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Frank Beyer: Wenn der Wind sich dreht. Meine Filme, mein Leben

Auf die Stasi hat sich Frank Beyer nie eingelassen, aber er hat es auch stets abgelehnt die Rolle des landläufigen Dissidenten zu spielen. Mehr als zwei Dutzend Kino- und Fernsehfilme hat er bis heute gedreht. Als Regisseur von Filmen wie "Jakob der Lügner" und "Spur der Steine" zählte Beyer zu den bedeutendsten Filmemachern in der DDR und zu den wenigen, die auch internationale Anerkennung gefunden haben. Frank Beyer gelang auch nach der Wiedervereinigung anders als vielen seiner Kollegen der - so nennt er es- "Weg in die Vollbeschäftigung". Insgesamt neun Filme hat er in den 90er Jahren realisiert. In "Nikolaikirche" nach dem gleichnamigen Roman von Erich Loest und "Abgehauen" nach dem autobiographischen Bericht von Manfred Krug leistete er viel beachtete Auseinandersetzungen mit dem Untergang der DDR. Nun hat Frank Beyer im Münchener Econ Verlag seine Biographie vorgelegt.

Irene Schoor | 02.07.2001
    "Als ich vor einiger Zeit den Film 'Jakob der Lügner' wiedersah, dachte ich, mit dieser Geschichte ist irgendwie auch mein Leben in der DDR beschrieben. Nur, wann sich bei mir die Hoffnung in Illusion und schließlich in Selbstbetrug verwandelt hat, das weiß ich bis heute nicht genau. Aber ich denke viel darüber nach."

    Frank Beyer formulierte diese Zwischenbilanz seines ereignisreichen Künstlerlebens in einem Brief an einen ehemaligen Mitschüler im Herbst 2000. Damit schließt er seine Autobiographie, deren Untertitel "Meine Filme, mein Leben" wörtlich zu nehmen ist. Leitfaden seiner persönlichen Spurensuche sind seine Filme, ihr Entstehen, Erfolge und bittere Niederlagen im Wandel des politischen Kontextes. Mit sachlicher Strenge und kurzweiligen Schilderungen gleichermaßen beschreibt er Stationen seines Lebens; ergänzt durch zahlreiche Dokumente, die einen aufschlussreichen Einblick in die inneren Mechanismen des DDR-Kulturbetriebes geben.

    Detailliert schildert Beyer seinen künstlerischen und politischen Werdegang. Jahrgang 1932, trat er mit 18 Jahren in die SED ein. Als Absolvent der Filmhochschule in Prag schaffte er schon früh den Sprung in die Spielfilm-Regie der DEFA. 1963 wurde sein fünfter DEFA-Film "Nackt unter Wölfen", die Adaption des Buchenwald-Romans von Bruno Apitz, mit dem Nationalpreis ausgezeichnet - ein großer Erfolg für den gerade 30-Jährigen. Mit seiner formalen Wandlungsfähigkeit und seinem Interesse an ethisch-politischen Themen setzte sich Beyer von jenen Kollegen ab, die das Parteiprogramm der SED schematisch bebilderten. Sein künstlerischer Anspruch brachte ihn jedoch auch früh in Konflikt mit der Staatsführung. Nach dem 11. Plenum der SED im Dezember 1965, wurde Frank Beyers respektlose Baustellen-Komödie "Spur der Steine" ebenso wie die gesamte Jahresproduktion der DEFA als "partei- und staatsfeindlich" verboten. Der Film wurde im Juni 1966 zwar noch uraufgeführt, doch von bestellten Randalierern mit Gebrüll niedergemacht.

    "Dass die Nazis Anfang der dreißiger Jahre den amerikanischen pazifistischen Film 'Im Westen nichts Neues' nach dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque im Kino niedergeschrieen hatten, wusste ich. Unfassbar war für mich, dass die SED, deren Mitglied ich war, eine solche gelenkte 'Provokation' organisiert hatte."

    Dass er die geforderte Selbstkritik verweigerte, trug Frank Beyer ein Berufsverbot als Filmregisseur ein. Zur "Bewährung" wurde er als Theaterregisseur in die Provinz versetzt. Zehn Jahre später, nach seiner Beteiligung am Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung, war er erneut massiven Maßregelungen ausgesetzt. Ausführlich schildert Beyer, wie Projekte behindert wurden und immer mehr Freunde und Mitarbeiter das Land verließen. Im September 1977 brach er offen mit der Kulturpolitik der SED. Nach seinem Parteiausschluss 1980 erhielt er ein Arbeitsvisum, das es ihm ermöglichte, zwei Filme in der Bundesrepublik zu realisieren. Ein endgültiges "Weggehen" kam für ihn jedoch nicht in Frage.

    Frank Beyer verliert sich in seiner Autobiographie nicht in einem larmoyanten Rückblick. Er trumpft auch nicht auf oder gibt sich nachträglich klüger, als er war; schließlich hat er lange Zeit den realen Sozialismus bejaht. So sehr Beyer als leidenschaftlicher Filmemacher erkennbar wird, so wenig tritt er jedoch als politischer Zeitgenosse hervor. Bewertungen der politischen Wendungen bleiben weitgehend abstrakt. Reflexionen des eigenen Denkens und Handelns oder Auseinandersetzungen mit Freunden und Kollegen über mögliche Handlungsoptionen werden gänzlich ausgespart. Hierin liegt eine Schwäche der Autobiographie. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen.

    "Ich hielt den Mauerbau keinesfalls für einen Sieg, sondern für eine Niederlage, aus der man aber vielleicht herauskommen konnte. Ich dachte damals, wir sind im Verhältnis zur Bundesrepublik das ärmere Land, aber wir haben die bessere Gesellschaftsordnung. Wir haben keine Arbeitslosigkeit, die sozialen Gegensätze sind erträglich, alle haben die gleichen Möglichkeiten, sich zu bilden. Und was für Filme hätte ich damals in der Bundesrepublik drehen können?"

    Und so kommt er dann zu dem Urteil:

    "Dass ein neues Kapitel in der Geschichte der DDR begonnen hatte, davon war ich damals überzeugt."

    Wie dieses neue Kapitel aussehen möge, bleibt ungesagt. Auch im Rückblick wird die geschichtliche Zäsur nicht reflektiert. Erst im letzten Kapitel des Buches gewährt Beyer dem Leser einen Einblick darin, wie sehr er bis heute mit der Vergangenheit ringt. Anlässlich einer Radioreportage des MDR über eine Widerstandgruppe in Beyers Abiturklasse 1950 kam es im Frühjahr 2000 zum Briefwechsel des Regisseurs mit zwei seiner ehemaligen Mitschüler, die an dem Widerstand beteiligt waren und vor der Verfolgung in den Westen flüchten konnten. Als junges SED-Mitglied hatte Beyer die Mitwirkenden als "dumme Jungs" abgewertet und ihre Aktionen scharf verurteilt. Konfrontiert mit dem Vorwurf, sich opportunistisch angepasst zu haben, nennt er erstmals die Gründe für sein Bleiben:

    "Natürlich habe ich in Zeiten der Depression darüber nachgedacht wegzugehen. Es gab vier Gründe, die für das Hierbleiben sprachen: Erstens. Private Gründe. Sie will ich nicht auf dem Markt diskutieren. Auch nicht in einem solchen Brief. Zweitens. Ich habe in der DDR seit Jahrzehnten ein breites Film- und Fernsehpublikum. (Das sind die, die nach wie vor nicht emigrieren konnten). Dieses Publikum will ich nicht enttäuschen. Drittens. Emigrieren ohne wirkliche Not hat für mich auch etwas mit Desertieren zu tun. Den Platz der Auseinandersetzungen zu räumen, heißt, seine Niederlage eingestehen. (...) Ich musste in meinem Beruf frühzeitig lernen, Ziele hartnäckig zu verfolgen. Und natürlich hatte ich während meines ganzen Arbeitslebens das Ziel, Veränderungen in der Kulturpolitik zu erreichen im Sinne eines offenen und kritischen Umgangs mit gesellschaftlichen Problemen. Das klingt in Deinen Ohren vielleicht etwas hochtrabend, aber es war so. Ich war ja kein Einzelkämpfer, sondern es gab unter den Schriftstellern, Regisseuren und Schauspielern viele Leute, die ähnlich dachten wie ich. Viertens. Seit ich zum ersten Male Anfang der achtziger Jahre in der Bundesrepublik gearbeitet hatte, wusste ich, dass ich aus dem Regen in die Traufe komme. Censorship und sponsorship unterscheiden sich in meinem Beruf nicht sehr. Der Druck, der über das Geld ausgeübt wird, ist genauso groß wie der ideologische Druck."

    Hinter der gleichermaßen falschen wie anmaßenden Analogie von "Censorship" und "Sponsorship" lässt sich nur erahnen, wie sehr die Vergangenheit bis heute nachwirkt und auch aktuelle Verletzungen im Zusammenhang mit seiner jüngsten Niederlage als Filmemacher eine Rolle spielen: 1998, drei Wochen vor Drehbeginn von Uwe Johnsons "Jahrestage", wurde er als Regisseur aus dem Projekt herausgedrängt. Im Vorwort seines Buches zieht er einen Vergleich zu ähnlichen Erfahrungen in der Vergangenheit:

    "Es ist zu früh, die Vorgänge endgültig zu beurteilen, aber sie erinnern mich an andere zugespitzte Situationen, in denen ich mich entscheiden musste, 'bei mir zu bleiben' oder Forderungen nachzugeben, die ich für unvereinbar mit meinen Überzeugungen, ja, wohl auch mit Würde und Anstand hielt. Ich bin nicht zum ersten Mal in meinem Berufsleben in der berühmten Situation mit dem Spiegel, in den ich am nächsten Tag noch schauen möchte, ohne mich zu schämen."

    Irene Schoor über Frank Beyers Biographie "Wenn der Wind sich dreht. Meine Filme, mein Leben. Sie ist im Münchener Econ Verlag erschienen, umfasst 432 Seiten und kostet 44,90 DM.