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Fotoprojekt über Syrien
"Wir vergessen immer, dass das Leben existiert"

Fröhliche Studenten in einer Bar, Freundinnen auf einer Party, ein lachendes Baby: Diese Bilder verbinden wir kaum mit Syrien. Doch auch in dem vom Krieg gebeutelten Land gehe das Leben weiter, sagte die Syrerin Dona Abboud im DLF. Für ihre Uni-Abschlussarbeit sammelte sie Alltags-Bilder in Facebook.

Dona Abboud im Gespräch mit Fabian Elsässer |
    Ein auf Kerzen spezialisiertes Geschäft im Gewürzsouq Buzuriyye in der Altstadt von Damaskus, aufgenommen am 15. 07.2001.
    In Damaskus gibt es einen Alltag - trotz des Krieges. (dpa / picture-alliance / Matthias Tödt )
    Fabian Elsässer: Das Problem an Nachrichten ist, dass sie andere wichtige Nachrichten in den Hintergrund drängen. Im Augenblick spricht ja die ganze Welt von dem Einreiseverbot, das der neue US-Präsident mal eben für Flüchtlinge und für große Teile der muslimischen Welt verhängt hat. Wie katastrophal die Lage in vielen Herkunftsländern dieser Flüchtlinge ist, gerät da kurzfristig in Vergessenheit.
    Erst heute zum Beispiel meldete sich Martin Bröckelmann-Simon zu Wort, der Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor, um auf die Situation in Syrien hinzuweisen. So sei beispielsweise die durchschnittliche Lebenserwartung im Land seit Beginn des Bürgerkriegs um 20 Jahre gesunken, und die Hälfte aller Kinder erhalte keinen Schulunterricht mehr. Es herrsche unendliches Leid – für Christen und Muslime gleichermaßen.
    Dona Abboud stammt aus Damaskus und hat an der Hochschule in Leipzig Grafik studiert. Für ihre Abschlussarbeit "Out of Syria, inside Facebook" hat sie Fotografien gesammelt, die Syrer auf Facebook gepostet haben. Elf Menschen ist sie dafür gefolgt, und sie ermöglicht uns damit einen ganz vielschichtigen Blick auf den Alltag im vom Krieg erschütterten Syrien. Da sind Fotos von schwer bewaffneten Männern zu sehen, mit Vollbart, aber auch Fotos von Babys, von Partys, von fröhlichen jungen Frauen, die auf Fahrrädern sitzen und auf einen Hafen schauen – Bilder, die zeigen: Trotz des Kriegs geht das Leben weiter. Jetzt ist uns Dona Abboud aus Leipzig zugeschaltet. Guten Tag!
    Dona Abboud: Hallo und guten Tag!
    Elsässer: Frau Abboud, Sie waren gerade 40 Tage lang in Damaskus, wie viel normales Leben haben Sie da erlebt?
    Abboud: Es ist erstaunlich, wie normal das Leben dort aussieht. Eigentlich habe ich nur normales Leben gehabt, zwischen ein bisschen Aktionen, ein bisschen Abenteuer, aber das Leben geht weiter. Und das ist immer meine These, das ist immer meine Theorie: Das Leben geht weiter! Wir müssen weiterleben. Da gibt es Kinder, die neu geboren sind, da gibt es Leute, die heiraten, Leute, die essen und trinken und schlafen müssen – das existiert. Wir vergessen immer, dass das Leben so existiert, und wir sehen nur das Schlimmste oder die schlimmste Seite von dem Leben.
    "Warum vergessen wir, dass das Leben auch existiert?"
    Elsässer: Gut, ich meine, in manchen Städten wie Homs oder Aleppo wird es ja wirklich kaum noch möglich sein, aber in Damaskus, wenn Sie sagen, ach, Abenteuer, gibt es da noch so was wie ein Nachtleben, also werden da auch noch Clubs oder Restaurants überhaupt geöffnet?
    Abboud: In Damaskus zum Beispiel war ich auch total überrascht, wie viele neue Bars und Restaurants in der Altstadt von Damaskus geöffnet sind. Ja, in manchen Teilen der Stadt, auch innerhalb von Damaskus, also auch in Damaskus oder um Damaskus herum gab es immer Leute, die gekämpft haben, also Kämpfe dort, auch genauso wie in Aleppo oder wie in Homs.
    Die Syrerin Dona Abboud sammelte für ihre Abschlussarbeit "Out of Syria, inside Facebook" Fotografien, die Syrer auf Facebook gepostet haben. 
    Die Syrerin Dona Abboud (Dona Abboud)
    Aber innerhalb von Aleppo, was wir zum Beispiel sehen … Wir sehen nur eine Seite, und zwar diese östliche Seite von Aleppo. Auf der westlichen Seite hat Aleppo auch gelebt und hat es auch Party gegeben und haben sie auch Kinder gekriegt und geheiratet und gefeiert, all das. Ich hab zwei-, dreimal Raketen erlebt, aber auch gleichzeitig am Abend war ich mit Freunden was trinken in einer Bar, habe Musik gehört oder ich war in einem Theater oder bin ins Kino gegangen. Warum vergessen wir, dass das Leben auch existiert?
    Elsässer: Und das zeigen Sie ja auch in Ihrem Buch. Warum haben Sie eigentlich Facebook als Quelle genutzt, wie wichtig ist dieses soziale Netzwerk für Syrer?
    Abboud: Ich persönlich, ich bin ein bisschen kritisch, was Facebook angeht, was dieses ganze Social Media angeht. Ich hatte Facebook schon seit 2007, glaube ich, und dann plötzlich oder langsam merkte ich, dass die Leute von vielen Sachen auf Facebook wussten – viele Nachrichten, viele Bilder von sich. Diese Revolution von Medien ist irgendwie auf einmal so groß geworden, und Leute posten Sachen von überall auf der Welt.
    "Die Leute reagieren ähnlich auf bestimmte Situationen"
    Elsässer: Also kann man sagen, Facebook ist im Grunde Ihre Verbindung oder auch für ganz viele die Verbindung nach Syrien, in die Heimat?
    Abboud: Natürlich, in dem Moment war das so, also ich glaube, in dem Moment schon. Es war meine Verbindung, es war eigentlich meine einzige Verbindung, außer natürlich skypen und telefonieren. Aber um Bilder, um richtige Bilder von Leuten zu sehen, war Facebook … Ich habe angefangen, einfach logisch zu denken: Was haben die Leute gepostet, warum posten sie solche Sachen, warum gibt es in bestimmten Momenten, wo zum Beispiel der Terroranschlag in Damaskus war oder der erste Terroranschlag in 2011, also an Weihnachten 2011 gab es einen großen Terroranschlag in Damaskus, und alle Leute haben Bilder gepostet von dem Ort ihrer Erinnerung, dem Ort, wo sie irgendwann vielleicht mal waren, und Kindheitsbilder und so was.
    Und dann denke ich mir, ja, die Menschen denken irgendwie fast ähnlich, also die reagieren auch ähnlich auf bestimmte Situationen. Seit 2011 bis Anfang 2016 habe ich mich nur mit diesen Bildern und diesen Nachrichten beschäftigt, also was die Leute machen und wie die reagieren.
    Elsässer: Eine Frage, die mir da irgendwie sich aufdrängt, weil Sie ja auch, glaube ich, Optimismus ein bisschen verbreiten wollen oder zumindest nicht nur die negativen Dinge zeigen, sondern alle Aspekte: Welches dieser vielen, vielen Fotos, die sich da so in Ihrem schön gestalteten Fotoband finden, zeigt für Sie am meisten eine hoffnungsvolle Normalität?
    Abboud: Ich habe eine Freundin, also eine von den Leuten, die auf Facebook ist, und sie hat ein Graffiti auf einer Wand fotografiert, und da steht drauf: "Morgen scheint die Sonne und ich liebe den Morgen sehr."
    Elsässer: Wie viele von den Menschen, deren Fotoalbum Sie für das Buch geöffnet haben, kennen Sie eigentlich persönlich?
    Abboud: Ich glaube, mit den meisten habe ich Kontakt gehabt, außer einem von den Bewaffneten. Mit einem anderen habe ich einmal geredet, also geskypt, als ich 2014 in Syrien war. Andere habe ich später getroffen, also während dieser Kriegszeit, während der sechs Jahre habe ich einfach die Leute getroffen, kennengelernt und einfach manchmal geschrieben und gefragt, warum, was gibt's und so, also Berichte von den Leuten gehört. Ja, ich glaube, mit den Meisten. Eine von denen ist meine Cousine.
    Elsässer: "Out of Syria, inside Facebook" heißt ein spannend gestalteter Fotoband von der Grafikerin Dona Abboud, ihre Abschlussarbeit in Leipzig. Das Buch ist erschienen im Institut für Buchkunst Leipzig, und wir haben mit Dona Abboud über ihre Arbeit gesprochen. Herzlichen Dank für das Gespräch!'
    Abboud: Ja, danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.