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Fraktionsvorsitzende Göring-Eckhardt
"Annalena Baerbock liefert und die Grünen werden liefern"

Zum Start des Bundesparteitages der Grünen hat Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt ihrer Parteikollegin Annalena Baerbock den Rücken gestärkt. Baerbock habe ihre Fehler eingeräumt und sei eine glaubwürdige Kanzlerkandidatin, sagte sie im Dlf. Jetzt gehe es um die großen Fragen in Deutschland.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen
"Sie steht zu dem, was sie falsch gemacht hat", sagte Grünen-Fraktionsvorsitzende Göring-Eckardt über Annalena Baerbock. (dpa/picture alliance/Flashpic)
Dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl wollen die Grünen bei ihrem Bundesparteitag über ihr Wahlprogramm abstimmen. Die Vorsitzende Annalena Baerbock soll dabei offiziell als Kanzlerkandidatin bestätigt werden. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt stärkte der wegen Ungenauigkeiten in ihrem Lebenslauf und nicht gemeldeten Einkünften in die Kritik geratenen Kandidatin im Dlf den Rücken. Fehler seien menschlich, so Göring-Eckardt. Entscheidend sei der Umgang damit. Baerbock habe ihre Fehler eingeräumt und sei somit eine glaubwürdige Kanzlerkandidatin. Inhaltlich müssten die Grünen mit der Verabschiedung ihres Wahlprogramms Klimaschutz und sozialen Ausgleich zusammenbringen, sagte Göring-Eckardt.
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Das Interview im Wortlaut:
Christoph Heinemann: Frau Göring-Eckardt, warum liefert Annalena Baerbock nicht?
Katrin Göring-Eckardt: Annalena Baerbock liefert. Das kann man ja sehen. Der Umgang mit Fehlern ist ja das Entscheidende und das hat sie gezeigt – auch gestern Abend übrigens noch mal, als sie sich im deutschen Fernsehen allen Fragen gestellt hat, sowohl denen über ihre eigenen Fehler als auch denen übers Programm. Und wenn man sich das anschaut, was wir am Wochenende vor uns haben, dann kann man sagen, Annalena Baerbock liefert und die Grünen werden liefern.

"Fehler, die sind menschlich"

Heinemann: Entwickelt sie sich zur Belastung für den grünen Bundestagswahlkampf?
Göring-Eckardt: Nein! Noch mal: Fehler, die sind menschlich und alle haben wir wahrscheinlich schon welche gemacht und viele haben welche gemacht, die nicht die ganze Nation sieht. Aber es geht um den Umgang mit Fehlern. Und man kann sich das auch mal im Vergleich angucken. Ich meine, Herr Laschet hat Klausuren verdattelt und hat dann Zensuren erfunden. Herr Scholz steht in Untersuchungsausschüssen unter Beschuss, wenn es um Wirecard geht oder um die Weilburg-Bank. Annalena Baerbock hat Ungenauigkeiten in ihrem Lebenslauf und eine Nachmeldung und hat nicht nur sofort nachgemeldet, sondern hat auch sofort gesagt, ja, das waren Fehler, ich ärgere mich darüber, das ist Mist. Jetzt geht es um die großen Fragen in Deutschland, um die Auseinandersetzungen über die Zukunft dieses Landes.
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"Andere Präferenzen in Sachsen-Anhalt"

Heinemann: Die Generalprobe ist schiefgegangen. 37 Prozent CDU in Sachsen-Anhalt, knapp sechs Prozent für die Grünen. Warum wollen die allermeisten Menschen in Sachsen-Anhalt keine grüne Politik?
Göring-Eckardt: Ich bin ja Ostdeutsche, komme aus Thüringen – Sie haben es gerade gesagt -, und insofern geht es nicht darum, dass die allermeisten Menschen keine grüne Politik wollen, sondern dass sie andere Präferenzen hatten. Die eine Präferenz war mit Sicherheit auch für viele Wählerinnen und Wähler, die in den Wochen davor noch gesagt haben, wir können uns auch vorstellen, die Grünen zu wählen, dass auf gar keinen Fall die AfD Einfluss auf die Politik in Sachsen-Anhalt, auf die Regierungspolitik haben soll. Und das andere war, dass Menschen sich in dieser großen Transformation Gedanken um andere Themen gemacht haben, für die sie uns nicht für kompetent hielten in Sachsen-Anhalt. Ich sage ganz klar, das ist was, wo wir nicht nur dran arbeiten müssen, sondern wo wir klarmachen müssen, Klimaschutz, sozialer Ausgleich, das gehört zusammen. Die guten Arbeitsplätze für die Zukunft, die entstehen mit mehr Klimaschutz und nicht mit weniger.

"Es gibt sehr, sehr viel zu tun"

Heinemann: Dazu kommen wir gleich noch. – Warum benötigt Deutschland eine Kanzlerin, die nicht einmal ihren Lebenslauf korrekt aufschreiben kann?
Göring-Eckardt: Deutschland braucht eine Kanzlerin, die einen Plan hat, die Klarheit hat und die auch in schwierigen …
Heinemann: Klarheit?
Göring-Eckardt: Ja!
Heinemann: Nur nicht im eigenen Lebenslauf.
Göring-Eckardt: Doch, auch im eigenen Lebenslauf. Deswegen hat sie es ja deutlich gemacht, der war sehr verkürzt dargestellt. Das ist Mist, um sie selbst zu zitieren. Aber sie braucht jemanden, die auch, wenn es stürmt, noch einen klaren Wertekompass hat. Klarer Wertekompass heißt, dass man sich dann hinstellt und sagt, so ist es, Fehler gewesen, und jetzt machen wir weiter. Und dann geht es um die Fragen, die unser Land umtreiben. Dann geht es ums Klima, um die Kinder und um die Zukunft, und da haben wir wirklich genug zu tun. Wenn jemand, wenn es eine Krise gibt, wenn es schwierig wird, dann auch sagen kann, ich stehe dafür ein, dann sage ich, das ist Klarheit und das ist ein klarer Kompass.
Heinemann: Das waren ziemlich viele Fehler. Zunächst mal hat sie einen fünfstelligen Betrag auf ihrem Konto übersehen. Dann ging das Hin und Her mit dem Lebenslauf los. Was sagt das aus über Annalena Baerbocks Organisation?
Göring-Eckardt: Das sagt erst mal aus, dass sich alle um sie herum, sie selber wirklich viel Tag und Nacht um die Inhalte kümmern. Das zeigt auch, dass wir natürlich eine Partei sind, …
Heinemann: Ist das eine Entschuldigung?
Göring-Eckardt: Nee, das ist nicht eine Entschuldigung. Sie haben mich ja gefragt, was sagt das aus, und das sagt aus, was sind die Prioritäten, und es ist nicht richtig, ist nicht in Ordnung, dann bei so was, wo man erst mal denkt, na ja, steht doch alles da, ist doch klar, kann man sich doch zusammendenken, nicht genau ist. Das ist schlecht, das ist falsch, ist ein Fehler, haben alle gesagt, hat sie vor allen Dingen selbst gesagt. Und trotzdem ist es so, dass die Frage in so einer entscheidenden politischen Situation, wo geht es hin mit diesem Land, kriegen wir das hin mit dem Klimaschutz, kriegen wir das hin mit dem sozialen Ausgleich, gibt es Mehrheiten dafür.
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Wir haben ja nicht nur das Verfassungsgerichtsurteil, das uns das aufgibt. Wir haben das Klimaschutzabkommen von Paris und wir haben eine Regierung, die es nicht hinbekommt. Wir haben einen Mitbewerber, wir sind im Duell mit der Union. Wir haben einen Mitbewerber, der noch nicht mal ein Programm vorgelegt hat, und wir machen uns Gedanken nicht nur darüber, was steht im Programm, sondern wie ist es umsetzbar, so dass es nicht nur die Menschen spüren, dass es Ausgleich gibt, dass sie mitgenommen werden, dass es Dialog gibt, einen anderen Regierungsstil übrigens auch, sondern auch, dass wir es hinbekommen, dass die Erderwärmung nicht weitergeht. Das ist eine ganz alltägliche, ganz praktische Frage, die wir jeden Tag draußen spüren, die die Menschen, die in Städten leben, spüren. Wenn man sich nach der Pandemie anschaut, wie die Situation von Kindern, von Jugendlichen, von Familien ist, gibt es da sehr, sehr viel zu tun.

"Sie steht zu dem, was sie falsch gemacht hat"

Heinemann: Frau Göring-Eckardt, Bettina Gaus vom "Spiegel" schreibt: "Annalenas Baerbocks Glaubwürdigkeit ist dahin, der Traum einer grünen Kanzlerin geplatzt." War es das?
Göring-Eckardt: Nein! Ich kenne ja Annalena gut und deswegen ganz klar: Ihre Glaubwürdigkeit ist hergestellt dadurch, dass sie zu dem steht, was sie falsch gemacht hat und Tag und Nacht um das kämpft, was jetzt zentral und was jetzt wichtig ist. Das ist ihre absolute Stärke, dass sie sich in den Wind stellt und dass sie sagt, ja, ich nehme es auch auf meine Haut und trotzdem mache ich weiter, trotzdem kämpfe ich weiter um das, worum es jetzt geht.
Heinemann: Titel des Wahlprogramms der Grünen lautet: "Deutschland. Alles drin". Rund 300 Leute wollen das Wort "Deutschland" streichen. Was haben die Grünen gegen Deutschland?
Göring-Eckardt: Die Grünen haben gar nichts gegen Deutschland. Wir wollen das Land regieren, dieses Deutschland, und wir werden auf dem Parteitag eine ganze Reihe von Änderungsanträgen haben, auch diesen. Ich kann nur sagen: Wenn man dieses Land regieren will, dann soll man auch über dieses Land sprechen. Gleichwohl: Wir fühlen uns als Europäerinnen und als Europäer. Wir fühlen uns häufig unserer Region verbunden wie ich Thüringen. Wir sagen ganz klar, wir haben eine Verantwortung in der Welt. Es geht ja nicht um was Ausschließendes, sondern um was Einschließendes. Und "Alles ist drin" hat ja auch eine doppeldeutige Situation. Erstens: "Alles ist drin". Ja, wir können an die Eins kommen. Ja, wir können die Kanzlerin stellen. Das heißt aber auch, wir sind so vielfältig wie nur was in diesem Land, und so gespalten, so sehr in Bubbles, wie wir gerade leben, umso mehr muss es jetzt darum gehen, wie ist denn eigentlich diese Gesellschaft der vielen, wie geht Zusammenleben. Alles das wiederspiegelt sich auch in diesem Titel.

Frau Göring-Eckardt, graut es Ihnen manchmal vor der Basis?

Heinemann: Was sagt es denn aus über eine Partei, wenn sie über das Wort "Deutschland" streitet?
Göring-Eckardt: Es sagt vor allen Dingen aus, wie können wir das mit dieser Vielfalt, dass wir uns als Europäer*innen, als Weltbürger*innen fühlen, wie können wir das am besten ausdrücken. Das sagt das aus und genau darüber wird die Diskussion gehen.
Heinemann: 3280 Änderungsanträge gibt es zum Wahlprogramm. Deshalb hat Robert Habeck jetzt die Delegierten vor unrealistischen Forderungen gewarnt. Schauen wir uns das an: Die Grünen wollen den Preis für die Tonne CO2 bis 2023 auf 60 Euro erhöhen. Der Kreisverband Rendsburg, Jakob Blasel, spricht sich für eine Verdoppelung auf 120 Euro aus. Dann gibt es andere Anträge, die wollen sogar 180 Euro vorschlagen. Tempolimit 100 auf Autobahnen wird gefordert. Ab 2030 wollen die Grünen nur noch emissionsfreie Autos zulassen. Ein Änderungsantrag fordert das bereits für 2025. Das wäre in vier Jahren. – Frau Göring-Eckardt, graut es Ihnen manchmal vor der Basis?
Göring-Eckardt: Nein, überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Ich habe viele dieser Diskussionen ja in den vergangenen Wochen und Monaten geführt, mit Menschen aus Kreisverbänden, aus Ortsverbänden, auf diversen Veranstaltungen, und alle eint eins, nämlich, dass wir ein ambitioniertes Programm brauchen und wollen, dass wir es hinbekommen müssen und dass wir nicht einknicken vor unseren eigenen Ansprüchen. Unsere eigenen Ansprüche haben wir aufgeschrieben im Programmentwurf. Da steht beispielsweise 60 Euro für die Tonne CO2. Da steht auch: Alles das, was wir einnehmen, geht zurück an die Bürgerinnen und Bürger, und zwar pro Kopf, so dass ganz klar ist, diejenigen mit dem kleinen Portemonnaie, vor allen Dingen die Familien werden davon profitieren. Beides zusammenzudenken, das ist die Herausforderung. Das ist wirklich ein ambitioniertes Programm. Klimaschutz, das ist was, was uns alle fordern wird. Aber wir sind auch ganz klar, dass wir sagen, wir können uns nicht überfordern, weil das Ganze funktioniert natürlich nur, wenn wir auch eine Mehrheit dafür bekommen, wenn alle mitmachen. Aber es funktioniert auch nicht mit windelweichen Kompromissen, die man schon im Programm macht. Deswegen sehr ambitioniert, das was wir vorgelegt haben, und die Diskussionen zeigen, dass die Menschen in dieser Partei, in den Kreisverbänden, viele neue Mitglieder übrigens, die Anträge gestellt haben, genau über diese Fragen reden, wie können wir es hinbekommen, dass es eine Mehrheit gibt und das wir es realistisch machen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.