kristian Skeie begleitet Überlebende zurück in ihre Heimat, nach Ruanda und Srebrenica. Und der Schweizer Fotograf Denis Jutzeler portraitiert die traurigen Insassen eines sogenannten Ausschaffungslagers, ergo: Abschiebelagers bei Genf. Sie sitzen dort bis zu 18 Monate. Einziges Verbrechen: Sie sind illegal in der Schweiz.