Rainer Berthold Schossig: Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe besitzt eine bedeutende Sammlung historischer Daguerreotypien - aus Hamburg, aber auch aus aller Welt. Zu den Spitzenbildern zählt eine Aufnahme mit Blick auf die kleine Alster, die unmittelbar nach dem großen Brand von 1842 entstand - die weltweit erste fotografische Aufnahme einer Katastrophe übrigens. Zur frühen Bildgeschichte Hamburgs zählen auch Einzelporträts, Familienbilder, Aufnahmen von Mitgliedern einzelner Berufsgruppen und natürlich Stadtlandschaften. Jetzt können Hunderte von Daguerreotypien aus den Hamburger Magazinen endlich restauriert werden, dank der Unterstützung der Initiative[*] "Kunst auf Lager". Ich habe mit der Kuratorin der Fotosammlung am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, Esther Ruelfs, gesprochen und sie gefragt: Die Daguerreotypie ist ja das erste relevante Fotografieverfahren überhaupt. Zunächst also die Frage: Was ist das für eine Technik oder war das für eine Technik im Unterschied zur klassischen Schwarz-Weiß-Fotografie?
Esther Ruelfs: Die Daguerreotypie ist eine versilberte polierte Kupferplatte eigentlich, die mit Joddämpfen ausgesetzt wird und dadurch lichtempfindlich gemacht wird. Durch diese Lichtempfindlichkeit zeichnet sich das Bild dann wie so eine Art Camera-Obscura-Feld auf der Platte ab. Das Wichtige ist, dass es ein Unikat ist. Es ist ein elitäres Medium gewesen, also es gab noch keine Möglichkeit, das zu vervielfältigen. Deswegen war es natürlich auch ein teures Verfahren. Am Anfang waren das auch tatsächliche Silberplatten. Später wurden die dann durch Kupferplatten, die versilbert wurden, ersetzt, weil das natürlich als Silberplatte noch mal kostspieliger war.
Schossig: Ihr Haus ist ja bekannt für die bedeutende August-Sander-Sammlung, Fotos, aber darüber hinaus sind Sie in der fotografischen Abteilung viel breiter aufgestellt. Wie groß ist denn Ihre Daguerreotypien-Sammlung?
Ruelfs: Es sind 650 Stück und das Besondere an der Sammlung ist, dass sie schon um 1900 gegründet wurde. Das ist insofern außergewöhnlich, als dass man ja um 1900 eigentlich erst anfing, sich für die Fotografie als Kunst zu interessieren. Die Daguerreotypien, die sind dann ja um 1900 auch schon 40 Jahre alt.
Von Glaskrankheit befallen
Schossig: Es heißt, diese Daguerreotypien in Ihrem Hause leiden unter einer Schädigung, die man Glaskrankheit nennt. Nun weiß ich, dass diese Daguerreotypien - Sie haben es erzählt - auf Silber, Kupfer, wohl auch auf Glas dann aufgetragen wurden, aber ich wusste nicht, dass das Glas erkranken kann.
Ruelfs: Die Kupferplatte wird geschützt durch eine Glasplatte. Man versucht, das luftdicht abzuschließen. Nur dadurch kann das Bild erhalten bleiben. Dieses Glas, das altert eben, und die Glaskrankheit ist etwas, wo sich so kleine Tröpfchen bilden auf der Innenseite von dem Glas, die quasi die Kupferplatte dann beschädigen.
Schossig: Was ist da zu tun, Frau Ruelfs? Das klingt so, als ob Sie dazu eigentlich mehr einen Chemiker als Restauratoren bräuchten.
Ruelfs: Ja. Es gibt verschiedene Restauratoren, die da mitarbeiten: Die Kupferplatte, das Glas, dann geht es um die Verklebung des Objekts, um das wieder luftdicht abzuschließen, und man tauscht diese Glasplatten, diese beschädigten Glasplatten aus gegen neues Glas und muss dieses Objekt dann wieder luftdicht verschließen.
Schossig: Die Erfindung des Franzosen Louis Mandé Daguerre, solche lebensechte Bilder herstellen zu können, das war ja damals wie die Erfindung der Eisenbahn fast. Das löste ungeheure Begeisterung aus. Und Hamburg, dazu noch mal, speziell zu Ihrer Stadt, Hamburg gehörte zu den Zentren der Daguerreotypie.
Ruelfs: Ja. Es gab zwei wichtige Fotografen in Hamburg, Biow und Stelzner, und die haben relativ früh schon ein Atelier gegründet. Das war damals am Jungfernstieg. Das war etwas, was sich vielleicht auch nur in großen Städten erst mal durchsetzen konnte. Es gab ganz viele Wander-Daguerreotypisten, die auf der Suche nach finanzkräftigen Kunden durchs Land zogen und dann zum Teil auch weite Wege zurücklegten. Wir haben beispielsweise in der Sammlung auch Daguerreotypien, die in St. Petersburg gemacht wurden. Und diese Vollzeit-Fotografen, so ein Atelier wie das von Stelzner, das war dann auch nur in einer großen Stadt möglich, weil da genügend finanzkräftige Kunden waren, die sich das leisten konnten.
Kommerzialisierung durch Gummidrucke
Schossig: Verwandt der Daguerreotypie sind ja die sogenannten Gummidrucke, auch von dieser Bildgattung haben Sie interessante Exemplare im Hause. Auch die bedürfen restauratorischer Pflege. Worum geht es dabei?
Ruelfs: Es sind natürlich auch Fotografien, aber das ist schon eine sehr andere Technik. Die Daguerreotypien werden ja ab der Erfindung, ab 1839 bis in die 50er-Jahre stellt man Daguerreotypien her, und dann kommen eigentlich sehr viel günstigere Verfahren, die auch reproduzierbar sind, wo man ein Negativ hat und von diesem Negativ ganz viele Abzüge machen kann. Der Gummidruck, der entwickelt sich eigentlich so ein bisschen wieder in Reaktion auf dieses Massenprodukt der Fotografie, was dann um 1900 schon Gang und Gebe ist. Es wird irgendwie der Fotografie dann auch um 1900 schon vorgeworfen, sie ist völlig kommerzialisiert, und mit Kommerzialisierung meint man im Grunde genommen schon nicht mehr künstlerisch wertvoll. Um 1900 setzt dann die sogenannte Bewegung der Kunstfotografie ein, die dann wieder auf dieses Handwerkliche zurückkommt und der Fotografie wieder eine künstlerische Handschrift geben will und bestimmte Verfahren erfindet, die eigentlich ganz deutlich dem eine Handschrift geben. Wenn Sie so einen Gummidruck anschauen würden, dann würden Sie auf den ersten Blick vielleicht gar nicht sehen, dass das eine Fotografie ist. Die erinnert sehr an Malerei. Da werden Pigmente aufgetragen, da wird zum Teil mit einem Pinsel über dieses reproduzierte Bild drübergearbeitet.
Schossig: Sie haben sogenannte Gummidrucke auch im Hause und die müssen jetzt auch restauriert werden. Was tun Sie da?
Ruelfs: Wir haben einen großen Bestand von Gummidrucken, die um 1915 ins Museum gekommen sind aus der Sammlung Juhl, und das Besondere an diesen Gummidrucken ist, dass sie original gerahmt sind. Im Grunde genommen genauso, wie Sie heute, wenn Sie sich die Becher-Schule anschauen und einen Gursky haben, der einen fetten Eichenrahmen drumherum hat, ist man um 1900 auch losgezogen und hat gedacht, ja, das Einfachste, um zu zeigen, dass es Kunst ist, ist, wir machen jetzt hier erst mal einen riesigen Rahmen drum. Die sind zum Teil sehr kostbar gefertigt, sehr aufwendig, und bei den Gummidrucken, die wir restaurieren, geht es erst mal vor allen Dingen um die Rahmen, 30 Objekte ungefähr, und dann gibt es einzelne Gummidrucke, wo sich die Pigmente lösen und wo tatsächlich auch an der Fotografie etwas gemacht werden muss.
75.000 Fotografien in der Sammlung
Schossig: Dabei hilft Ihnen die Wüstenrot Stiftung, wie ich gelesen habe. Nun noch ein Blick zur dritten Aktivität, bei der Ihnen die Hermann Reemtsma Stiftung unter die Arme greift bei "Kunst auf Lager". Da bezieht sich das auf das Lager selbst. Sie stoßen jetzt an die Kapazitätsgrenzen Ihrer Depots.
Ruelfs: Das sind 75.000 Fotografien, die wir haben, und es geht bei dieser Depot-Umlagerung darum, sowohl mehr Platz zu gewinnen, aber auch bessere Bedingungen, wie die Objekte gelagert werden: ein klimatisiertes Depot zu schaffen, wo man tatsächlich auch diese Konvolute, die jetzt sehr, sehr kompakt und in im Grunde genommen überfüllten Schubladen zusammengedrängt liegen, entzerren kann, die in Materialien unterzubringen, die den heutigen restauratorischen Standards entsprechen, und eine Bedingung zu schaffen, nämlich eine Klimatisierung des Depots, die heute eigentlich Standard sein sollte.
Schossig: Zum Schluss noch eine persönliche Frage, Frau Ruelfs. Jedes Museum hat ja etwas Geheimnisvolles, irgendwo ist noch ein Schatzhaus wie einst, in dessen Bauch sich ja vielleicht auch noch mal was Neues, Unentdecktes finden kann. Gehen Sie gern auf Entdeckungsreisen im Bauch Ihres Hauses?
Ruelfs: Ich bin jetzt schon gespannt. Wenn wir das Depot umlagern, denke ich, dann werden wir sicherlich Sachen finden, von denen wir jetzt noch nichts wissen.
Schossig: Auch Fotokunst ist schön, macht aber auch viel Arbeit. Das waren Auskünfte der Hamburger Fotokuratorin Esther Ruelfs. Im Namen einer Initiative mit Namen "Kunst auf Lager" kümmert sich derzeit dort die Kulturstiftung der Länder[*] um gefährdete Daguerreotypien, die Wüstenrot Stiftung um beschädigte Gummidrucke und die Hermann Reemtsma Stiftung um die Sanierung der Depots dort im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
[*] Anm. d. Red.: Irrtümlich war an dieser Stelle die Bundeskulturstiftung genannt.