Für viele war sie nur die First Lady einer Poplegende, aber Linda McCartney hatte schon Jahre zuvor eine Karriere als Fotografin und Zeitzeugin der Popgeschichte gemacht.
Für die Kuratorin der Ausstellung "Fotografin unter Musikern: Linda McCartney - The Sixties and more", Ulrike Vogt, ist sie "eine der wichtigsten Musikfotografen in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts".
Natürlich ist Paul auch in dieser Ausstellung allgegenwärtig. Nicht nur auf dem Plakat, auf dem er bärtig im weißen T-Shirt, direkt in die Kamera blickend ein Glas Milch mit zwei Strohalmen gleichzeitig trinkt.
Legendäre Partys - legendäre Fotos
Doch eigentlich begann Linda Eastmanns Karriere mit den Beatles-Konkurrenten, den Rolling Stones.
"Es gibt ja diese berühmten Zufallsgeschichten, wo sie eben als einzige Fotografin die Rolling Stones fotografieren konnte und ganz nah auch und in ganz persönlicher und entspannter Stimmung sozusagen", erzählt Ausstellungskuratorin Christine Vogt.
Nach der Pressekonferenz zur "Aftermath"-LP feierten die Stones eine legendäre Party auf einer Luxusjacht im Hudson River - alle angefragten Hotels hatten Verwüstungen befürchtet. Linda war es gelungen, sich da reinzuschmuggeln. Ihre Aufnahmen gehören bis heute zu den besten Stones-Bildern aus dieser Zeit, da sie völlig entspannt, lässig, wie im Nebenbei fotografiert wurden - Linda McCartneys Markenzeichen und der Beginn ihrer Karriere.
Die erste Frau, die ein "Rolling Stone"-Titelfoto schoss
"Sie war natürlich auch in dem Alter der Musiker und Musikerinnen, die zu der Zeit eben hochkommen. Und ansonsten war tatsächlich dieser ganze Bereich von Männern, die eben älter waren, dominiert im Bereich der Fotografie."
Linda hatte den Vorteil, plötzlich einfach dazuzugehören, war kein Fremdkörper, Teil der Sixties-Popgeschichte. Sie wurde schnell die einzige, bedeutende Fotografin, die den Stars der Zeit so nah kam, weil sie bereits mit ihnen herumhing, als sie noch keine Popgötter waren. Die New Yorkerin Linda Eastman hatte sie alle: von Jimi Hendrix bis zu Janis Joplin, den Yardbirds und Traffic, Aretha Franklin, Jim Morrison, The Who und Bob Dylan. Mit ihrem Portrait von Eric Clapton war sie sogar die erste Frau, die ein Titelfoto des Musikmagazins "Rolling Stone" schoss.
"Die große Qualität ihrer Bilder ist, dass man das Gefühl hat, den großen Stars sehr nahe zu kommen. Es ist die große Natürlichkeit, die das Besondere ist."
"Die vier Fremden"
Denn Linda hatte ein Gespür für den richtigen Moment.
"Das ist sicherlich eine ihrer ganz ganz großen Stärken, und eben dieses Verschwinden hinter der Kamera."
Zum Beispiel John Lennon und Paul McCartney: beide lächelnd versunken in die Überarbeitung ihrer Lyrics während der Aufnahmen zum letzten, gemeinsam produzierten Beatles-Album "Abbey Road". Oder wie alle vier nebeneinander vor dem Studio auf der Treppe sitzen und auf das Shooting des legendären Zebrastreifen-Coverfotos von Iain MacMillan warten, sich aber nichts mehr zu sagen haben:
"Also Linda selber hat es ja als ‘Die vier Fremden’ tituliert. Also man sieht da schon, dass das auseinandergeht."
Lebendige Zeitdokumente
Jimi Hendrix einmal gähnend, einmal live auf der Bühne fotografiert, den Arm ekstatisch, fast parallel zum Gitarrenhals ausgestreckt, was dem Bild eine ungemein ausdruckstarke und dynamische Note gibt. Ein übervoll dekoriertes Zimmer mit einem düster dreinblickenden Frank Zappa ganz rechts unten in der Bildecke. Brian Wilson, kreativer Kopf der Beach Boys mit weit offenem Mund. Oder Janis Joplin mit Mikrophon, die Augen geschlossen und versunken in ihren orgiastischen Gesang.
Linda Eastmans oft sehr persönliche Aufnahmen der Pop- und Rock-Heroen der Sixties sind lebendige Zeitdokumente, die gern auch für Plattencover genutzt wurden, wie die Ausstellung in einer eigenen Abteilung dokumentiert. Schnappschüsse im besten künstlerischen Sinne. Momentaufnahmen einer musikalischen Ära, die durch ihren spontanen Bildaufbau wirken, oft in Bewegung, ohne Rücksicht auf etwaige Unschärfen.
"Sie macht eben keine Sessions in dem Sinne, dass man sagt, es gibt große Atelier-Geschichten, um dann da irgendwie Fotos zu schaffen, sondern es ist die große Natürlichkeit, die das Besondere ist."
Doch nach der Heirat mit Paul 1969 war es mit der Fotografinnen-Karriere schnell vorbei. Denn Aufträge bekam Linda McCartney nun keine mehr. Doch sie fotografierte weiter: private Familienbilder, oft als Polaroids, aber auch sogenannte "Roadworks", Fotografien aus dem Auto heraus: kleine alltagsdramatische Miniaturen, Menschen auf der Straße, skurrile Begegnungen.
"Auch sehr humorvolle Aufnahmen."
Ihr letztes Selbstportrait
Und fototechnische Experimente, mit Doppelbelichtungen, Unschärfen oder den sogenannten "Sunprints", die bisweilen wie Gemälde wirken und auch in der Ausstellung gezeigt werden - und die ist uneingeschränkt zu empfehlen.
Nur eine Aufnahme ist nicht zu sehen: ihr letztes Selbstportrait. Das machte die 1998 an Brustkrebs verstorbene Linda McCartney im Atelier des Malers Francis Bacon. Sie hatte sich selbst in einem zerbrochen Spiegel fotografiert.
Die Ausstellung "Fotografin unter Musikern Linda McCartney – The Sixties and more" läuft noch bis zum 3. Mai 2020 in der Ludwigsgalerie im Schloss Oberhausen.