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Fotograf Günter Zint
„Ich hoffe, dass die Gelbwesten aus Frankreich rüberkommen“

"Das Objektiv an meiner Kamera ist das Einzige, was an mir objektiv ist", sagte der Pressefotograf Günter Zint im Dlf. Kritische Distanz gibt es bei ihm nicht, er ist immer Teil des Geschehens vor seiner Kamera. Ein Bildband präsentiert die "Wilden Jahre" in Hamburg - von 68er-Demos bis zu Pop-Ikonen.

Günter Zint im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski | 19.12.2018
    Nachtaufnahme vom Imbiss "Expressbuffet" auf der Großen Freiheit der 1960er-Jahre, Blick durch das Schaufenster auf den Verkaufsraum
    Der Imbiss "Expressbuffet" auf der Großen Freiheit, 1960er-Jahre (Junis Verlag/Günter Zint)
    Adalbert Siniawski: Ich habe ein persönliches Lieblingsbild in dem Buch, das ist eine auf den ersten Blick vielleicht unscheinbare schwarz-weiße Nachtaufnahme des Imbissladens Expressbuffet: Blick durch die hell beleuchtete Fensterscheibe auf die Wurstauslage, zwei Verkäuferinnen, einen Kunden. Eine Art hanseatische Version von Edward Hoppers "Nachtschwärmer". Die große Kunst im Kleinod - treffend beschrieben?
    Günter Zint: Na ja, das sind alles Kleinode. Ich bin da jeden Tag auf St. Pauli unterwegs, da würden mir 100.000 Fotos einfallen, die St. Pauli im Alltag beleuchten.
    "Heimat ist da, wo man sich wohlfühlt"
    Siniawski: Was verbinden Sie mit Orten wie diesem Expressbuffet?
    Zint: Na ja, ich bin seit 1962 auf St. Pauli, und ich bin hier sehr heimisch geworden. Heimat ist da, wo man sich wohlfühlt - und ich sage immer: "Der liebe Gott hat einen großen Zoo - und die Zentrale ist auf St. Pauli." Und ich brauche gar nicht zu verreisen, insofern bin ich hier als Pressefotograf vollbeschäftigt.
    Siniawski: Mit solchen Alltagsbildern haben Sie aber auch den Zeitgeist und ein Stück Geschichte konserviert. War Ihnen damals das schon bewusst, war das damals schon eine Idee? Oder haben Sie einfach so drauflos fotografiert, sage ich mal?
    Zint: Nein, nein. Ich habe ja bei der Deutschen Presseagentur gelernt diesen Job, und ich bin Pressefotograf von Beruf - also "Bildredakteur im Außendienst" nennt man sowas. Und ich habe damals schon immer darauf geachtet, dass ich die Zeit einfange, weil ich wusste, ich habe mitbekommen mit der Zeit, wie schnell ein Foto Geschichte wird. Manche Fotos, die ich gemacht habe, die waren nach vier Wochen schon geschichtsträchtig.
    Siniawski: Welches würden Sie denn da beispielhaft aufführen?
    Zint: Also, was mich immer wieder berührt, ist natürlich das Foto von Marianne Fritzen vor der Polizeikette, als die Rodungen begannen und die Tiefbohrungen für das atomare Endlager in Gorleben, und da steht sie vor einer Polizeikette und guckt ganz skeptisch. Das war 1993, in der ganzen Bundesrepublik plakatiert von den Grünen als Plakat für die Werbung "Demokratie braucht Luft zum Atmen". Das ist eins meiner Liebesfotos, weil: Darüber braucht man gar nicht diskutieren. Dieses Foto ist so eindeutig und zeigt, was wirklich damals los war.
    "Ich war oft auch Demonstrant und Mittäter"
    Siniawski: Sie waren, wie eben dieses Beispiel zeigt, immer zur Stelle - nicht nur bei den Popstars der Jahre, als die unterwegs waren -, sondern eben auch bei den Demos der Linken, wenn's irgendwo gekracht hat. "Wach wie ein Erdmännchen auf dem Posten" seien sie da, schreibt die Autorin Kollegin und Freundin Tania Kibermanis über Sie. Ist das das Erfolgsrezept des Fotografen Günter Zint?
    Zint: Na ja, es wäre blöd, wenn ich nur über den linken Demonstrationen gewesen wäre, ich bin natürlich auch bei den Nazi-Demonstrationen gewesen. Und ein Pressefotograf muss natürlich immer vor Ort sein. Wenn der Zuhause sitzt, dann kann er kein Geld verdienen. Also ich bin im Grunde genommen 365 Tage im Jahr im Einsatz - und ich habe immer eine Kamera dabei.
    Siniawski: Aber Sie gehen ja, finde ich, weiter als andere Fotografen. Sie sind dann auch Teil des Geschehens. Birgt das nicht die Gefahr, dass das kritische Selbsteinschätzungsvermögen verloren geht, weil man eben keine Distanz mehr hat?
    Zint: Man sagt ja immer, ein Journalist soll objektiv sein. Aber ich sage immer: "Das Objektiv an meiner Kamera, das ist das einzige, was bei mir objektiv ist." Der Rest ist subjektiv durch meine Erfahrungen geprägt. Ich arbeite seit 1963 zusammen mit Günter Wallraff, und ich habe von ihm viel gelernt oder übernommen. Ich nenne das immer "teilnehmende Beobachtung", also ich war nicht immer nur journalistisch, ich war oft auch Demonstrant und Mittäter. Und hätte ich nicht immer die Kamera vorm Auge gehabt, ich glaube, ich hätte manchmal zu einem Stein oder sonstwas gegriffen.
    Der Fotograf Günter Zint steht vor einem Demo-Foto aus der Ausstellung "68 - Brennpunkt Berlin" im Amerikahaus in Berlin. Die Ausstellung erinnerte 2008 mit Fotografien von Zint und weiteren Ausstellungsstücken an die Studentenbewegung und Jugendrevolte von 1968 mit ihren zahlreichen Demonstrationen in der Hauptstadt.
    Der Fotograf Günter Zint (picture-alliance/dpa/Arno Burgi)
    Siniawski: Das geht natürlich sehr weit. Da würden jetzt Medienethiker und Presserechtler sagen: "Es gibt auch diesen Leitspruch, man solle sich nicht mit einer Sache gemein machen." Sie machen das schon ganz bewusst.
    Zint: Ja, die Leute, die das behaupten, sind nämlich diejenigen, die sich meistens mit einer Sache gemein machen. Also die Journalisten, die behaupten, sie wären objektiv – ich will jetzt keine Beispiele nennen, aber da kann ich Ihnen viele aufzählen –, die sind derartig parteiisch für konservative Standpunkte, dass sie das nicht mal selber merken.
    Siniawski: Das Herz schlägt links bei Ihnen, merkt man.
    Zint: Na ja.
    "Ich warte auf die Auslösung einer neuen 68er-Demonstrantenkultur"
    Siniawski: Auf der letzten Seite des Bildbandes steht dann zum Beispiel in großen Lettern eine Widmung von Ihnen: "Danke an alle fotografierten Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit und die gute Sache." Ja, wie sehen Sie das heute: Brauchen wir in Zeiten von Trump, Putin, Erdogan heute mehr solcher Überzeugungstäter?
    Zint: Dringender denn je! Ich warte auf die Auslösung einer neuen 68er-Demonstrantenkultur. Drüben in Frankreich mit den Gelbwesten, da passiert schon was. Aber ich hoffe, dass die Gelbwesten auch hier rüberkommen. Fast jeder hat so eine Weste hinten im Auto. Ich würde sagen: Ab morgen auch auf die Straße - mit Gelbwesten für die gute Sache!
    Siniawski: Für die gute Sache. Aber was ist die gute Sache, Günter Zint?
    Zint: Recht und Gerechtigkeit. Und ich bin im Grunde genommen auch Demokrat, ich würde mir natürlich am liebsten eine sozialistische Gesellschaft vorstellen. Man nennt ja unsere Gesellschaft auch eine soziale Gesellschaft, aber ich weiß, wie unsozial sie ist, weil: Diese Schieflage zeigt sich genau in Hamburg und speziell auf St.Pauli. Wir haben auf St.Pauli drei Institutionen, die über 1.500 Mahlzeiten pro Tag an arme Leute und Obdachlose ausgeben. Also so toll, wie unser Land oft beschrieben wird, ist es leider nicht.
    Siniawski: Sie haben die Jugendkulturen und Gegenkulturen fotografiert. Auch im Kapitel "Wilde Zeiten" schreibt Tanja Kibermanis: "Die Zeiten sind verklemmter geworden, weniger experimentierfreudig - obwohl die Freiräume doch so großzügig sind, wie noch nie." Stimmen Sie ihr zu?
    Zint: Das ist wieder eine Sache, über die man diskutieren kann. Also die Jugend, meistens wird sie schlecht geschrieben. Aber so schlecht, wie sie geschrieben wird, ist sie gar nicht. Also es gibt ganz viele Jugendliche, die nicht nur Facebook und diese ganze gequirlte Kacke aus dem Internet angucken, sondern die schon sich selber ein Bild machen und die auch, wenn's wirklich brennt, auf die Straße gehen. Und ich hoffe, dass das bald mal der Fall ist.
    "Diese 'Bild'-Leser-Fotografen, das sind die Schmeißfliegen des Journalismus"
    Siniawski: Passierte ja schon immer mal wieder, uch mit den - und ausgelöst durch - die sozialen Netzwerke. Herr Zint, Sie sind - ich hoffe, ich darf das sagen - 77 Jahre alt. Immer noch sehr aktiv als Fotograf in einer Zeit, in der Fotos digital gemacht werden; spontane Selfies, tausendfach geschossen und verbreitet in den sozialen Netzwerken. Für Sie als Fotograf mit - ich sage mal – Sponti-Affinität müsste das eine willkommene Demokratisierung und Befreiung der Fotografie sein, oder?
    Zint: Einerseits. Andererseits, diese Handyfotografen, diese "Bild"-Leser-Fotografen, das sind die Schmeißfliegen des Journalismus. Da wird der pinkelte Nationalspieler auf der Autobahnraststätte plötzlich zu einer Nachricht in der "Bild"-Zeitung, und das ist völlig überflüssig. Also das hat mit Journalismus nichts zu tun. Aber ich selber arbeite auch mittlerweile mit Vorliebe mit einem Smartphone, weil diese Smartphones haben eine derart gute Qualität mittlerweile. Ich kann da nachts auf der Reeperbahn ohne Blitz fotografieren, was ich mit keiner anderen Kameras schaffe. Also ich gestehe, dass ich mittlerweile bekennter Smartphone-Fotograf bin.
    Ganz sicher kein Kunde: Ein langhaariger junger Mann sitzt vor einem Friseursalon in der Langen Straße auf St. Pauli in den 1960er-Jahren
    Ganz sicher kein Kunde: Ein Friseursalon in der Langen Straße auf St. Pauli in den 1960er-Jahren (Junis Verlag/Günter Zint)
    Siniawski: Also: Die Technik ist okay, versteh‘ ich, aber es kommt darauf an, was man damit transportiert. Dann wäre die Frage an Sie, wann ist Bild gut für Sie, damit sie auf den Auslöser drücken?
    Zint: Wenn es nicht groß interpretierbar ist. Also Bilder entstehen auch im Kopf des Betrachters, und je weniger man über einen Bild diskutieren kann, umso lieber ist mir, das als aussagekräftiges Foto.
    Siniawski: Weniger Kunst, mehr Dokumentation.
    Zint: Ich bin bekennender Dokumentarfotograf und will die Wirklichkeit dokumentieren, wie sie ist. Aber wie die Bilder eben auch im Kopf entstehen der Leute, kann ich manchmal nicht verhindern, dass sie falsch interpretiert werden. Jeder lässt sich gerne seine Vorurteile bestätigen - sie widerlegen lässt man sich nicht gerne.
    Siniawski: Sagt Günter Zint, langjähriger Straßen- und Pressefotograf, immer noch aktiv. Eine Auswahl seiner Hamburg Bilder aus den 60er- bis 80er-Jahren ist jetzt im Junius Verlag erschienen. "Wilde Zeiten", heißt der Fotoband. Günter Zint, danke für dieses Corsogespräch.
    Zint: Ja, gerne geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Günter Zint, Tania Kibermanis: "Wilde Zeiten. Hamburg-Fotografien von Günter Zint 1965–1989"
    Junius Verlag Hamburg, 2018. 256 Seiten, 49,90 Euro.