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Fotos wie Gemälde

Die Wiener Albertina widmet einem wenig bekannten Fotopionier um 1900 eine Ausstellung. Es ist Heinrich Kühn, der durch ungewöhnliche technische Verfahren so etwas wie impressionistische Fotografie machte.

Von Christian Gampert |
    Dass man mit der Fotografie auch malen kann, das hat um 1900 die einen erzürnt und die anderen begeistert. Die einen, die Modernisten, wollten die gestochene Schärfe des neuen Mediums auch für eine neue, sachliche Bildsprache nutzen; die anderen, die Romantiker und Piktorialisten, entgegneten (zusammen etwa mit dem Physiologen Hermann von Helmholtz), wieso, das menschliche Auge sehe in Wahrheit doch etwas ganz anderes als die Kamera - und fühlten sich frei, die Abzüge nach ihren Seh-Bedürfnissen zu manipulieren. Das ähnelt dann oft mehr einer Kohlezeichnung oder Radierung.

    Einer der Pioniere dieser Schule war der 1866 in Dresden geborene Heinrich Kühn, und welche Bedeutung er hat, wird schon daran klar, dass die große Albertina ihm jetzt einen ganzen, sorgsam abgedunkelten Flügel freigeräumt hat. Kühn produzierte im Fin de Siècle impressionistisch hingehauchte Portraits und Landschaften - nicht etwa, wie sonst üblich, durch Schwärzung der dem Licht ausgesetzten Silbersalze auf Papier, sondern, so erklärt es uns die Kuratorin Monika Faber, durch den sogenannten Gummi-Druck - durch die Verwendung von Pigmenten, die, um Durchlässigkeits- oder Dichtigkeits-Effekte zu erzielen, in unterschiedlicher Konzentration auf die Oberfläche von Zeichenkartons aufgetragen und dann belichtet werden. Das Bild bekommt so eine ganz andere Materialität, aber auch eine träumerische Unschärfe.

    Monika Faber: "Hier ist es so, daß eine Mischung aus Gummi-Arabicum, deshalb heißt es Gummidruck, lichtempfindlichen Chromatsalzen und Pigmenten nach freier Wahl des Künstlers zusammengemischt werden, auf das Bild aufgetragen werden - dann kommt das Negativ, wird belichtet, und wenn man das dann abwascht, bleibt das Pigment nur dort, wo es durch das Negativ belichtet worden ist. Und deshalb schaut’s aus gleichzeitig wie eine Fotografie und wie eine Druckgraphik."

    Solch aufwendige Verfahren waren das Privileg reicher Bürger - im "Wiener Camera-Club", dem der Industrielle Kühn angehörte, waren nur Millionäre zugelassen. Aber es war eine ungeheure Arbeit: aus kleinen Formaten mußten sehr große Negative hergestellt werden, die im Verhältnis eins zu eins zum Karton belichtet wurden. Nur so konnte man mit den großformatig malenden Wiener Sezessionisten gemeinsam ausstellen. Und obwohl es die Farbfotografie noch gar nicht gab, konnte Kühn bereits rote, grüne und blaue Bilder machen.

    Monika Faber: "Pigment heißt ja: Farbpulver. Das mischen mit Gummiarabicum und den Chromatsalzen, und dann können Sie ein Foto in jeder Farbe machen, aber auch ein mehrfarbiges Foto …"

    1906 zeigte der damals führende Fotograf Alfred Stieglitz Kühns Bilder in New York; Kühn wiederum guckte sich von Stieglitz Kompositions-Techniken, Hell-Dunkel-Wirkungen und das sorgsam geplante Figuren-Arrangement ab, das er fortan vor allem mit seiner eigenen Familie durchprobierte. Die Aktfotos, die Kühn von seinem Kindermädchen, seiner späteren Frau Mary Warner fertigte, atmen noch etwas bürgerlich Verruchtes; die Porträts seiner Kinder und die Landschafts-Idyllen aber weisen zurück in ein biedermeierliches Familienparadies, das die Umbrüche vor dem Ersten Weltkrieg mit naiver, geldgepolsterter Weltabgewandtheit beantwortete.

    Kühns zarte Hügel-Landschaften, in denen seine Figuren in den Zehner- und Zwanziger-Jahren ein letztes Freiheits-Refugium finden, wirken absolut spielerisch - obwohl hier ein Fotograf am Werke war, der die völlige Kontrolle über das Bild anstrebte, vom oft hohen Blickwinkel bis zur scheinspontanen Personenbewegung.

    Der elitäre Kühn haßte das unkünstlerische Knipsen, das massenhafte Abziehen von Amateurbildern in neumodischen Industrie-Labors – in den 1930iger Jahren wetterte er gegen den aufziehenden "Photo-Bolschewismus" und schien auch anfällig für die Thesen der Nazis. Die Albertina aber rettet Kühn vor sich selber: der großartige Parcours endet mit nahezu perfekt komponierten Landschaften und Stilleben - eine Huldigung.