Das Wetter in Tel Aviv ist in diesen Dezember-Tagen immer wieder windig und regnerisch, grau und bedeckt – und zumindest die Gräue passt wunderbar zu den Arbeiten des Hiroshi Sugimoto. Die großformatigen Meerbilder des japanischen Fotografen meiden allerdings die bewegte See. Sie sind ruhige, minimalistische, meditative Exerzitien, in denen man halluzinierend versinken kann wie in einem der Licht-Räume von James Turrell. Aber es sind ja nur Fotos, zweidimensional, schwarzweiß – die mit allen Nuancen des nächtlich Dunklen, Düsteren, ambivalent Schattigen, dann wieder schimmernd Tageshellen der Meeresoberfläche spielen. Wer die verschiedenen Varianten dieser See-Bilder sieht, vom scharfkantigem Horizont des pazifischen Ozeans zum milchigen Nichts des Tyrrhenischen Meers, von geschichteten Kontrasten zu wattigen Übergängen, der denkt sofort an die monochromen, ineinander verschwimmenden Farbfelder des späten Mark Rothko, also mehr an Malerei als an Fotografie.
Neu-Interpretation des White Cube
Für diese fast heilig anmutenden Bilder gilt es eine Präsentationsform zu finden. Und das "Tel Aviv Museum of Art" hat dafür die richtige Umgebung: Sugimotos Bilder sind auf elliptisch geschwungenen, hohen weißen Stellwänden zu sehen – in der kathedralenhohen, tief in die Erde gebohrten dreieckige Halle des von Preston Scott Cohen gebauten neuen Museumsflügels. Man fährt auf ewig langen Rolltreppen in diesen kirchenähnlichen Raum (mit Café!) hinunter und steht dann in dieser Neu-Interpretation des White Cube. Und das passt bei Sugimotos Meer-Bildern sehr gut, weil auch die Fassaden dieses Museumsgebäudes etwas Schiffsartiges haben.
Sublime Augentäuschungen
Auf der Außenseite der kurvigen weißen Wände dann das Kontrastprogramm zu Sugimotos Abstraktions-Übungen: die "Dioramen", eine vom Künstler seit 1976 minutiös inszenierte Serie naturkundlicher Szenen aus dem "American Museum of Natural History" in New York. Was auf den ersten Blick wirkt wie der pure Kitsch, eine Abart der röhrenden Hirsche in deutschen Wohnzimmern, erweist sich bei näherer Betrachtung als sublime Augentäuschung. All die Eisbären, aufrecht gehenden Affen und im Gegenlicht lauernden Geier, Gamsböcke, Kondore und Alaska-Wölfe sind vor den schwülstigen Landschafts-Panoramen zu quasi-sozialen, wenig glaubwürdigen Szenen arrangiert. Ist das Ironie? Oder doch konzeptuelle Gefälligkeitskunst?
Leicht bizarre bleiche Realistik
Sugimotos Portraits dagegen, Figuren aus Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett, entfalten eine bleiche Realistik. Sieht man die berühmten Modellfiguren bei Madame Tussauds in natura, so wirken sie wächsern und tot. Sieht man sie in Sugimotos Fotos, so sind sie zwar unwirklich, aber von dokumentarischer Präzision. Am schwächsten ist Sugimotos Architekturfotografie, die Gebäude nur schemenhaft als Bau-Körper aufruft. Die ebenfalls schon in den 1970er-Jahren begonnene Serie gänzlich leerer Lichtspielhäuser, Theater, Drive-In-Kinos dagegen schließt an Sugimotos Bilder von Meeren und großen Wassern an: Diese Kunst-Tempel sind die wahren Zentren der Meditation, jeweils zeittypisch ornamentiert, aber mit der Bühne oder der Leinwand als Projektionsfläche.
Prophet und Zen-Meister
Sugimoto benutzt sehr lange Belichtungszeiten, um vor allem die Seelandschaften zu abstrakten fotografischen Gemälden zu formen. Vor sechs Jahren präsentierte das Münchner "Museum Brandhorst" diese Bilder hochkant und in völlig abgedunkelten Räumen, eine schwarze Messe. Jetzt, in der Bauhaus-Stadt Tel Aviv, ist das Ausstellungs-Design licht, weiß und klar, und Sugimotos See-Bilder wirken wie Altäre des Ungegenständlichen, Schau-Tafeln der Abstraktion. Inmitten der oft aufgeregten israelischen Kunstszene, mitten im Nahost-Konflikt ist da nun ein Ruhepol.