In Österreich hat der Vorsitzende der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Herbert Kickl, die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) zu Koalitionsgesprächen eingeladen. Bei der Parlamentswahl im September 2024 bekam die FPÖ erstmals die meisten Stimmen. Koalitionsverhandlungen zu einer Mitte-Regierung platzten. Obwohl die ÖVP im Wahlkampf stets die „Brandmauer“ zur Kickl-FPÖ beschwor, verhandelt sie nun mit der Partei.
Könnte Deutschland nach der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar 2025 eine ähnliche Situation bevorstehen? Oder unterscheidet sich die politische Lage hierzulande dafür doch zu stark?
- Warum ist die Regierungsbildung in Österreich so schwierig?
- Wie positioniert sich die ÖVP gegenüber der FPÖ?
- Welches Profil hat die FPÖ unter Herbert Kickl?
- Wo regiert die FPÖ in Österreich bereits mit?
- Welche Themen könnten die Koalitionsverhandlungen in Österreich prägen?
- Ist eine Regierungsbeteiligung der AfD realistischer geworden?
Warum ist die Regierungsbildung in Österreich so schwierig?
In Österreich ist der Chef der rechtsextremen Partei FPÖ, Herbert Kickl, mit der Regierungsbildung beauftragt und hat die konservative ÖVP zu Koalitionsverhandlungen eingeladen. Die Koalitionsgespräche zwischen der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), der ÖVP und der liberalen Neuen Österreichischen und Liberalen Partei (Neos) sind gescheitert.
Zuerst waren die Neos aus den Verhandlungen ausgestiegen. Ihre Begründung: Sie sähen bei den beiden Partnern einen mangelnden Reformwillen und keine Vision für die Zukunft. Kurz danach stieg auch die ÖVP aus. Die Partei erklärte, sie sei nicht bereit, ein Programm zu unterschreiben, das sie als wirtschafts-, wettbewerbs- und leistungsfeindlich betrachtet.
Der SPÖ-Chef sagte, der Ausstieg der ÖVP sei ziemlich unvermittelt gewesen. Es habe noch Verhandlungsspielraum gegeben.
Offenbar scheiterten die Verhandlungen daran, dass ein wirtschaftsliberales Programm auf ein stark sozialpolitisch geprägtes Programm traf.
Der ÖVP-Chef und bisherige Kanzler Karl Nehammer, der diese Koalitionsgespräche führte und sich stets gegen eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen stellte, ist zurückgetreten. Damit ist nun offenbar auch bei den Konservativen der Weg frei für eine Regierung mit der FPÖ.
Denn realistisch erscheint nun vor allem eine Koalition aus FPÖ und ÖVP – mit den Konservativen als kleinerem Partner. Und dies, obwohl im Wahlkampf mehrfach betont wurde, dass eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgeschlossen sei. Neuwahlen kamen für die übrigen Parteien offenbar nicht infrage, da Umfragen zufolge die FPÖ dabei an Stärke hätte gewinnen können.
Wie positioniert sich die ÖVP gegenüber der FPÖ?
Der Sinneswandel bei der ÖVP wirkt ein Stück weit rätselhaft. Zwar lässt sich das Scheitern mit zu weit auseinanderliegenden Programmen und Vorstellungen erklären.
Aber es wirkt in gewisser Weise so, als sei nicht bis zum Ende um ein Regierungsprogramm gerungen worden. Fast, als würde die ÖVP sagen: "Dann versuchen wir es eben mit einem rechtsextremen Kanzler." Denn Herbert Kickl gilt als rechtsextrem und steht der Identitären Bewegung nahe. Gleichzeitig wirkt es, als ob die Partei ihren eigenen Kanzler Nehammer gewissermaßen "verbrennt", da er aufgrund seiner klaren Abgrenzung zu Kickl im Wahlkampf zurücktrat.
Seine Partei hingegen hat ihr Versprechen über Bord geworfen, nicht mit Kickl zu koalieren. Nach Nehammers Rücktritt scheint in der ÖVP niemand mehr ein Problem mit der FPÖ zu haben. Im Gegenteil: Nehammers Generalsekretär, Christian Stocker, der nun die Verhandlungen führen soll, sagte, man gehe offen in die Gespräche mit Kickl.
Im Wahlkampf hatte er ähnlich scharf gegen Kickl ausgeteilt wie Nehammer. Er erklärte, jemanden wie Kickl brauche das Parlament nicht. Die ÖVP insgesamt bezeichnete Kickl als Rechtsextremisten, Verschwörungsanhänger und Sicherheitsrisiko für Österreich.
Angesichts der extrem rechten Positionen Kickls waren viele Beobachter davon ausgegangen, dass die ÖVP Skrupel haben würde, mit ihm zu koalieren. Doch das scheint nicht der Fall zu sein: Die "Brandmauer" entpuppt sich offenbar als leeres Wahlkampfversprechen. Allerdings gibt es bereits Kooperationen zwischen der Jugendorganisation der ÖVP und der Identitären Bewegung.
In Deutschland hingegen scheint ein solches Szenario von Koalitionsverhandlungen zumindest bislang undenkbar: Es gilt als absolutes No-Go, die AfD an einer Regierung zu beteiligen.
Welches Profil hat die FPÖ unter Kickl?
Die FPÖ wird als rechtsextreme Partei eingestuft, und Herbert Kickl gilt als einer der radikalsten Vertreter ihrer Ausrichtung, vergleichbar mit dem Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke.
Auch wenn Kickl durch seine Regierungserfahrung straatstragender wirkt ähnelt seine Stimmungsmache gegen Bevölkerungsgruppen wie Migranten stark der von Björn Höcke. Außerdem hat Kickl Ungarns Regierungschef Viktor Orbán mehrfach als Vorbild bezeichnet.
Die FPÖ war in Österreich bereits an zahlreichen Regierungen beteiligt. So etwa in der Regierung Kurz unter dem Parteivorsitzenden Heinz-Christian Strache – dieser war von Dezember 2017 bis Mai 2019 Vizekanzler. In dieser Zeit zeigte die FPÖ auch eine staatstragende und vergleichsweise gemäßigte Seite. Nachdem sie in die Opposition ging, übernahm Herbert Kickl die Partei und formte sie zu einer radikalen Protestpartei um.
In der Coronakrise führte Kickl die FPÖ an das Impfgegner-Milieu, an Verschwörungstheoretiker und auch an die rechtsextremistische Identitäre Bewegung heran.
Wo regiert die FPÖ in Österreich bereits mit?
Anders als die AfD, die 2013 im Protest gegen die Euro-Rettungspolitik gegründet wurde, ist die FPÖ eine seit Jahrzehnten etablierte politische Kraft, die immer wieder an Regierungen in Bundesländern und im Bund beteiligt war und ist.
Gegründet wurde die FPÖ 1955 mit einer rechtskonservativen Orientierung. Mit liberaler Programmatik übernahm sie von 1983 bis 1987 Regierungsverantwortung auf Bundesebene. Unter Jörg Haider entwickelte sie sich zu einer rechtspopulistischen Partei mit Nähe zum Rechtsextremismus.
Im Jahr 2000 bildete die FPÖ erstmals eine Regierungskoalition mit der ÖVP und stellte bis 2006 den Vizekanzler. Von 2017 bis 2019 übernahm sie erneut dieses Amt in einer Koalition mit der ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz.
Aktuell regiert die FPÖ in fünf der neun österreichischen Bundesländer gemeinsam mit der konservativen ÖVP. In der Steiermark stellt die FPÖ sogar den Ministerpräsidenten. Auch die Sozialdemokraten haben bereits mit der FPÖ koaliert.
Welche Themen könnten die Koalitionsverhandlungen in Österreich prägen?
Wichtige Themen in den Koalitionsverhandlungen könnten sein: Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik sowie Migration.
Bei ersteren Politikfeldern unterscheiden sich die Positionen von FPÖ und ÖVP zum Teil sehr stark. Während die ÖVP Österreich als tief in der EU verankert sieht, war die FPÖ schon vor 30 Jahren – als das Land EU-Mitglied wurde – gegen den EU-Beitritt. Ein "Öxit", also ein Austritt Österreichs, gilt zwar als unwahrscheinlich, doch auf europäischer Ebene hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán in Herbert Kickl einen sehr EU-kritischen Mitstreiter.
Die FPÖ ist russlandfreundlich – und gegen die im Ukrainekrieg verhängten EU-Sanktionen. Die ÖVP ist für eine Unterstützung der Ukraine. Da Waffenlieferung wegen der Neutralität des Landes tabu sind, stellt Österreich bisher humanitäre Hilfe zur Verfügung.
In vielen Punkten sind sich FPÖ und ÖVP beim Thema Migration einig, etwa darin, die Zahl der Zuwanderer weiter begrenzen und deren Versorgung in Österreich möglichst unattraktiv gestalten zu wollen.
Ist eine Regierungsbeteiligung der AfD realistischer geworden?
Zwar jubeln Vertreter der AfD in Deutschland über den Erfolg der "Schwesterpartei" FPÖ, doch eine Regierungsbeteiligung der AfD ist kaum realistischer geworden. Selbst auf Länderebene ist das angesichts der aktuellen Positionierung der anderen Parteien, die eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen, derzeit nicht vorstellbar.
Und auf Bundesebene hatte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz eine Zusammenarbeit mit der AfD nach der bevorstehenden Bundestagswahl ebenfalls kategorisch ausgeschlossen.
abr