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Fragiles Stromnetz
Thriller-Autor: Es könnte zum ganz großen Blackout kommen

Das europäische Stromnetz sei fragiler geworden, so der Science-Fiction-Autor Marc Elsberg im Dlf. Wenn es zu einem großen Ausfall käme, seien die Folgen verheerend. Die Wasserversorgung würde zusammenbrechen, Lebensmittel würden knapp. Die Politik sorge nicht ausreichend vor.

Marc Elsberg im Gespräch mit Mario Dobovisek |
Blick auf das neue E.DIS Umspannwerk (UW) unweit der Reuterstadt Stavenhagen (Mecklenburgische Seenplatte)
Für den Fall eines Stromausfalls sollten sich Bürger mit ausreichend Wasser und Konserven eindecken, rät Marc Elsberg (imago/BildFunkMV)
Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Marc Elsberg. Er ist Autor mehrerer Thriller, darunter "Blackout", eine Fiktion, die auf Fakten beruht, sein Bestseller über einen europaweiten Stromausfall nach einem Hackerangriff. Sie haben viel recherchiert zum Thema, Herr Elsberg, über einen europaweiten Stromausfall und über die Stromnetze, sind oft Gast auf entsprechenden Konferenzen. Jetzt lernen wir, es fehlt nicht viel, um das europäische Stromnetz ins Wanken zu bringen. Wie fragil ist dieses Verbundsystem?
Marc Elsberg: Schönen guten Morgen! – Es ist fragiler geworden in den vergangenen Jahren. Aber wie die Verantwortlichen ja auch permanent beteuern: Es sind immer noch mit die besten und stabilsten und zuverlässigsten Netze weltweit. Selbst wenn es hier knappe Situationen gibt, bislang kann man sie bewältigen. Aber das ändert nichts daran, dass A sie fragiler geworden sind, und B, was man bei den großen Stromausfällen gerne ein bisschen vergisst, das wäre etwas anderes als der kleine Stromausfall, den wir immer ein bisschen mitbekommen, dieses für ein paar Minuten nur eine Straße oder eine Ortschaft. Das ist vielen vielleicht nicht ausreichend bewusst.
Dobovisek: Bevor wir auf diese Folgen zu sprechen kommen, die ja auch in Ihrem Buch eine große Rolle spielen. Wo im System sehen Sie die größten Schwachstellen?
Elsberg: Generell in der wachsenden Komplexität. Da gibt es gar nicht einen Punkt zu nennen. Das ist einfach dieses zunehmende Zusammenwachsen von ganz vielen Systemen und dadurch entstehen gegenseitige Abhängigkeiten, die man oft gar nicht mehr kennt. Es gibt da beispielsweise einen Vorfall aus dem Jahr 2013 zwischen Bayern und Österreich, wo sich der Befehl am Zähler eines Gasnetzes in Bayern ins Leitsystem des österreichischen Stromsystems verirrt hat und dort zu Störungen geführt hat. Derlei weiß man oft gar nicht und davon gibt es immer mehr.
Dobovisek: Möglicherweise haben sich in den aktuellen Fällen Stromanbieter und Netzbetreiber verspekuliert, heißt es. Vielleicht sind mit Blick auf Wind- und Solarenergie auch ungenaue Wettervorhersagen der Grund für die aktuellen Engpässe. Das gilt es, noch genauer zu untersuchen. Wenn wir uns künftig mehr auf wetterabhängige erneuerbare Energien, auf Wind, Wasser und Sonne verlassen wollen, müssen wir dann damit rechnen, dass das ohnehin fragile Gleichgewicht im Netz noch anfälliger wird?
Elsberg: Wenn wir das System entsprechend bauen, mit ausreichend Puffer, Speicher etc., müssen wir uns davor überhaupt nicht fürchten. Aber das ist sicher eine der Herausforderungen der Energiewende, die in den letzten Jahren angestoßen wurde, dass man hier noch, gelinde gesagt, eine ganze Menge Herausforderungen zu bewältigen hat. Das ist in den letzten Jahren nicht ganz rund gelaufen.
"Handlungen sind bislang nicht ausreichend gefolgt"
Dobovisek: Ich habe ja schon angesprochen, dass Sie oft Gast sind auf entsprechenden Veranstaltungen von Politik und von Wirtschaft. Erkennen Sie da genug Willen?
Elsberg: Na ja, Wille vielleicht. Aber die Handlungen sind bislang nicht ausreichend gefolgt. Das muss man leider sagen.
Dobovisek: In Ihrem Buch "Blackout" sind es Hacker, die das Stromnetz gezielt angreifen. In der Realität reichten 2006 zum Beispiel routinemäßig abgeschaltete Leitungen im Emsland, um es bis nach Italien dunkel werden zu lassen. Jetzt lernen wir, das Netz ist teilweise am Limit. Für wie wahrscheinlich halten Sie einen lang anhaltenden europaweiten Stromausfall, wie Sie ihn in Ihrem Buch beschreiben?
Elsberg: Die Wahrscheinlichkeit kann man bei so was nicht berechnen, weil dafür haben wir solche Ereignisse viel zu selten, um genau zu sein. Wir hatten es in dieser Form, wie ich es im Buch beschreibe, überhaupt noch nicht. Deswegen kann man auch keine Wahrscheinlichkeiten berechnen. Das wäre unseriös, hier irgendetwas zu sagen. Es ist sicher nicht unwahrscheinlicher geworden in den letzten Jahren durch verschiedene Faktoren, und es muss ja auch nicht gleich der große Ausfall sein.
Die Ereignisse, die wir in den letzten Wochen jetzt hatten, die können natürlich – und das ist eine Gefahr – zu einem ganz großen Blackout führen. Sie können aber zum Beispiel auch zu etwas führen, wie wir etwa 2006 hatten, zu regionalen größeren Ausfällen, dazu, dass es vielleicht einen Tag lang mal keinen Strom gibt in größeren Regionen, wie wir das vor ein paar Wochen in Lateinamerika gesehen haben, in Argentinien und Uruguay. Da hat man das aber auch nach einem Tag wieder eingefangen gehabt, wobei man auch sagen muss, dort sind die Verhältnisse ein bisschen anders, dass die Leute dort nicht so sehr abhängig sind überall, wie wir das in unserer Gesellschaft sind.
"Geldversorgung geht nicht mehr, Supermärkte schließen"
Dobovisek: Diese Abhängigkeiten sind ja ganz spannend, Herr Elsberg. Die beschreiben Sie auch in Ihrem Buch. Wie weitreichend wären denn die Folgen eines Stromausfalls über Stunden, über Tage hinweg in einer Gesellschaft wie der deutschen, der europäischen?
Elsberg: Wenn wir wirklich von einem großflächigen Ausfall sprechen, nicht etwas, wie wir im Frühjahr in Berlin hatten, wo nur ein Bezirk betroffen war, wirklich ein großflächiger, sagen wir halb Deutschland oder Teile Deutschlands, Frankreichs, Österreichs, Italiens, Polens, dann sind die Folgen relativ verheerend, und zwar sehr schnell, weil alles vom Strom abhängt, was wir fürs normale Leben brauchen. Das fängt bei Kommunikationsmitteln an, das Internet und die Festnetz-Telefonie fällt mehr oder minder sofort aus, Mobilnetze auch ziemlich schnell, weil sie überlastet werden und auch sehr komplex sind im Hintergrund. Kommunikation ist so gut wie nicht mehr möglich.
Die Wasserversorgung hängt sehr oft an der Stromversorgung. Das heißt, ich habe kein Wasser mehr aus der Leitung, aber ich kann mein Klo auch nicht mehr spülen, was vor allem in Großstädten sehr unangenehm wird. Wenn man dann im 10. Stock eines Hauses wohnt, mit einer dreiköpfigen, fünfköpfigen Familie, dann wird das sehr schnell sehr unangenehm, wenn ich die Toilette nicht spülen kann. Der Fahrstuhl ist auch noch stecken geblieben, also kann ich da auch nicht ohne weiteres, kann schon, aber muss dann jedes Mal runterlaufen irgendwo hin, und so weiter und so fort.
Geldversorgung geht nicht mehr, Supermärkte schließen. Was besonders dramatisch ist, ist, dass in unserer vernetzten Welt so gut wie keine Tankstelle mehr funktionieren wird, weil der Treibstoff aus den unterirdischen Tanks in der Tankstelle hinauf in die Zapfsäule gepumpt werden muss, und diese Pumpen hängen alle am öffentlichen Netz. Das heißt, man kann in Deutschland so gut wie nicht mehr tanken.
Und wenn man jetzt überlegt, dass unsere gesamte Lebensmittelversorgung zum Beispiel davon abhängt, dass Hunderttausende LKW jeden Tag auf der rollenden Landstraße Lebensmittel von Produzenten in Zentrallager und von dort weiter in Supermärkte bringen, habe ich bereits nach etwa einem Tag ein beginnendes Versorgungsproblem mit Lebensmitteln, mit Medikamenten, mit industriellen Gütern sowieso und so weiter und so fort.
Dobovisek: Eklatant wird es schon nach einem Tag, sagen Sie. Wie gut oder wie schlecht sind Politik und Wirtschaft, wie gut sind wir als Gesellschaft insgesamt auf so etwas vorbereitet?
Elsberg: Längst nicht ausreichend, muss man leider sagen. Das sage ja nicht nur ich. Es gibt ja diese Studie im Auftrag des Bundestages, die eigentlich schon 2011 veröffentlicht wurde, ein paar Monate, bevor mein Buch erschienen ist, die ja zu demselben Schluss kommt. Die sagt auch, nach zwei Tagen ist die Situation nicht mehr beherrschbar. Wir sind nicht ausreichend vorbereitet, weder die meisten Leute einzeln individuell, so wie die Empfehlungen der Behörden wären, dass man für zehn Tage wenigstens zuhause irgendwie Wasser, Lebensmittel, Taschenlampe, Streichhölzer etc. haben sollte.
"Nach zwei Tagen ist die Situation nicht mehr beherrschbar"
Dobovisek: Wie steht es denn bei Ihnen, Herr Elsberg? Haben Sie seit den Recherchen zu "Blackout" ein paar Wasserflaschen und Konserven mehr im Keller stehen?
Elsberg: Ich habe die Empfehlungen, die behördlichen, zuhause. Ich habe nicht mehr. Ich habe zum Beispiel nicht mal einen Notstromgenerator. In einer Mietwohnung in Wien würde das auch schlecht gehen. Aber die Lebensmittel, Wasser und andere Mittel habe ich tatsächlich, seit ich für das Buch recherchiert habe. Dasselbe gilt leider für die Behörden auch bis zu einem gewissen Grad. Es gibt zwar Alarmierungspläne und so weiter, aber wie man bei Übungen immer wieder feststellt, die es ja sinnvollerweise und glücklicherweise gibt, kommt man dann doch immer wieder häufig darauf, dass dies und das und jenes schon in der Übung nicht funktioniert, und in der Realität kommt ja dann oft noch sehr viel Unwägbares dazu.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.