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Fotograf Gavin Evans
"Mit einem einzigen Foto kann man einen Menschen nicht porträtieren"

Iggy Pop, David Bowie, Nick Cave: Der Fotograf Gavin Evans hatte sie alle vor der Linse. Entstanden sind weltberühmte Porträts. Die Ausstellung "The Trinity" zeigt sowohl bekannte als auch bisher unbekannte Aufnahmen der drei Musiker. Einige Fotosessions waren durchaus skurril, erinnert sich Gavin Evans im Corsogespräch.

Gavin Evans im Gespräch mit Luigi Lauer |
    Gavin Evans
    Iggy Pop, Nick Cave, David Bowie: Der Fotograf Gavin Evans hat bereits mit den ganz Großen des Showbiz gearbeitet. (Deutschlandradio/Luigi Lauer)
    Luigi Lauer: Gavin Evans, es heißt, Sie seien unter etwas ungewöhnlichen Umständen zur Fotografie gekommen. Was waren das für Umstände?
    Gavin Evans: Ich kam mit zwölf Jahren zur Fotografie. Wir hatten einen neuen Nachbarn, der vorher bei der Polizei auf den Bermudas gearbeitet hatte. Er lud mich ein, mir ein paar Fotos anzusehen. Ich besuchte ihn also, und während er die Fotos holte, entdeckte ich ein kleines schwarzes Buch auf dem Tisch.
    Ich blätterte darin und dachte: Was ist das? Was immer das darstellt, es ist wundervoll. Es war stets ein tropischer Hintergrund mit satten Farben, wobei mir die Motive selbst zuerst abstrakt erschienen. Aber dann sah ich etwas Vertrautes, einen Körper im Gras oder etwas Ähnliches, ich war nicht sicher. Etwas sah nach einer Discokugel aus. Dann kam der Nachbar zurück und nahm mir sofort das Buch weg. Da solle ich nicht reinschauen, sagte er. Ich fragte, warum, denn die Bilder hatten Anziehungskraft, hatten Komposition, Abstraktion, alles. Ich wollte wissen, was es mit der Discokugel auf sich hatte.
    Es stellte sich heraus, dass der Nachbar Fotograf in der Forensik war. Das Bild zeigte einen Mann nach einem Verkehrsunfall, die Splitter der Windschutzscheibe hatten seinen Kopf vollständig gespickt. Der Mann war zur Discokugel geworden. Er war tot, wie alle anderen in dem Buch. Schockiert war ich gar nicht, dafür waren die Fotos zu abstrakt. Ich begriff, dass ich hier etwas über Fotografie lernte, von dem ich bislang keine Ahnung gehabt hatte, und dass man die Linse auf alles richten kann, wenn es gerechtfertigt ist – was bei dem Forensiker natürlich außer Frage stand. Das war für mich eine Offenbarung. Ich war noch nicht einmal ein Teenager, aber in dem Moment wusste ich, meine Ausbildung ist beendet. Ich habe alles gesehen.
    "Wenn du in Berlin nur angeben willst, kannst du gleich wieder packen"
    Lauer: In Berlin zeigen Sie jetzt erstmals in einer Gesamtschau Fotos von drei Künstlern, die alle eine Zeit lang in der Stadt gelebt haben. Und Sie ja inzwischen auch. Was war und ist der Reiz an Berlin für Künstler?
    Evans: "The Trinity", man kann es im Grunde auch "The Berlin Trinity" nennen, handelt von Nick Cave, David Bowie und Iggy Pop. Diese drei Protagonisten waren auf der Suche nach einem Ort, wo sie kreativ sein konnten. Und das war Berlin. Bowie kam zuerst. Er war in der Szene so respektiert, dass die anderen folgten. Alle drei schufen bemerkenswerte Arbeiten in dieser Zeit. Ich kam aus demselben Grund nach Berlin, aber das ist erst zwei Jahre her. Also nicht 1989 oder 1997, als ich die Fotos machte. Andere große Städte wie New York kamen nicht infrage, die kann man sich als Künstler nicht leisten.
    Ein anderer wichtiger Grund, hier zu sein, ist der fehlende Hang zur Selbstdarstellung, wie ich ihn aus Großbritannien kenne und mit dem ich nie warm geworden bin. "Hier bin ich, hier ist meine Arbeit, beurteilt mich danach!" Wenn du in Berlin nur angeben willst, kannst du gleich wieder packen. Für mich ist das fantastisch, ich kann ganz einfach meine Arbeit präsentieren.
    Lauer: Es war sicher eine ganz besondere Erfahrung, mit drei so unterschiedlichen Künstlern und Charakteren zu arbeiten. Schildern Sie uns doch bitte ihre damaligen Eindrücke.
    Evans: Fangen wir mit dem ersten an, das war Bowie. Er arbeitete in London mit Brian Eno. Es war in einem Komplex von fünf Studios, von denen nur zwei gebucht waren. Wir hatten also Platz und auch Zeit, eine Stunde, glaube ich. Ich hatte alles aufgebaut und alle waren etwas aufgeregt.
    Bowie war sehr nett und geradeaus, ohne irgendwelche Vorbehalte. Er hatte sicher schon Fotos von mir gesehen und vertraute offensichtlich auf meine Professionalität. Und dann, in der Garderobe, kam er mit diesen saphirfarbenen Kontaktlinsen. Das war eine interessante Wendung, denn es ist ja bekannt, dass er unterschiedlich große Pupillen hatte. Er wollte sich tarnen. Doch er war tatsächlich handzahm an dem Tag und er war auch sehr leger gekleidet. Die Sitzung war kurz, aber sehr lebendig, deshalb hat sie soviel Spaß gemacht. Und dabei kam das Schwarz-Weiß-Foto zustande, auf dem er einen Finger vor den Mund hält, diese "Sei-still"-Geste.
    1995 habe ich die Aufnahme gemacht. Inzwischen ist das Bild weltweit abgedruckt worden, es ist einfach überall. Nach Bowies Tod wurde in Brixton spontan eine Gedenkstätte errichtet, auch dort ist das Foto ausgestellt. Und jetzt sieht man, wie sich die Bedeutung eines Bildes ändern kann: Es ist nicht mehr diese "Sei-still"-Geste. Für mich ist die Aussage jetzt: "Weine nicht".
    "Ich mochte nie, dass mir jemand bei der Arbeit zusieht"
    Lauer: Iggy Pop als einer der Urväter des Punk kommt nicht nur musikalisch, sondern auch optisch aus eine ganz andere Ecke. Alleine der Faltenwurf in seinem Gesicht ist einen Fotoband wert und viele Bilder zeigen auch nur das Gesicht. Sie aber haben genau das bei David Bowie gemacht, während Iggy Pop bei Ihnen in seiner offenen Hose herumfummelt. Wie war die Session, im Vergleich zu der mit Bowie?
    Lauer: Das lief völlig anders. Es war für das "Time-Out-Magazin" in New York, für eine Halloween-Spezialausgabe. Sie fanden Iggy Pop für die Titelseite perfekt. Ich arbeite nie mit Stylisten, ich will keine, aber sie hatten einen gebucht, Judy Blame. Er hatte einen Ruf als kontroverser, zeitgenössischer Stylist, der anders war als alle anderen. Ich mochte ihn, aber ich mochte nie, dass mir jemand bei der Arbeit zusieht.
    Auf vielen meiner Bilder aus den 80-er Jahren sind die Menschen nackt. Nicht, weil mich die Körper so interessiert haben, sondern weil die Kleidung nicht vom eigentlichen Motiv ablenken sollte. Ich bin ja kein Modefotograf. Judy hatte Federn dabei und hautenge Fischnetz-Shirts und Strumpfhosen sowie ein T-Shirt, das mit Pflastern beklebt war. Iggy Pop kam und hatte sofort diese riesige Präsenz. Er war ein Gigant. Doch je näher er kam, desto kleiner wurde er. Und er ist ja wirklich nicht sonderlich groß. Iggy war total nett und entspann. Am Ende hatten wir 130 Fotos, die alle dermaßen gut waren, dass es schwierig war, welche auszuwählen. Ein schottischer Verleger fragte mich schließlich nach Bildern, um ein Buch daraus zu machen. Und damit sind wir bei meiner Ansicht, dass man mit einem Foto einen Menschen nicht porträtieren kann. Hier hatten wir eine Sequenz von Anfang bis Ende, mit jedem denkbaren Iggy Pop: Iggy, der Proto-Punk, der ängstliche, der verrückte, der süße Iggy Pop, oder der lachende Iggy Pop. Ich nenne das Biopic, denn es war genau das: eine Biografie in Bildern.
    Lauer: Jetzt noch Nick Cave. Der zog schon 1983 nach Berlin, wo er unter anderem mit Blixa Bargeld die "Bad Seeds" gründete, die es immer noch gibt. Cave haben Sie zweimal getroffen. Beim ersten Mal entstand das Bild, wo er ganz entrückt durch ein Fenster schaut, da ist er noch sehr jung. Ist dieses Bild eines Ihrer ältesten Fotos mit Nick Cave?
    Evans: Ja. Das erste Mal war 1989 in London in einem öffentlichen Badehaus. Der Manager kam mit ihm rein, sagte "Viel Glück", und verschwand. Und ich dachte: Das wird nie etwas, der Kerl ist ja völlig durch.
    Ich sag es mal so: Er war nicht nüchtern. Ich sagte: Nick, kannst du aufstehen? Ja, konnte er. Kannst du dich in diese Ecke stellen? Gut. Da stand er dann. Kannst du mit den Armen rudern?
    Also, wenn mich das jemand fragt, würde ich sagen, kann ich, mache ich aber nicht. Aber Nick ruderte mit den Armen. Hinterher sagte ich, setz dich. Er setzte sich, und fertig. Dabei ist dann das bekannte Bild entstanden, wo er aus dem Badehaus schaut. Ich sagte, super, fotografierte ihn durch das Fenster und ging. Ich war überrascht, dass ich ein paar Bilder hatte und wusste, warum mir der Manager "Viel Glück" gewünscht hatte.
    2009, also 20 Jahre später, sollte ich ihn noch mal fotografieren in seinem Haus in Brighton. Es war für ein Buchprojekt. Dieses Mal trafen wir uns also unter anderen Umständen, und er war natürlich clean und frisch. Und jetzt bekam ich die Bilder, die ich damals hätte bekommen sollen. Ich sagte zu ihm: Erinnerst du dich an mich?
    Lauer aus dem Hitnergrund:"I´ve never seen you all my life!"
    Evans: Genau das sagte er: Er habe mich nie gesehen. Ich meinte nur: Hast du aber, und ich habe Beweise. Er schaute sich die Bilder an und sagte nur: Oh, wo war ich denn da? ."
    "Wir sind weder Priester noch göttlich"
    Lauer: Sie sagten vorhin, man könne nicht mit einem Bild einen Menschen abbilden. Was genau meinen sie damit?
    Evans: Die Aufgabe eines portraitieren besteht darin, die Essenz seines Subjektes zusammenzufassen. Wir alle haben viele Facetten. Aber es gibt tatsächlich Fotografen, die sagen, dieses eine Foto sei der Inbegriff der Person. Wir sind weder Priester noch göttlich, wir sind Fotografen. Und wir gehören generell auch nicht zum schlausten Teil der Gesellschaft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.