Am Anfang ist Afrika. Der Südsudan. Ein gescheiterter Staat, in dem die Warlords aufeinander los gehen. Einer davon ist Major Joshua Agok. Er stirbt gleich auf Seite 26 in einem blutigen Gemetzel - von "Dingern". Sie werden nicht näher beschrieben, nur dass Agok nie zuvor etwas Derartiges gesehen hat – und dass sie ihn auffressen. Erinnerungen an Michael Crichtons "Micro" werden wach. Was da tötet, entstammt wohl irgendeinem irgendwie gearteten Labor.
Harter Schnitt. Kalifornien. Eine Tote hängt wie ein "aufgespießter Engel" über einem Abgrund. Offenbar ist sie mit ihren schwer gepanzerten Wagen von der Straße gedrängt worden, an einem Baum gelandet und dann voller Panik geflohen. Nur warum? Vor wem? So beginnt Frank Schätzings neuester Roman "Die Tyrannei des Schmetterlings".
Ein Quantencomputer namens Ares
Der dreht sich um einen Quantencomputer namens Ares, geschaffen von wohlmeinenden Technikfreaks der kalifornischen Firma Nordvisk. Ares steht für "Artificial Research & Exploration System". Er wird von Version zu Version intelligenter und selbständiger, entwickelt Bewusstsein und erlangt irgendwie Zugang zu Paralleluniversen – kurz PU genannt. In die ist ein Übertritt auch für Menschen möglich, und zwar über einen Raum, den die Nordvisk-Leute nach Ares' Berechnungen gebaut haben, ohne die Funktionsweise wirklich zu verstehen. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn dieses "Tor" beruht – wie auch bei Michael Crichtons Roman "Timeline" – auf den Prinzipien der Quantentheorie.
Wie dem auch sei. Bei seinen Bemühungen, den Tod des aufgespießten Engels zu erklären, tritt der Held des Buches – der Cop Luther Opoku – zufälligerweise durch dieses "Tor". Er landet in einem Paralleluniversum, in dem ein paar Dinge anders gelaufen sind als in seiner Welt. Seine Verwirrungsphase ist erstaunlich kurz, denn er muss die Bösen weiter verfolgen, die um das Geheimnis des rätselhaften Raums wissen. In diesem Universum steht Ares kurz vor der "Intelligenzexplosion", vor seiner Bewusstwerdung. Und die Folgen dieser "Intelligenzexplosion" wird Luther dann im nächsten erfahren, in PU 453: einer von Ares beherrschten Welt, 30 Jahre in der Zukunft. Sie ist ungemütlich, denn die Superintelligenz hat – ganz à la Terminator – entschieden, dass die Erde ohne Menschen besser dran wäre.
Schätzings Stärke liegt in der Technikfolgenabschätzung
Schätzing spielt in seinem Thriller mit Künstlicher Intelligenz, Quantenphysik, Wahrscheinlichkeiten und alternativen Realitäten, mit Nanobots, Singularitäten, Öko-Katastrophen und Technik-Apokalypsen, Inter-Universums-Biowaffenhandel, Welteroberungsplänen, Unsterblichkeit... Die angerissenen Themen werden immer mehr – ein Plot wie ein Bauchladen.
Und doch ist es spannend, die Entwicklung von Ares hin zum Amokläufer zu beobachten und den Kontrollverlust der Schöpfer über die von ihnen angestoßene Superintelligenz. Zwischen diesen Passagen dümpelt die Geschichte allerdings vor sich hin – in endlos erscheinenden Seiten mit langatmigen und in ihrer uninspirierten Art bizarren Landschafts- und Wetterbeschreibungen, mit Staffage-Personal ohne rechte Funktion und nicht unbedingt mitreißenden Lebensgeschichten.
Schätzings Stärke liegt halt in der Technikfolgenabschätzung, wenn er in eine fast schon greifbar nahe Zukunft projiziert, was sich heute an Bedrohungspotential abzeichnet – und nicht so sehr im Literarischen. Der Leser erfährt in diesem Buch einiges über die Möglichkeiten von KI und vor allem deren Risiken, und insgesamt ist "Die Tyrannei des Schmetterlings" ein ordentlicher, gut recherchierter Thriller mit einigen Längen.
Frank Schätzing: "Die Tyrannei des Schmetterlings"
Kiepenheuer & Witsch, 736 Seiten, 26,00 Euro
Kiepenheuer & Witsch, 736 Seiten, 26,00 Euro