Lukas Wassmann liebt das Handgemachte. In seiner Wohnung stehen selbst gezimmerte Möbel – ein Stuhl im Bauhausstil, ein Tisch mit einer glatten, hellen Tischplatte und rauen, schwarz lackierten Beinen. Gegensätze machen das Leben interessant, sagt Wassmann. "Ich bin gelernter Zimmermann ursprünglich. Aber mein Beruf jetzt ist Fotograf. Die große Leidenschaft ist die Jagd und mit dem Hund arbeiten. Ich brauche aber trotzdem noch die Stadt. Ich arbeite in vielen internationalen Städten. Das tut mir auch gut."
Lukas Wassmann ist in einem Dorf in der Nähe von Zürich aufgewachsen, jetzt wohnt er mit seiner Frau und seiner zehn Monate alten Tochter in Berlin – ein großer, gemütlicher Mann mit blondem Haar und Schnurrbart. Wenn ihn die Natursehnsucht packt, fährt er mit seinem Hund ins Grüne. Er hat im Berliner Umland einen Wald gepachtet, in dem er jagen kann. Normalerweise ist er ein bis zweimal die Woche dort - in letzter Zeit seltener. "Ich habe viel fotografiert im Dezember. Ich habe einige Modegeschichten gemacht, bin gleichzeitig an einem Buch dran - schon etwas länger, das nächstes Jahr erscheinen wird im Patrick Frey Verlag in der Schweiz."
Bester Modefotograf 2017
Wassmann gibt von Zeit zu Zeit Fotobücher heraus, in denen er seine Arbeit dokumentiert. Er ist 37 und gehört zu den Fotografen die demnächst richtig durchstarten könnten. Das internationale Kreativnetzwerk Le Book/Connections hat ihn zum besten Modefotografen 2017 gekürt. Er achtet sehr darauf, dass es in seinen Bildern Widersprüche gibt – kleine Details, die für Spannung sorgen, obwohl man sie vielleicht nicht auf den ersten Blick wahrnimmt.
Zuletzt ist er für das Modelabel Ottolinger ins kleine Dorf Stallikon in die Schweiz gereist: "Das war eine Spring-Summer-Kampagne und es hatte Schnee. Die Kleider sind aber sommerlich. Wir haben an diesem Gegensatz rumgespielt. Das war sehr familiär. Ein sehr kleines Team, ein Model, die beiden Designerinnen, eine Stylistin, ein Hair Make-up, für mich eine Assistentin, das war's."
Ein kleines Team ist gut, um auf die Situation am Ort zu reagieren, sagt er. Die Arbeit kann schneller das bekommen, was er einen Groove nennt: "Ich arbeite wahnsinnig ungern nach vorgefertigten Plänen meine Punkte ab. Am schönsten ist, wenn sich etwas entwickelt und dann reitet man das Ding. Ich würde mal sagen, so 50 Prozent davon weiß ich, was ich mache. Und dadurch, dass ich analog arbeite. Ich brauche die Digitalkamera nur sozusagen, wie man früher ein Polaroid gemacht hat: Ich schaue, ob das Licht passt, ob die Situation ungefähr so ist, wie ich es mir vorgestellt habe und dann gibt es noch immer diesen Zufallsmoment, wo man sich dann während des Fotografierens bewegt und sich etwas verändert."
Analogen Kamera immer dabei
Die Fotos der Ottolinger-Kampagne zeigen das Model im schwarzen Kunstlederoutfit auf einem Berg aus Strohballen oder neben einer rostigen alten Landmaschine. Kleider, die wie zusammengenähte Stofffetzen aussehen, hat Wassmann auf der Straße neben einem vorbeifahrenden Sportwagen fotografiert. Dabei benutzt er stets eine analoge Kamera. Als er vor ein paar Jahren versuchte, sich auf Digitaltechnik umzustellen, sahen seine Bilder nicht mehr aus wie vorher. "Ich fand den Prozess, dieses Immer-wieder-mich-selber-kontrollieren und Auf-den-Bildschirm-gucken - mir hat dieser Prozess nicht zugesagt. Ich bin ein Handwerker. Ich habe diese Kameras, mit denen ich arbeite, die analogen, die liegen mir so gut. Das mache ich im Schlaf."
Instinkt ist für Lukas Wassmann wichtig. Er ist kein Theoretiker, der lange an Konzepten feilt. Nach der Schule arbeitete er erst als Zimmermann und dann als Assistent verschiedener Fotografen in Mailand, Berlin und New York. Er studierte an der Kunstgewerbeschule in Zürich und verdiente Geld, als er für Galerien Kunstwerke abfotografierte. So lernte er die Sammlerin Monique Burgel kennen. "Sie hat dann angefangen, mich zu fördern. Sie hat mir einen Job gegeben, nach Brasilien zu reisen und eine familiäre Tabakproduktion zu fotografieren. … Also da durfte ich hin und einfach 100 Rollen Film durchbrettern."
Wirbel um Austellung in der Türkei
Seitdem fotografiert er für Bildreportagen – und das tut er neben seiner Arbeit für die Werbebranche auch noch heute. Da seine Fotos oft sehr vielschichtig sind, werden sie auch in der Kunstszene geschätzt. Im Sommer gab die Istanbul Biennale bei Lukas Wassmann eine Plakatserie zum Thema "Der gute Nachbar" in Auftrag. Er lieferte Fotos von Menschen, die sich begegnen. Daneben wurden in großen Buchstaben Fragen gedruckt: Ist ein guter Nachbar jemand, der genauso lebt wie du? Ist es jemand, der dich in Ruhe lässt? Die Plakate werden mittlerweile auch in anderen Ländern gezeigt.
Dass die Istanbul Biennale in hierzulande als Feigenblatt gesehen wurde, das von der autoritären Politik des türkischen Präsidenten ablenken sollte, findet Lukas Wassmann falsch. "Das sind keine erdogantreuen Leute, die diese Biennale machen und ich denke, das steht für das Richtige. Weil wenn man das nicht mehr machen würde, dann geht alles unter."
Wassmanns Haltung ist klar, doch er redet nur ungern über Politik. Lieber lässt er seine Fotos sprechen, und die bohren sich durch bewusst gesetzte Widersprüche ins Gedächtnis. Sie sind ruhig und schrill, inszeniert und improvisiert, glatt und rau. Nur eines sind sie nie: langweilig.