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Francesco Cavallis „Ercole amante"
Stilvielfalt und musikalische Pracht

Francesco Cavalli war einer der erfolgreichsten italienischen Opernkomponisten des 17. Jahrhunderts. Seine "Ercole amante" wurde nun an der Opera Royal in Versailles in einer Neuinszenierung präsentiert - in herausragender musikalischer Darbietung, wie Dlf-Kritikerin Elisabeth Richter findet.

Von Elisabeth Richter |
    Bellezza, Giulia Semanzato / Ercole, Nahuel Di Pierro
    Bellezza (Giulia Semanzato) und Ercole (Nahuel Di Pierro) ( Opera Royal de Versailles / Stefan Brion)
    Schon die ersten Takte präsentieren einen festlichen warmen Klang. So wie es sich für die Hochzeit eines Monarchen auch gehört. Ludwig XIV. heiratete die spanische Infantin Maria Theresia. Möglicherweise erklingen in dieser prächtigen eröffnenden Sinfonia deshalb auch Kastagnetten?
    Zwingend hat Cavalli hier Kastagnetten nicht verlangt. Die Instrumentierung einer Oper wurde damals nicht bis ins Letzte festgelegt und immer den Aufführungsbedingungen des jeweiligen Theaters angepasst. Diese Version hat der Dirigent Raphaël Pichon für die Aufführungen an der Opéra-Comique und in Versailles vorgenommen.
    Ein Prolog, fünf Akte und ein Epilog. Rund drei Stunden Musik in ungeheuer vielfältiger stilistischer Ausprägung sorgten – das sei vorweggenommen – in herausragender musikalischer Darbietung und intelligenter Inszenierung für eines der faszinierendsten Opernereignisse der letzten Zeit.
    Titelheld mit Liebesqualen
    Im Prolog wird die Verbindung von Frankreich und Spanien gepriesen, der "Chor der Flüsse" vergleicht das royale Herrscherpaar mit Hercules und der Schönheit, die beiden werden am Ende der Oper im Himmel ein Paar. In den fünf Akten in irdischen Gefilden macht der Titelheld einige Liebesqualen durch. Er ist eigentlich mit Deianeira verheiratet, aber er liebt Jole. Diese wiederum ist ausgerechnet zu Hercules’ Sohn Hyllos in Liebe entbrannt. Die Göttinnen Venus und Juno liefern sich Kämpfe, die eine hilft Hercules und setzt auf die Liebe, die andere schwört auf die Treue.
    Mit Venus’ Zauberkraft verliebt sich Jole in Hercules, obwohl dieser einst ihren Vater tötete. Juno bedrängt das arme Mädchen den in Schlaf versetzten Hercules zu töten, was der herbeispringende Hyllos gerade noch verhindern kann. Dennoch wird er von Hercules in einen von Wasser umgebenen Turm gesteckt. Jole verspricht Hercules darauf die Heirat um ihren wirklichen Geliebten zu retten. Eine veritable Gewitter- und Sturm-Szene sorgt für musikalisches Spektakel, Hyllos wird schließlich von Neptun aus den Fluten gerettet. Für düstere Bedrohung sorgen dann die aus der Unterwelt auftauchenden und Rache schwörenden Opfer von Hercules. Auch der Geist von Joles totem Vater erscheint, sie bittet ihn um Verzeihung, dass sie seinen Mörder heiratet.
    Doch Hercules wird schließlich "entsorgt". Der Narr Licco rät, Hercules das Gewand des Kentauren Nessus während der Hochzeit umzuhängen. Er verbrennt darin bei lebendigem Leibe, wird aber von Juno in den Olymp versetzt und mit der Schönheit vermählt. Der Chor der Planeten preist das Paar. Sie schweben jeder auf einem Stern sitzend im Himmel, in der Mitte der Planet Saturn.
    Opulentes, assoziationsreiches und bildgewaltiges Theater
    Das Regie-Duo Valérie Lesort und Christian Hecq setzte mit dem Bühnenbildner Laurent Peduzzi auf ein opulentes, assoziationsreiches und bildgewaltiges Theater. Die Bühne der Opéra royal hat die Form eines Halbrunds wie eine kirchliche Apsis, mit Nischen und Stufen. Dabei wurde auch die ursprüngliche barocke Kulissenbühne der Opéra royal genutzt. Das stürmische Meer und der Gott Neptun etwa werden mit Pappkulissen angedeutet. Venus schwebt aus dem Schnürboden in einem Vogelbauch hernieder, ist aber mit einer "neuzeitlichen" Fliegerbrille ausgestattet. Hercules kommt in kriegerischer Ritterrüstung daher, sein Sohn Hyllos als vornehmer Liebhaber, Juno stolziert auf einem Pfau reitend in die Szene, während Page und Narr an Figuren der Commedia dell’arte erinnern. Dazu machen sensible Beleuchtungs- und Farbwechsel den Stimmungsgehalt der vielen Einzelszenen klar.
    In "Ercole amante" ist man schier überwältigt von dem stilistischen Reichtum und der Pracht der Musik. Es scheint, als habe Francesco Cavalli hier alle Register gezogen, um seinem Auftrag gerecht zu werden. Immerhin war der Anlass die Heirat des französischen Monarchen. Man wird von großen doppelchörigen Abschnitten ergriffen, Musik, die Cavalli als "maestro di capella" am Markusdom in Venedig mit seinen vielen Emporen gut kannte und selbst für den Ort auch komponiert hatte. In seiner Oper "Ercole amante" wechseln madrigaleske, kleiner besetzte Chöre und deklamierende Lamenti, wie wir sie aus Opern von Monteverdi, Cavallis Lehrer, kennen. Aber Cavalli war eben auch Visionär. Man hört bereits ausgedehntere Ariosi, kleinere Duette oder Trios, die auf die spätere Barockoper hinweisen. Dazu kommen instrumentale tänzerische Abschnitte.
    Raphaël Pichon - ein feinsinniger Sachwalter der Partitur
    Raphaël Pichon als Leiter seines Ensembles und Chors "Pygmalion" ist dabei ein feinsinniger Sachwalter der Partitur. Die Präzision des gesamten Ensembles, dazu die stilkundige Ausführung und vor allem die Passion für diese Musik sind schier atemberaubend. Außerdem hat Raphaël Pichon ein Sänger-Ensemble auf herausragendem Niveau um sich versammelt. Voran der sonore, kernige, virile Bass von Nahuel di Pierro in der Titelpartie, Anna Bonitatibus leiht der intriganten Göttin Juno mit ihrem dunklen, runden Mezzosopran die rechte Farbe, während Francesca Aspromonte mit ihrem hellen und leichten Sopran die Unschuld und Verzweiflung der begehrten Jole authentisch darstellt, ebenso wie Krystian Adam mit seinem noblen Tenor den edlen Hyllos als Vorfahren von Mozart Don Ottavio profiliert.
    Authentischer und sinnlicher in der Inszenierung sowie musikalisch spannender und stilistisch kompetenter kann dieses Meisterwerk des 17. Jahrhunderts kaum realisiert werden.