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Fotograf Torsten Warmuth
Zwischen Digital und Dunkelkammer

Von Adalbert Siniawski |
    Torsten Warmuth:
    "Das ist eine Technorama, eine sehr besondere Kamera, 6 x 12, die sich bedienen lässt, wie eine Kleinbildkamera, allerdings ist da keine Batterie drin. Alles ist voll manuell. Sie müssen alles von Hand einstellen, ausmessen ..."
    Schwer liegt die Technorama in den Händen von Torsten Warmuth. Optik wie in den 70ern: Schwarzes Gehäuse. Breites Format für Panoramaaufnahmen. Ein roter Auslöseknopf. Rund 4.000 Euro kostet so ein Schätzchen. Sie ist eine von vielen analogen Kameras in dem großzügigen, weiß getünchten Fabrikloft in Berlin-Kreuzberg.
    Durch die Lichtschleuse – eine enge Drehtür aus Holz – gelangt man in einen weiteren Bereich des Ateliers: die Dunkelkammer. Warmuth schaltet die Repro-Beleuchtung ein. Dutzende technische Geräte blitzen in dem Raum auf. Der Geruch von Chemikalien sticht in der Nase. Ein Hauch von Nostalgie liegt in der Luft. Hier entstanden Warmuths Bilder für die Reihe "Silver Painting": mehrfach überlagere Schwarz-Weiß-Aufnahmen von nächtlichen Straßenzügen, verwaschene Silhouetten von Musikern und Tänzern. Das sind keine Momentaufnahmen, eher minutenlange Beobachtungen, facettenreich zusammengesetzt zu einem großformatigen Bild.
    Torsten Warmuth:
    "In der Kunst spielt analoge Technik eine große Rolle, da wir nur mit diesem Medium auch in die großen Formate kommen. Wenn sie sich das Bild hier mal ansehen: Auch jeder Ausschnitt, der nur postkartengroß ist, stellt ein eigenes dar."
    Tagelang arbeitete Warmuth an diesen Unikaten. 100 Prozent analog. 100 Prozent manuell.
    Torsten Warmuth:
    "In der Belichtung haben Sie zum Teil 15, 20 Einzelschritte. Sie können nie ganz genau die Maske an genau dieselbe Stelle halten. Das Wasser hat manchmal nicht ganz genau dieselbe Temperatur. Der Toner wirkt – warum auch immer – mal stärker mal schwächer. Es gibt Farbverschiebungen - die Unikate entstehen fast von selbst. "
    2014 dann die "radikale Geste". "The Silence Beyond" – so nennt der Künstler ein Video, das er im Internet gepostet hat. Darin klemmt er 50 alte analoge Apparate zwischen zwei Stahlplatten und lässt sie von einem LKW überfahren. Die kaputten Kameras hängen nun fein symmetrisch angeordnet als Bilder an der Wand im Atelier.
    Torsten Warmuth:
    "Ganz sicher ist die Aktion eine Provokation ... Ich glaube, jeden, den es berührt, der sagt: "Oh, das kann man doch nicht machen!" Dann hat die Arbeit ihr Ziel erreicht. Und natürlich gibt es eine Wehmut zurück."
    Torsten Warmuth sieht sein Video als Kommentar zum Ende der analogen Fotografie im digitalen Zeitalter. Und als ein Hinweis auf seinen generellen Zweifel am Realitätsgehalt der Fotografie. Der Klang es Auslösers einer Technorama – er ist nur eine ferne Erinnerung. Diese Wehmut attestiert Warmuth auch jeden Tag auf der Straße. Smartphone-Besitzer jagen ihre Handyfotos durch Retro-Filter und geben ihren Schnappschüssen die schicke Optik von verblichenen Polaroids. Und die Hersteller bauen moderne Kameras im Stil der 70er: innen digital, außen analog.
    Torsten Warmuth:
    "Hier geht es ganz klar um Sehnsucht. Hier geht es um Sehnsucht nach einem Zurück, eine Vorstellung von einem Zurück. Aufgrund der Chips und der Kameraelektronik sehen alle Bilder sehr ähnlich, um nicht zu sagen, gleich aus. Es gibt keine wirklichen Unterschiede mehr. Sie hatten früher einen Unterschied, wenn Sie nur zwei verschiedene Filme gekauft hatten, da wusste man, mit dem Agfa sind die Farben soundso und bei Fuji sind sie eher grün-bläulich-knallig. Es gab weiche Filme, es gab Polaroid-Material etc. Also man konnte sich irgendwie unterscheiden. Und daher glaube ich, ist ein Mittel gesucht – und daher diese Filter und Apps, die das erzeugen – "mein Bild sieht anders aus". Heute ist alles, was ist als neu sehen darf, entweder retro oder neu recyceltes Retro in neuen Kombinationen, aber es gibt keinen echten Schritt nach vorne."
    Anders als die Amateure, versucht der Künstler diesen Schritt zu machen. Seinen neuen Werken gibt er den Titel "Elusionistic Art", von Lateinisch "eludere": ausweichen, zurückweichen. Das muss der Betrachter auch tun, um Warmuths aktuelle Arbeiten zu erfassen. Es sind rätselhafte farbige Bilder, die aus vielen Fragmenten zusammengesetzt sind. Verschiedene Zeit- und Erzählebenen verschwimmen in einem Bild. Die Grundlage ist analoges und digitales Material – beides fließt gleichwertig in die Komposition ein. Das ist keine Fotografie mehr. Das ist auch keine Malerei. Sondern etwas Neues.
    Torsten Warmuth:
    "Es hat mich immer beschäftigt: Wie kann man mit fotografischen Mitteln fiktionale Bilder erzeugen? Und das geht mit "Elusionistic Art"."