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Fräulein Diplomingenieur

1913 war es der "Berliner Illustrierten Zeitung" eine ganze Titelseite mit Foto wert: Die serbische Studierende Jovanka Bontschits schloss als erste Frau in Deutschland ihr Studium als Diplomingenieurin ab. Heute hat das Fach einen Frauenanteil von rund 20 Prozent. Doch die Studierendenzahlen stagnieren seit Jahren.

Von Anke Petermann |
    "Pionierin ohne Sogwirkung" titelt die aktuelle Ausgabe der Zeitung der TU Darmstadt über Deutschlands erste Ingenieurin von 1913. Verena Kümmel, Mitarbeiterin der TU-Frauenbeauftragten:

    "Das heißt, dass Frau Bontschits eine unglaublich hohe individuelle Leistung erbracht hat, indem sie in so einer frühen Zeit ein Diplom in Architektur gemacht hat. Aber dadurch, dass sie dann zurück in ihre Heimat nach Serbien gegangen ist, hat sie in Deutschland gar keine Gebäude gebaut und ist deswegen in Deutschland nicht sehr bekannt geworden."

    Aufbruchstimmung löste der erfolgreiche Abschluss der ersten Ingenieurin unter deutschen Frauen nicht aus. Im Jahr 1913 erwarb in Stuttgart eine weitere Architektin ihr Diplom. Bis zum Abschluss der ersten Maschinenbau-Ingenieurin in München dauerte es mehr als zehn Jahre, der Erste Weltkrieg lag dazwischen. In der Architektur haben Frauen inzwischen aufgeschlossen, sie stellen rund die Hälfte der Studierenden, im Maschinenbau und der Elektrotechnik liegt ihr Anteil bei zehn Prozent. Lucia Mosch, Maschinenbau-Ingenieurin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, kann die Berührungsängste von Frauen nicht nachvollziehen.

    "Meine Mutter ist auch Ingenieurin, vielleicht kommt das ja auch aus dieser Richtung, und mich hat schon immer Mathematik und Physik interessiert. Schon in der Schule fand ich sehr spannend, was passiert, wenn man irgendwo drauf tritt, diese ganzen Kräfte Verhältnisse, dieses Physikalische hat mich einfach total interessiert."

    Mosch leitet das Gleichstellungsteam eines Sonderforschungsbereichs und hält nicht viel von der klassischen Frauenförderung mit Mentorinnen und weiblichen Netzwerken. Die Programme erweckten oft den Eindruck, Frauen seien bedürftig. Mosch selbst setzt auf Projekte von gemischten Teams - mit weiblichen Akzenten. Bewusst provozierend wählte sie den High Heel, also den Stöckelschuh, als Forschungsobjekt für einen Wettbewerb zum Thema "Beherrschung von Unsicherheit in lastragenden Systemen". Ein Erfolg meint Mosch:

    "Schließlich haben sich auf unseren Wettbewerb sechs weibliche Studierende gemeldet und zwei männliche, und eine, die damals noch Studentin war, ist jetzt tatsächlich wissenschaftliche Mitarbeiterin geworden."

    Siri Adolph nämlich, die sich nach einer Werksbesichtigung bei Daimler in Sindelfingen fürs Maschinenbau-Studium entschieden hatte. Dass das eine Männerdomäne ist, schreckte sie nicht:

    "Also, es fällt eher den Männern auf, dass sehr wenige Frauen anwesend sind, und ich hab' es nie als störend empfunden."

    Einig sind sich Mosch und Adolph darin, dass Mädchen auf der Schule stärker motiviert werden müssten, technische Fächer in die Studienwahl mit einzubeziehen. "Die TU Darmstadt lässt das schon in die Lehramtsausbildung einfließen", sagt Gleichstellungskoordinatorin Verena Kümmel. Außerdem organisieren die ingenieurwissenschaftlichen Fachbereiche Schnuppertage für Mädchen und informieren direkt an den Schulen. Frauenförderung betreiben auch Land und Bund: So bereitet das bundesweite Programm Femtec-Studentinnen der Natur- und Ingenieurwissenschaften mit Karriereberatung und Trainings in internationalen Unternehmen auf Führungspositionen vor.

    Lucia Mosch will erst einmal ihre Doktorarbeit schreiben. Gemäß Wissenschaftszeitgesetz wurde ihr Fünfjahresvertrag um die Elternzeit, die sie nach der Geburt ihrer Tochter nahm, verlängert.

    "Man hat keinen zeitlichen Druck, sage ich mal."

    Am Ende des Arbeitstags holt Lucia Mosch ihre anderthalbjährige Tochter aus der Kita der TU ab.

    "Die ist 300 Meter entfernt, da wird sie morgens hingebracht, ich kann schön in mein Büro gehen, und nach der Arbeit hole ich sie wieder ab. Das ist sehr familienfreundlich, muss ich sagen."

    Drei Kinder bekam Deutschlands erste Ingenieurin Jovanka Bontschits. Nach der Rückkehr in ihre Heimat arbeitete sie bis zur Rente im serbischen Bauministerium, zuständig für Großprojekte der Regierung. In Darmstadt hatte sie nicht nur den Grundstein für ihre Karriere gelegt, sondern auch ihren ukrainischen Mann kennengelernt. Ingenieur wie sie – auch er Architektur-Absolvent an der damals großherzoglichen Hochschule.