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Fotografien aus zwei Deutschlands
Unbekannte Aufnahmen aus DDR und BRD

Rudi Meisel, 1949 in Wilhelmshaven geboren, zeigt in Berlin 80 Arbeiten. Fotografisch war Meisel seit den 70er-Jahren privilegiert: Als Reportage-Fotograf für verschiedene westdeutsche Magazine bereiste er regelmäßig die DDR und hatte damit den unmittelbar vergleichenden Blick auf beide Gesellschaften.

Von Carsten Probst |
    Der Fotograf Rudi Meisel zu Besuch im Deutschlandradio Kultur
    Der Fotograf Rudi Meisel zu Besuch im Deutschlandradio Kultur (Deutschlandradio/Maurice Wojach)
    Rudi Meisel auf die Frage, wie man in den Siebzigerjahren als Reisereporter aus Westdeutschland in der DDR arbeitete:
    "Die Geschichte wird vorbereitet wie ein Staatsbesuch. Das ist so, wie wenn ich nach Wolfsburg fahre und will bei VW fotografieren, dann fragen die: Was wollen Sie sehen? Ja, wir bereiten das vor, kommen Sie in vier Wochen. Dann kriegen Sie einen Begleiter, der passt auf, dass Sie nicht in die Maschine fallen und dass sie bestimmte Sachen nicht fotografieren. So muss man sich das vorstellen."
    Der aparte Vergleich von Werksgeheimnissen kapitalistischer Unternehmen mit der Überwachungspraxis in der nominell antikapitalistischen DDR lässt einen noch einmal zurückkehren in die wohlige Reibung zweier Deutschlands während der Hochphase des Kalten Krieges. Rudi Meisel, 1949 in Wilhelmshaven geboren, empfand sie beide als gleich miefig, den Westen dabei nur etwas besser herausgeputzt, wie er sagt.
    Spezielle Ost-West-Zeitzeugenschaft.
    Fotografisch war Meisel seit den Siebzigerjahren privilegiert: Als Reportagefotograf für verschiedene Westdeutsche Magazine bereiste er regelmäßig die DDR und hatte damit den unmittelbar vergleichenden Blick auf beide Gesellschaften. Seine Bilder lieferte er unter anderem an das "Zeit-Magazin", und auch die westdeutschen Redaktionen bescherten ihm eine spezielle Ost-West-Zeitzeugenschaft.
    "Und dann ist noch mal die Redaktion in Hamburg – meistens ehemalige DDR-Bürger, die natürlich da noch mal den Scheiß-Sozialismus ...: Ach, was haben die denn jetzt für den Scheiße ... - Die gucken das noch mal mit 'ner anderen Brille an. Da hatte ich auch meinerseits eine Schere im Kopf. Aber das ist jetzt nichts für Ihre Geschichte. (...) Und dann hab ich die Sachen laufen lassen, weil die Selbstinszenierung war oft so irre, das hätte sich die CDU nicht besser ausdenken können, was mir da präsentiert wurde."
    Markante Sachlichkeit
    Es ist nur konsequent, dass Meisel die achtzig Arbeiten in seiner Ausstellung bei C/O Berlin nicht strikt nach Ost-West-Bezug aufteilt. Beide gehören zusammen. Lange war ihm das selbst nicht aufgefallen, sagt er. Aber für den Betrachter wird durch die manchmal uneindeutige Zuordnung jedes Motiv noch einmal geschärft. Die Frau, die bei einer Militärparade fasziniert die glänzenden Ketten eines Panzers betastet (in West-Berlin); daneben eine Mähmaschine auf einem Feld, die das Heu wie eine Kanone in die Luft schießt (in Ostdeutschland).
    Ein Element der Groteske scheint bei Rudi Meisel immer mitzuspielen, vielleicht, weil einfach die Zeit so war. Seine fein ausbalancierte Verteilung von Grauwerten, von Hell und Dunkelflächen, Schärfen und Unschärfen, von sich überlagernden Bildern sichern seiner Schwarz-Weiß-Fotografie immer auch eine markante Sachlichkeit. Plakativ entlarvende Bilder sind ihm fremd.
    "Grüne Straße in Wernigerode", 1980: Drei ältere Frauen lachen dem Fotografen in die Kamera, kokettieren, als hätte er ihnen gerade einen Witz erzählt. Die in schöner, strenger Staffelung der Gesichter gegliederte Szene ist so einfach und offenkundig unpolitisch, ohne doppelten Boden – aber gerade das muss man vor dem Hintergrund der Geschichte erst einmal hinbekommen. Meisel war aber alles andere als ein Weichzeichner der deutsch-deutschen Realität. Doch die Tristesse von Halle-Neustadt erscheint bei ihm nicht nur trist. Dort leben auch Menschen, die Stadt wird zum Bild, zur Bühne.
    Tristesse auch im Westen
    Und an Tristesse mangelt es auch im Westen nicht, insbesondere in Meisels Bildern aus dem Ruhrgebiet, aus Essen oder Duisburg.
    Als eines seiner Vorbilder nennt Meisel die Straßenfotografie von Robert Frank. Freilich, den äußeren Gegebenheiten in zwei miefigen deutschen Staaten konnte auch Meisels Fotografie nicht ganz entgehen. Wie unterschiedliche Ausstattungen ein- und desselben Bühnenstücks schiebt sich hier ein westliches Reklameschild, dort ein Trabant in den Hintergrund.
    Eigentlich gehe es ihm aber immer um Bilder von Menschen, sagt Meisel. Damit ist er seinen großen Kolleginnen und Kollegen aus der DDR wie Roger Melis, Ute und Werner Mahler oder Gunda Schulze-Eldowy sehr nah.