Die Region Kaschmir
Kaschmir ist seit Jahrzehnten Gegenstand eines Konflikts mit dem Nachbarland Pakistan. Als sich die einstige Kolonialmacht Großbritannien 1947 aus Indien zurückzog, wurde Kaschmir zunächst unabhängig. Dann kam es zum ersten Krieg zwischen Indien und Pakistan, in dessen Folge die Region nach einem Waffenstillstand 1949 geteilt wurde. Die Grenze ist heute eine Demarkationslinie, an der es immer wieder zu gewaltsamen Konflikten kommt. 1965 und 1971 wurden ein zweiter und dritter indisch-pakistanischer Krieg ausgefochten. Rebellengruppen kämpfen für die Unabhängigkeit.
Im indischen Teil, der ganz im Norden des Landes liegt, wurde ein Bundesstaat etabliert. Ausgeweitet auf die Stadt beziehungsweise den Disktrikt Jammu, trägt er heute den Namen "Jammu und Kaschmir". Jammu ist die größte Stadt und im Winter Landeshauptstadt. Sommerhauptstadt ist die Stadt Srinagar. Diese Regelung wurde bereits während der Dogra Dynastie vor mehr als 100 Jahren getroffen - um dem harten Winter in Srinagar zu entfliehen.
Was ist geschehen? - Die Nachricht
Die indische Regierung hat angekündigt, den Sonderstatus von "Jammu und Kaschmir" aufzuheben. Er wird durch Artikel 370 der indischen Verfassung gewährt. Innenminister Amit Shah sagte vor dem Parlament in Neu Delhi, dass dieser Artikel per Dekret von Premierminister Modi aufgehoben werde. Die Anordnung solle "sofort" in Kraft treten. 70 Jahre lang hatte sich keine indische Regierung getraut, den Sonderstatus anzutasten - aus Angst vor den zu erwartenden Spannungen.
Der Sonderstatus
Der Sonderstatus garantiert Eigenständigkeit in fast allen Politikbereichen. "Jammu und Kaschmir" hat damit das Recht auf Selbstverwaltung, inklusive eines eigenen Landesparlaments und einer eigenen Landesregierung. Nur außenpolitisch und verteidigungspolitisch hat Neu-Delhi das Sagen.
Juristisch fragliche Entscheidung
Die Entscheidung der indischen Regierung ist rechtlich umstritten. Verfassungsexperten sagen, das kaschmirische Regionalparlament und die Regionalregierung müssten einer solchen Entscheidung erst zustimmen. Die indische Zentralregierung hat die dortigen Abgeordnetenkammer 2018 jedoch wegen Zunahme von "Terrorismus und Gewalt" aufgelöst.
Der von Neu Delhi eingesetzte Gouverneur Satya Pal Malik begründete den Schritt zudem mit dem Fehlen einer stabilen Landesregierung, da zwei rivalisierende Parteigruppen die Führung für sich beanspruchten. Der Asienexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Christian Wagner,
sagte im Deutschlandfunk
, der Bundesstaat sei de facto zu einem Unionsterritorium degradiert worden, das direkt von der Zentralregierung verwaltet werde. Aus dieser Gegebenheit leitet Modi wiederum sein Recht ab, den Sonderstatus aufheben zu dürfen.
Warum kommt der Vorstoß jetzt?
Ein Ziel der Regierung Modi ist es, Kaschmir enger an Indien zu binden bzw. die Region stärker in den Staat zu integrieren. Die hindu-nationalistische Partei von Modi, Bharatiya-Janata-Partei (BJP), hatte bereits im Wahlkampf dieses Jahr versprochen, den Sonderstatus endlich zu kassieren. Bereits in der vorherigen, ersten Amtszeit Modis gab es Bestrebungen, diesen Schritt zu gehen.
Hindus und Muslime
Jammu und Kaschmir ist muslimisch geprägt. Es ist der einzige Bundesstaat in Indien, in dem Muslime eine Mehrheit haben. Eine Ausnahme bildet die Stadt Jammu, die mehrheitlich hinduistisch ist. Die jetzige Entscheidung steht auch vor dem Hintergrund der religiösen Spannungen im Land, die zuletzt deutlich zugenommen hatten. Der BJP wird seit Längerem von Gegnern vorgeworfen, Politik gegen die Muslime im Land zu machen.
Angst vor Hinduisierung
Die indischen Kaschmiris haben die Befürchtung, dass es zu einer Hinduisierung kommt. Der bislang gewährte Sonderstatus legt fest, dass Menschen aus anderen Landesteilen Indiens in "Jammu und Kaschmir" kein Land und kein Eigentum erwerben dürfen. So sollen insbesondere Hindus davon abgehalten werden, in die Region zu ziehen. Ähnliche Regelungen gelten auch in anderen Teilen Indiens, womit wiederum die Ansiedlung von Muslimen verhindert werden soll. Hermann Kreutzmann von der Freien Universität Berlin
erläuterte ebenfalls im Dlf
, die Politik der BJP ziele grundsätzlich darauf ab, dass es in keiner Region des Landes Sonderrechte für Muslime gebe
Reaktionen in Indien und Pakistan
Insbesondere in Pakistan haben viele Menschen empört reagiert. Die Stimmung ist aufgeheizt. Bilder Modis wurden verbrannt, Menschen sprechen von einem neuen Krieg. In verschiedenen Städten gab es Demonstrationen. In Indien gingen Anhänger Modis nach der Entscheidung jubelnd auf die Straßen. Das sei normal für den indischen Subkontinent, dass Anhänger und Gegner so reagierten,
sagte Korrespondent Bernd Musch-Borowska im Deutschlandfunk
. Aber: "Die Situation kann irgendwann natürlich aus dem Ruder laufen", warnte er.
Situation in Jammu und Kaschmir
Es gilt einen Ausnahmezustand. Damit verbunden sind derzeit Ausgangssperren, eingeschränkte Telefon- und Internetverbindungen. Zudem wurden führende Politiker unter Hausarrest gestellt. Das öffentliche Leben liege weitgehend lahm, sagt Musch-Borwoska. Indien hat Tausende zusätzliche Soldaten in die abgelegene Himalaya-Region geschickt. Touristen wurden zum Verlassen aufgefordert. Größere öffentliche Proteste gibt es derzeit nicht. Aber damit müsse man nach den Worten unseres Korrespondenten demnächst rechnen. Christian Wagner geht ebenfalls davon aus. Er sagte, mit dem Vorgehen habe Modi den gemäßigten Parteien vor den Kopf gestoßen, was der lokalen Radikalisierung weiteren Auftrieb geben werde.
Zwei Atommächte
So wohl Indien als auch Pakistan sind Atommächte. Vor diesem Hintergrund werden die Konflikte zwischen beiden Staaten von der Weltgemeinschaft immer mit besonderer Sorge betrachtet.