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Fotografien von Albert Renger-Patzsch
Industrielandschaften der Moderne

Der Fotograf Albert Renger-Patzsch dokumentierte die Landschaften des Ruhrgebiets zwischen Natur und Industrie. Die schaurig-schönen Bilder zeigen Schornsteine neben Baumstämmen und Fördertürme hinter Weizenfeldern. Die sachliche Darstellung war stilbildend.

Von Julian Ignatowitsch |
    Pinakothek der Moderne in München
    Der Fotograf Albert Renger-Patzsch hatte sie zu Lebzeiten geplant, aber nie verwirklichen können. Die Stiftung Ann und Jürgen Wilde zeigt jetzt jene Bilder in Zusammenarbeit mit der Pinakothek der Moderne in München. (imago / Westend61)
    Fast ein knappes Jahrhundert später gibt es diese Ausstellung also doch noch. Der Fotograf Albert Renger-Patzsch hatte sie zu Lebzeiten geplant, aber nie verwirklichen können. Die Stiftung Ann und Jürgen Wilde zeigt jetzt jene Bilder in Zusammenarbeit mit der Pinakothek der Moderne in München – und das macht Kuratorin Simone Förster schon ein bisschen stolz:
    "Wir wissen aus einem Brief, den Renger-Patzsch 1930 an den Kunsthistoriker Franz Roh geschrieben hat, dass er an einem größeren Projekt für eine Ausstellung und eine Buchpublikation arbeitete. Wir haben jetzt dieses Anliegen sozusagen rückwirkend wahrgemacht, indem diese Serie hier weitumfänglich gezeigt wird."
    Industrielandschaften aus dem Ruhrgebiet. Der regionale Zusatz kam erst nachträglich dazu, denn Renger-Patzsch hatte die Serie eigentlich deutschlandweit angelegt, vollendete sie aber nicht.
    "Eine Arbeit über die Industrielandschaft an sich. Weniger die Dokumentation einer spezifischen Region, sondern dieser von Menschenhand veränderten Landschaft."
    Eine Landschaft der Moderne: Die Industrie wächst in die Natur hinein, verschmilzt mit ihr und drängt sie teilweise gar an den Rand. Die Gegensätze so offensichtlich – und doch manchmal eins. Es sind schaurig-schöne, trist-tanzende Bilder, die Renger-Patzsch hier komponiert hat: Da ragen lange Schornsteine neben kräftigen Baumstämmen empor, hinter einem Weizenfeld streckt sich ein Förderturm in den Himmel und ein weites, leeres Feld wird von einfachen Bergarbeiterhäusern eingerahmt.
    Renger-Patzschs Bildsprache ist dabei nie zufällig, sondern immer genau arrangiert:
    "Er arbeitet mit Vertikalen, mit Horizontalen, mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten, mit Diagonalen, mit Schichtungen, die übereinander liegen, also zum Beispiel ein Zaun, der im Vordergrund steht und dem Bild eine rasterartige Ansicht gibt. Es sind stark komponierte Bilder und da eigenen sich natürlich markanten Strukturen wie diese Eisen- und Stahlkonstruktionen sehr."
    Renger-Patzschs Bildsprache immer genau arrangiert
    In vielen Bildern übernimmt eine Straßenlaterne im Vordergrund die ordnende Funktion – und im Hintergrund rauchen stets die langen, hohen Schlote, die die Bilder immer wieder in eine surreale Rauchwolke, in industriellen Nebel einhüllen.
    Anders als Fotografen wie Heinrich Hauser oder Erich Grisar in dieser Zeit verfolgt Renger-Patzsch mit seinen Bildern aber kein soziales Engagement oder ökonomische Kritik. Menschen respektive Arbeiter fehlen bei ihm oder tauchen nur als kleine, verwischte Randfiguren auf. Renger-Patzsch dokumentierte, kritisieren und belehren wollte er nicht:
    "Für Renger-Patzsch war es sehr wichtig, sich als Person und Fotograf absolut zurückzunehmen. Er schreibt auch immer wieder darüber, dass es ihm nicht darum geht, einen persönlichen Bildstil zu präsentieren, sondern darum, das Wesen eines Objektes zu zeigen und sich als Person so weit wie möglich im Hintergrund zu halten."
    Das Objekt im Mittelpunkt
    Insofern bleibt der Fotograf auch bei seinen Landschaftsbildern einem Prinzip treu, das er in der Sach- und Werbefotografie früh gelernt und angewandt hat. Die Ruhrgebietslandschaften gehören ohnehin zu den wenigen Bildern, die Renger-Patzsch ganz ohne Auftrag anfertigte und in größerem Format abziehen ließ, eben als eine freie Arbeit. Generell sah er sich nicht als Künstler, war vielmehr ein Gegner der sogenannten "Kunstfotografie".
    Seine bekanntesten Fotografien aus dem Bildband "Die Welt ist schön" zeigen Kaffeebohnen, Knöpfe oder Küchengläser. Klar und einfach – das Objekt im Mittelpunkt. Gerade damit wurde Renger-Patzsch als Vertreter der Neuen Sachlichkeit zu einem Mitbegründer der modernen Fotografie.
    Und seine Industrielandschaften beeinflussten später zeitgenössische Kunstfotografen wie Bernd und Hilla Becher, die mit ihrer akribischen Dokumentation und der Typologisierung solcher Bauten weltberühmt wurden.
    Der Blick – nüchtern, objektiv, formstreng – ist heute so aktuell wie damals. Albert Renger-Patzsch hat mit seinen Bildern ein Stück deutsche Land- und Kulturgeschichte festgehalten.
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