"Ich bin in des Hungers glücklichen Wahnsinn geraten. Mein Hunger hat mich berauscht."
Schon in der Bierleuchtreklame prangt das Hakenkreuz, und unübersehbar sind auch die SS Runen der Germanske Norge, des norwegischen Armes der deutschen SS. Und dann ist da noch die liebevoll nachgebaute McDonalds-Filiale im Gebäudekomplex auf der für Bühnenbildner Alexander Denics typisch verschachtelten Drehbühne. Sie hat ausgerechnet die Hausnummer 88, was in einschlägigen Kreisen bekanntermaßen als Nummerncode für das doppelte H und damit für Heil Hitler steht.
Spuren faschistischer Gedanken
Nein, keiner wird behaupten können, Frank Castorf hätte in seiner Theaterversion von Knut Hamsuns "Hunger" nicht zunächst einmal vor allem ästhetisch an das lautstarke Bekenntnis des weltberühmten Autors zum deutschen Faschismus erinnert. Doch schon bald versteht man, es geht dem Regisseur nicht darum, sich sichtbar von der Ideologie eines Autors zu distanzieren, um dann in Ruhe sein Werk auf die Bühne bringen zu können. Vielmehr spürt er in dem über 40 Jahre vor dem sogenannten tausendjährigen Reich veröffentlichten Roman erste Spuren eines faschistischen Gedankenguts auf, verfolgt diese dann durch das zwanzigste Jahrhundert und findet seine Auswirkungen sogar noch in der Gegenwart, in der die anglo-amerikanische Dominanz zum dominanten Weltkapitalismus geführt hat. Deswegen die ästhetische Spannung zwischen grasbewachsener norwegischer Blockhütte und rotgelber MCDonalds-Filiale, und deswegen auch überhaupt die Wahl von Hamsuns Roman "Hunger", dessen Bewusstseinsstrom im Delirium eines hungernden Autors die Literatur vom Zwang zum nachvollziehbaren Plot und zu ebensolcher Psychologie befreite und dieses Buch zum Inbegriff des modernen Romans machte.
"Der lange gelbe Zahn sah aus wie ein Finger, der aus dem Kiefer ragte, und ihr Blick war noch voll von Wurst, als sie ihn auf mich richtete. Ich verlor sofort den Appetit und verspürte Brechreiz."
Exzessiver Theaterstil
Um seinem Projekt die notwendige Tiefenschärfe zu geben und wohl auch um auf die von ihm gewohnte und Schauspieler wie Publikum gleichermaßen herausfordernde Vorstellungslänge von diesmal wieder 6 Stunden zu kommen, hat Frank Castorf in seine Beschäftigung mit Hamsuns Hunger gleich noch Motive aus dessem zweiten Roman hineingewoben. Der lässt unter dem Titel Mysterien den völlig verwahrlosten Helden des ersten Buches nun reich geworden im quittengelben Anzug zurückkehren, um Wirrnis zu stiften unter den Spießern seiner Stadt.
Wer sich im Kosmos des ehemaligen Volksbühnenintendanten Frank Castorf auskennt, wird nun an dessen großartige Theatralisierungen von Dostojewski-Romanen erinnert, in denen er die Fratze der Erniedrigten und Beleidigten freilegte und dabei jenen exzessiven Theaterstil zur Höchstform vorantrieb, in dem die Schauspieler in der Hysterie die Essenz ihrer Figuren finden und dabei zugleich von Kameras noch in die hintersten Winkel der verschachtelten Bühnenbilder verfolgt werden. Und natürlich spielt dabei vor allem auch eine Rolle, dass Castorf nun für die Salzburger Festspiele ehemalige Volksbühnenstars wie Marc Hosemann, Kathrin Angerer oder Sophie Rois um sich versammelt hat, denen sogar noch Fastfood zur Paradenummer gerät:
"Oh Gott, wenn man nur was zu essen hätte an diesem heiteren Morgen."
Und so begleitet man diesem Ensemble gern durch alle Höhen und Längen eines typischen Castorf-Theaters, lässt alle Nuancen zwischen Heiterkeit und peinlicher Betroffenheit zu und folgt dabei einmal mehr dem wohl wagemutigsten Intellektuellen des deutschsprachigen Theaters auf eine weitere Volte seiner Tour de Force durch unsere mit Tabus verminte Denkungsart.